Anke Kähler über sozial verträgliches Brot: "Wir erobern das Wissen zurück"
Bäckermeisterin Anke Kähler bäckt nicht mehr - kämpft aber umso leidenschaftlicher für gutes Brot: Das soll schmecken, nachhaltig produziert - und sozial verträglich sein.
taz: Frau Kähler, Ihr Verein macht Werbung, indem die Mitglieder die Einnahmen dieser Woche an Brot für die Welt spenden – war das Ihre Idee?
Anke Kähler: Nein, Achtung, das wäre zu viel. Das könnten wir nicht verkraften – es sind ja alles Handwerksbetriebe. Das gilt nur für jeweils ein bestimmtes Brot aus dem jeweiligen Sortiment, nicht für die gesamten Wochen-Einnahmen! Die KundInnen, die sich in der Woche bis Pfingsten für dieses Brot entscheiden, zahlen dafür keinen Festpreis, sondern den Betrag, den ihnen dieses Brot wert ist, und zwar direkt in die Spendendose.
Und Brot für die Welt haben Sie gewählt, weil’s vom Namen passt?
Nicht nur. Wir möchten darauf aufmerksam machen, dass die Ursachen von Armut und Hunger in den Ländern des Südens die gleichen sind wie die des Verlustes an regionalen Versorgungsstrukturen – auch hier in unseren Regionen. Die Aktion passt inhaltlich zu unseren Motiven und Zielen. Uns geht es ja nicht nur darum, besonders gutes und leckeres Brot zu backen, nach einem handwerklichen Kodex, ohne Convenience-Produkte, ohne Backmischungen …
Sondern?
Im Kern geht es uns um Ernährungssouveränität und um Nachhaltigkeit.
Das heißt?
Wir erleben ja überall, dass bei größeren Strukturen die sozialen Ansprüche unter die Räder geraten, bis wirklich nur noch das Prinzip der Gewinnmaximierung gilt: bei der Technologie, bei den Arbeitsbedingungen oder beim Umgang mit der Ressource Boden. Als Lebensmittelproduzenten haben Bäcker da eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung.
Inwiefern?
53, Diplom-Soziologin, Bäckermeisterin, stammt aus Hannover, lebt in Barsinghausen. Obwohl sie selbst nicht mehr in der Backstube steht, hat sie 2011 den Verein "Die Bäcker. Zeit für Geschmack" gegründet, den sie seither als Vorsitzende leitet.
Bereits die Vorgänger-Organisation, der mittlerweile liquidierte Oldenburger Verein Slowbaking, hatte die Idee verfolgt, das handwerkliche Backen ohne künstliche Zusatzstoffe zu stärken, war jedoch gescheitert: Ursachen waren einerseits interne Streitigkeiten über Vereinszeitschriften und unabgestimmt vervielfachte Mitgliedsbeiträge, andererseits eine fehlende Markenpflege und von der Backmittelindustrie betriebene, kostspielige juristische Verfahren. Kähler, als externe Expertin hinzugezogen und in den Vorstand berufen, musste Ende 2010 die Insolvenz des Vereins beantragen.
Der neue Verein hat seinen Sitz in Hannover, und in Deutschland und Österreich derzeit um die 40 Mitglieder, die ihr gesamtes Sortiment einem umfangreichen Akkreditierungsverfahren des unabhängigen Instituts für Getreideverarbeitung (Potsdam) unterziehen.
Die Betriebe verpflichten sich dabei auf einen Kodex: Der macht verbindlich, mit Vorteigen, Sauerteigen und langen Teigführungen auf traditionelle Weise mit individuellen Rezepten und ausschließlich unter Verwendung natürlicher Gewürze (wie Vanille) und hochwertiger Rohstoffe (etwa Butter oder reine Pflanzenöle statt Margarine) zu backen, und, wenn möglich, auf regionale Rohstoffe zu setzen. Im Gegenzug muss auf industrielle Vormischungen, zugekaufte Tiefkühlteiglinge sowie gentechnisch veränderte Zutaten verzichtet werden.
