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Nicht ohne ihren Vorstand

aus KölnISABEL SCHAYANI

Als Hadi Shams Haeri und seine Frau 1986 beschlossen, den Iran zu verlassen und mitten in der irakischen Wüste in den Camps der Volksmudschaheddin zu leben, wussten sie, dass sie dort kein leichtes Leben erwarten würde. Ihre beiden Kleinkinder durften sie einmal in der Woche von Freitagabend bis Samstagfrüh sehen. Dann mussten sie die beiden in die Obhut von „Schwestern“ der Mudschaheddin geben. Eine von diesen war Sudabeh Yazdi (Name von der Redaktion geändert). Frauen wie sie erzogen die Kinder der Shams Haeris. „Liebe zu den Kindern, zu der Ehefrau oder Geschwistern war verboten, jede menschliche Nähe haben die Mudschaheddin nicht zugelassen. Das stand unserem Ziel im Weg, die Diktatur der Mullahs zu stürzen“, sagt Shams Haeri rückblickend. Denn wer an Kinder und Frau denkt, will heim und nicht an die Front. Fünf Jahre später brach der 2. Golfkrieg aus – für die Führung der Mudschaheddin ein Anlass, die Kinder außer Landes zu schaffen. Begründung: Die Kleinen sollten geschützt werden vor den Bomben der Amerikaner und deshalb nach Europa. Dafür wurden die Eltern um ihre Zustimmung gebeten.

Im Golfkrieg nach Köln gebracht

Shams Haeri war dagegen, seine Frau jedoch unterschrieb. Rund 100 Kinder aus den irakischen Mudschaheddin-Camps wurden also 1991 nach Deutschland gebracht, die meisten von ihnen nach Köln. Zwei Jahre später, 1993, gründete ein Anwaltsehepaar, unter anderem zusammen mit einer jungen Juristin, den Verein „Iranische Flüchtlingskinderhilfe Köln e.V.“ (IFKH). Sie wollten den Kindern in Deutschland eine Perspektive bieten. Das Ehepaar: die grüne Spitzenpolitikerin Anne Lütkes, heute Justiz- und Familienministerin in Schleswig-Holstein, und ihr Ehemann Christoph Meertens, ein bekannter Kölner Anwalt. Die Juristin: die Fraktionssprecherin der Grünen im Bundestag, Kerstin Müller.

Seit dem 17. Juli interessiert sich die Kölner Staatsanwaltschaft für die Verbindung dieses Vereins zu den iranischen Volksmudschaheddin. Anlass für die Ermittlungen „gegen unbekannt“ war ein Focus-Bericht vom selben Tag, in dem ein Papier des Bundeskriminalamtes zitiert wird. Darin wird der „Iranischen Flüchtlingskinderhilfe“ vorgeworfen, eine Tarnorganisation der iranischen Volksmudschaheddin zu sein. Kinder von Parteimitgliedern würden gezielt aus ihren Familien ausgegliedert, um sie nach Deutschland zu schicken. Die angeblichen Waisenkinder würden indoktriniert und misshandelt. Die Rechtsanwälte Lütkes und Meertens hätten den Verein gegründet, um den Volksmudschaheddin „staatliche finanzielle Mittel in erheblichem Maße zuzuführen.“ Das BKA ermittelte seit 1996 gegen die Mudschaheddin. Pünktlich zum ersten Besuch des reformorientierten iranischen Staatspräsidenten Chatami Mitte Juli in Deutschland wurden Auszüge aus diesem Bericht bekannt.

64 Vormundschaften übernommen

Lütkes hält die Vorwürfe des BKA für unbegründet. Am 4. August hat sie Strafanzeige gegen das BKA und gegen Focus erstattet – wegen Geheimnisverrats. Den BKA-Bericht, aus dem Focus zitierte, hat die Staatsanwaltschaft ihr mittlerweile zukommen lassen.

Bis heute sind Lütkes und Meertens zusammen mit Kerstin Müller als gesetzliche Vertreter und Vorstand der „Iranischen Flüchtlingskinderhilfe Köln e.V.“ (IFKH) im Vereinsregister eingetragen. Im Vorstand sitzen außerdem zwei Iranerinnen, denen das BKA vorwirft, Mudschaheddin-Funktionärinnen zu sein. Im Laufe der Jahre haben Lütkes und Meertens insgesamt 64 Vormundschaften für die iranischen Kinder übernommen, unter anderem für eines der Kinder von Hadi Shams Haeri.

Auch die Mudschaheddin-Erzieherin Sudabeh Yazdi wurde nach Deutschland geschickt und traf in den gemieteten Wohnungen und bei sympathisierenden iranischen Familien in Köln ihre Schützlinge aus dem Irak wieder. Ab September 1994 kamen deutsche Pädagoginnnen hinzu. Dem Vereinsvorstand ist es auch heute wichtig, dass die Kinder in die deutsche Gesellschaft integriert werden. Dieses „bikulturelle Betreuungskonzept“ ging auf. Das Jugendamt erkannte den Verein 1994 als freien Träger der Jugendhilfe an. Seit Mai folgenden Jahres wird die IFKH mit durchschnittlich zwei Millionen Mark im Jahr unterstützt. Derzeit leben 23 Kinder in Heimen und Wohngruppen, ein Teil von ihnen im Mehrfamilienhaus von Lütkes und Meertens.

Sudabeh Yazdi betreute bis 1995 die Kinder der IFKH. Dann verließ sie die Mudschaheddin. Den Auftrag, die Kinder zu kleinen Parteisoldaten der Mudschaheddin zu erziehen, wollte sie schon lange nicht mehr erfüllen.

„Selbstverständlich“ sei die Iranische Flüchtlingskinderhilfe eine Tarnorganisation der Mudschaheddin, erklärt Sudabeh Yazdi heute. Alle deutschen Mitstreiter hätten das wissen müssen, wundert sie sich, denn die Mudschaheddin hätten jedem von ihrer Ideologie und ihren Zielen erzählt. Mit Lütkes, Meertens und Müller hatte die Frau von der Basis nichts zu tun. Sie hat die Kinder jedoch auch nach der Vereinsgründung 1993 bis 1995 betreut, also in der Zeit, als die engagierten Grünen den Verein verantwortlich steuerten. Den Alltag der Kinder bestimmten die Mudschaheddin. Um die Schützlinge einzuschüchtern, drohten ihnen die iranischen Erzieherinnnen: Ihren Eltern im Irak würde etwas zustoßen. Sollte Druck auf die Kinder ausgeübt werden, habe man den Kindern das Essen entzogen oder sie in Zimmer eingesperrt. Sie seien auch geschlagen und gequält worden. Ziel sei es immer gewesen, so Sudabeh Yazdi weiter, die Jugendlichen mit 15 oder 16 wieder als Kämpfer zurück in den Irak zu schicken. Dem Jugendamt habe man erklärt, diese Jugendlichen seien verschwunden. Mit dem Geld vom Jugendamt habe sie immer sparsam gehaushaltet, um den Großteil der Organisation im Irak schicken zu können.

„Abenteuerliche Vorwürfe“

Diese Vorwürfe, die auch im BKA-Bericht zu finden sind, hat die Kieler CDU zum Anlass genommen, um Justizministerin Lütkes persönlich zu befragen. Es handle sich nur um Unterstellungen, beruhigte Lütkes die Mitglieder des Ausschusses. Die Gelder des Vereins seien ordnungsgemäß abgerechnet worden. Bei den betreuten Kindern handele es sich um Halb- oder Vollwaisen, deren Eltern in der Opposition kämpften. Ihr Ehemann Christoph Meertens gibt dagegen an, es seien „Kinder von Eltern, die Mitglieder der Volksmudschaheddin sind oder auch waren“, und damit keine Waisen. Über die Frage, ob die Eltern der Kinder noch leben, scheinen Lütkes und Meertens sich nach sieben Jahren Vereinsarbeit noch nicht einig zu sein. Die Ministerin räumte allerdings ein, dass 1999 sechs Kinder verschwunden seien. Der Verein habe den Jugendlichen angeboten hierzubleiben. Aber sie hätten das Angebot abgelehnt. Am Ende ihrer Stellungnahme zog die Ministerin eine Konsequenz: Sie wolle aus dem Verein ausscheiden. Als Begründung gab sie an, dass sie sich aus Kiel nicht mehr angemessen um die Kinder kümmern könne. Auch die Vormundschaften würden im Laufe der Zeit aufgehoben.