Bei der Aktion "Zeit zum Teilen" bieten 24 der Mitgliedsbetriebe vom 21. bis 26. Mai in insgesamt 183 Filialen und Verkaufsstellen in Bioläden je eine Brotsorte als Benefiz-Produkt an. Die Erlöse gehen direkt an Brot für die Welt.
Wenn ich weiß, woher mein Getreide kommt, und ich mir klar mache, dass auch der Bauer, der es produziert, davon lebt, versuche ich nicht immer weiter den Preis zu drücken. Viele Bäcker kümmern sich aber gar nicht darum – und verursachen so den Preisverfall bei Getreide mit. Der bringt immer mehr Landwirte dazu, den Anbau aufzugeben. Und das begünstigt industrielle Strukturen …
… die neue Abhängigkeiten schaffen?
So ist es. Das schafft neue Abhängigkeiten, beseitigt die ökologische Vielfalt, laugt die Böden aus – und fördert die Gentechnologie. Darauf läuft es hinaus. Und das ist ein globales Problem: Man braucht nicht den Welt-Agrarbericht zu lesen, um zu erkennen, dass wir gut beraten wären, die Ressource Boden zu schonen. Wer immer nur über den Preis einkauft, tut das Gegenteil.
Also ist Ihr Verein „Die Bäcker. Zeit für Geschmack“ ein ökosozialer Verein und Ihr Siegel ein neues Bio-Label?
Nein, das ist kein Bio-Label. Im Verein arbeiten konventionelle und Bio-Bäcker zusammen.
Und Sie selbst backen gar nicht mehr …?
Seit zwölf Jahren: Bis 2000 hatte ich einen Betrieb, eine ganz kleine Bäckerei in Hannover-Südstadt. Die hieß Backwerk, bevor es Backwerk als Discounter gab. Das ist ein Demeter-Betrieb, den hatte ich zusammen mit einem Kollegen, und der führt ihn auch noch weiter. Irgendwann habe ich gemerkt: Als Alleinerziehende mit 80, 90 Wochenstunden, wie viel man halt im Handwerk so hat, das hältst du nicht durch. Das geht so nicht weiter.
Und dann?
Genau an dem Tag hat Bioland angerufen, und gefragt, ob ich mir vorstellen kann, Beratung zu machen. Und das habe ich dann neun Jahre lang gemacht, für Bäckereien und Mühlen-Erzeugergenossenschaften, erst beim Bioland-Verband, später fürs Kompetenzzentrum ökologischer Landbau in Visselhövede.
Und jetzt bringen Sie Normalos und Ökos zusammen?
Ich glaube, beide können voneinander lernen: Es gibt konventionelle Betriebe, die handwerklich Spitzenqualität backen – ohne Convenience-Produkte, ohne Vormischungen. Das bedeutet unser Siegel: Der Verein versteht sich als Interessenvertretung des klassischen traditionellen Handwerks. Wir formulieren mit den Auflagen für unser Siegel so etwas wie einen Kodex des Handwerks.
Wenn ich mir Ihre Auflagen so anschaue, steht da, es muss Sauerteig geben …
… genau. Für alle Brote muss ein Vorteig oder Sauerteig geführt werden.
Das hieße ja: Es gibt Bäcker, die das nicht machen?
Viele Betriebe arbeiten mit Fertigsauer. Es wäre aber falsch, die dafür einfach in die Schmuddelecke zu stellen. Die machen das, weil es eben schneller geht – und das gewünscht ist.
Vom Kunden?
Ganz klar: Der Kunde will morgens um 6 Uhr beim Bäcker die Auswahl aus Dutzenden verschiedenen Produkten haben. Und die haben frisch zu sein. In der Situation hat die Industrie …
… für mehr Bequemlichkeit gesorgt?
Also bequem war der Bäckerberuf wirklich nie! Nein, mit Convenience-Produkten hat die Industrie den Bäckern etwas an die Hand gegeben, um das Pensum schnell genug zu bewältigen. Wenn man einen Biskuit anschlägt, kostet das Arbeitszeit, also Lohn, also den Endpreis – und in Deutschland dürfen Lebensmittel ja nichts kosten.