Als das „ARD-Morgenmagazin“ eine Woche später von ihr wissen wollte, ob die beiden iranischen Vorstandsmitglieder des Vereins Funktionäre der Mudschaheddin seien, stritt sie das nicht ab. Es handele sich eben um „politische Menschen“, und „ob diese Frauen Terroranschläge machen, entzieht sich meiner Kenntnis“. Die Frage, ob der Verein staatliche Gelder für die Waffenkäufe der Mudschaheddin organisiert habe, beantwortete sie vorsichtig: „Nach allen mir vorliegenden Belegen sind vom Verein Iranische Kinderflüchtlingshilfe keine Waffenkäufe getätigt worden.“ Kerstin Müller hat inzwischen erklärt, sie wolle ihren Vorstandsposten abgeben. Die Mudschaheddin hält sie für politisch hochproblematisch. Dass der Verein eine Tarnorganisation sei und Gelder veruntreut habe, sind für sie „abenteuerliche“ Vorwürfe.

Wenn Eltern die Mudschaheddin verlassen, so wie Hadi Shams Haeri, ist es ihnen beinahe unmöglich, ihre „Waisenkinder“ von der Iranischen Flüchtlingskinderhilfe zurückzubekommen. Nach seiner Flucht aus den Mudschaheddin-Camps im Irak machte sich Hadi Shams Haeri in Holland auf die Suche. Die Mudschaheddin in Holland beschimpften ihn als Verräter. „Das sind jetzt die Kinder der Volksmudschaheddin, und ihre wahren Eltern sind die Führer Massoud und Mariam Rajavi“, erfuhr er von deren Amsterdamer Büro. Über eine holländische Flüchtlingsorganisation fand er heraus, dass die Kinder in Köln waren. Das Kölner Jugendamt bestätigte das. Der Sohn und die Tochter wurden durch die Behörde gefragt, ob sie mit dem Vater Kontakt haben wollten. Der Sohn lehnte ab: Der Vater vertrete jetzt eine andere politische Ausrichtung. Shams Haeri stritt trotzdem um das Sorgerecht. Er wollte mit seinen Kindern in Holland leben und sie dem Einfluss der Mudschaheddin entziehen. Das Kölner Amtsgericht sprach das Sorgerecht der Mutter zu. Die ließ die Kinder bei der Iranischen Flüchtlingskinderhilfe. Der Anwalt der Mutter, einer ranghohen Mudschaheddin-Funktionärin: Meertens, der Vorsitzende der IFKH.

„Über den Verbleib nichts bekannt“

Drei Jahre später versuchte der Vater erneut, einen Kontakt zu den Kindern herzustellen. Das Kölner Jugendamt teilte ihm mit, dass seine Tochter dies nicht wünsche. Über den Aufenthalt des Sohnes sei nichts bekannt. Er habe sich Anfang des Jahres von der Schule abgemeldet, schrieb das Amt. „Laut schriftlicher Mitteilung der IFKH ist auch dort nichts über den Verbleib des Jungen bekannt.“ Rechtsanwalt Meertens hält die Entscheidung des Gerichts, der Mutter das Sorgerecht zuzusprechen, nach wie vor für richtig.

Das Verschwinden des Sohnes und der Tochter von Shams Haeri ist kein Einzelfall. Immer wieder tauchten Jugendliche des IFKH ab. Das Kölner Jugendamt begann mitzuzählen. Elf Teenager, mahnte Amtsleiter Henkel den Verein 1998, hätten in den letzten Monaten das Land verlassen. Er vermutete „systematisches Handeln“. In einem Schriftwechsel verteidigte sich der Verein. Henkel leuchteten die Argumente ein. Heute sagt er selbst, wenn Jugendliche den Wunsch hätten, in den Irak zurückzukehren, könne sie niemand zurückhalten. Ob diese Rückkehr immer freiwillig geschieht, bleibt offen. Shams Haeri kennt noch drei weitere Fälle. Diese bestätigt auch die ehemalige Erzieherin Yazdi. Freunde des Aussteigers sagen, sie hätten seinen Sohn im Fernsehen gesehen: in einem Beitrag über eine Kampfeinheit der Mudschaheddin. Im Irak. Wo die Tochter ist, weiß er nicht. Ihre ehemalige Betreuerin Yazdi ist sich sicher, dass auch sie wieder von den Mudschaheddin in den Irak geschickt worden ist. Ob sie wollte oder nicht.

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