Laut Vereinsnamen investieren Mitglieder mehr Zeit: Wie groß ist der Unterschied?
Bei Brot ist das einfach zu sagen: Wenn Sie da eine Fertigmischung nehmen, geben Sie die in den Kneter, gießen Wasser drauf und können sie sofort backen. Wenn Sie dagegen mit eigenem Sauerteig arbeiten, müssen Sie den mindestens am Mittag zuvor ansetzen, um ihn am nächsten Morgen weiterzubearbeiten. Und Sie müssen ein Gefühl entwickeln für die Teige.
Man sagt, die leben …?
Die leben, definitiv! Und wenn Sie ohne Zusatzstoffe arbeiten, spielt die Getreidequalität eine große Rolle: Je nach Witterung haben wir völlig unterschiedliche Mehle, von Jahr zu Jahr, manchmal sogar von Charge zu Charge. Das beeinflusst die Eigenschaften des Teigs: Sie können nicht einfach nur den Wecker stellen. Sie müssen beim Kneten selbst rechtzeitig merken, wann’s genug ist, weil sonst die Konsistenz nicht stimmt – dann fließt der Teig Ihnen möglicherweise vom Tisch. Wer sich aber von Convenience-Produkten abhängig macht, verliert dabei das nötige Wissen.
Und jetzt ist es weg?
Uns geht es darum, es zurückzuerobern: Viele Kollegen trauen dem eigenen Know-how nicht mehr. Die haben Angst, ein Produkt herzustellen, dass nicht den Wünschen der Kunden entspricht – und greifen deshalb auf Convenience zurück.
Sodass alles gleich schmeckt?
Es gibt ja Kunden für diese Art Brot. Auch ist das nicht ungesund. Die andere Frage ist, ob es dem Bäcker hilft.
Wie jetzt?
Unser Ansatz hat viel mit dem Selbstwertgefühl zu tun: Viele Kollegen, die nach unseren Ideen umstellen, haben erzählt, dass Sie und ihre Mitarbeiter plötzlich wieder Spaß entwickeln an der Arbeit – weil ihre Qualifikation dabei wieder gefragt ist. Diese Wertschätzung ist bei dem Beruf ja auch unter die Räder gekommen – zumal an den Schulen den Leuten doch gesagt wird: Du bist eh zu blöd, werd’ doch Bäcker!
Echt?
Wer nach dem Abi Bäcker lernen will, wird beim Arbeitsamt gefragt, ob er noch alle Tassen im Schrank hat.
Wie sind Sie dann selber Bäckermeisterin geworden?
Aus Überzeugung.
Das müssen Sie erklären!
In grauer Vorzeit hab’ ich mal Politik studiert und Soziologie – und mich dabei mit industrieller Nahrungsmittelproduktion beschäftigt: Dazu gehörten auch vor 30 Jahren schon die Themen Landwirtschaft, Zukunftsfähigkeit und fairer Handel. Irgendwann habe ich mir gedacht: Du kannst dich damit noch ein Leben lang weiter abstrakt beschäftigen. Oder du setzt jetzt um, was du für politisch richtig hältst.
Und fingen an, Brot zu backen?
Es gab in Hannover damals das Backkollektiv, das war so der Anfang der Biobewegung, Ende der 1970er. Dem habe ich mich angeschlossen, dann entschieden, dass ich das richtig lernen will: Ich habe also eine Lehre absolviert, habe später beim Kollektiv die Geschäftsführung übernommen, und dann schließlich die Meisterprüfung abgelegt.
Also eine Art zweiter Bildungsweg, von der Theorie in die Praxis?
So ist das gekommen. Aber vielleicht hatte das auch damit zu tun, dass ich neben einer kleinen Brotfabrik aufgewachsen bin, in Hannover. Ich hatte also als Kind immer diesen Geruch von frischem Brot in der Nase. Den vergisst man nicht.
Infos: www.die-bäcker.org und www.brot-fuer-die-welt.de
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste