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Angelika Beer über Piraten und Grüne"Die Menschen trauen der Politik nicht"

Neuer Stil, mehr Offenheit: Warum die ehemalige Grünen-Vorsitzende Angelika Beer als Piratin in den Landtag will und was sie vom neuen Politikstil erwartet.

Jahrzehnte in der Politik, und immer noch kein Verdruss: dafür steht die Jung-Piratin Beer. Bild: ap
Interview von Esther Geisslinger

taz: Frau Beer, Sie waren Gründungsmitglied der Grünen, sind seit 2009 Mitglied der Piraten und machen jetzt für die junge Partei Landtagswahlkampf. Macht es Spaß, die Anfangsphase einer Partei mitzumachen, oder überwiegt der Ärger, das Rad immer neu erfinden zu müssen?

Angelika Beer: Na ja, Politik und Spaß … Aber es ist fantastisch zu erleben, wie eine Partei so viel Leute anzieht und direkte Beteiligung ermöglicht. Sicher ist es angesichts der schnellen Mitgliederzuwächse auch anstrengend, aber es macht Spaß im Team.

Auch die Grünen traten für einen neuen Politikstil an. Kann es bei den Piraten mit den Netzdebatten funktionieren, sind Hinterzimmerrunden und Absprachen nicht unumgänglich?

Würde ich das befürchten, wäre ich nicht seit zwei Jahren Pirat. Gerade zurzeit, im Wahlkampf, merken wir, dass Transparenz gewollt ist. Es kommen Leute, die seit Jahren nicht mehr gewählt haben, und fragen, wie sie sich engagieren und mitmachen können. Aktuell hat die Türkische Gemeinde uns eingeladen, das zeigt dieses Interesse, die Offenheit uns gegenüber.

Trotzdem: Schleswig-Holstein ist ein Flächenland, das zudem in vielen Bereichen sehr konservativ ist. Wie passen die Piraten da hinein?

Das passt sehr gut, sonst hätten wir jetzt nicht diesen Zuspruch! Man muss sich vergegenwärtigen, was die Leute hier mit den etablierten Parteien, zu denen auch die Grünen zählen, erlebt haben: Barschel, den Sturz von Heide Simonis, den Bruch der Großen Koalition. Die Menschen trauen der Politik nicht mehr. Nicht umsonst ist die größte Wählergruppe die der Nichtwähler.

Die Grünen betonen, sie würden seit Jahren Netzpolitik machen, sie setzen auch auf interaktive Wahlprogramme, wollen das Urheberrecht praktisch abschaffen. Versuchen die Grünen jetzt, piratiger als die Piraten zu werden?

Die Grünen haben einen ganz anderen Stil, sie wollen Dinge regeln und Verbote aussprechen. Aber natürlich machen sie Gegnerbeobachtung. Das macht uns nicht unruhig. Wenn Cem Özdemir uns vorwirft, wir seien eine Ein-Punkt-Partei, zeigt das eher Hilflosigkeit. Unser 56 Seiten starker Programmentwurf sagt etwas anderes.

Tatsächlich ist das Programm an vielen Stellen sehr detailliert, manches ist aber noch recht vage. Wie schwierig war es, diesen Entwurf zu erstellen?

Zurzeit wird noch daran gearbeitet, jeder kann im Internet neue Anträge hinzufügen, die jeden Abend von der Programmkommission beraten werden. Auch nach dem Landesparteitag wird weitergemacht, die Dinge sind im Fluss. Wenn Bereiche fehlen, können die ergänzt werden.

Zum Beispiel die Geschlechterfrage. Nennen Sie sich Pirat oder Piratin, Frau Beer?

Mal so, mal so. Ich war als Grüne immer Quotenfrau, und ich möchte keine Quote bei den Piraten. Aber die Diskussion darüber, auch über die Gründe, warum es vielleicht am Anfang weniger Frauen in der Partei gibt, wird bundesweit geführt und ist noch nicht beendet. Das Thema ist für mich aber nicht vorrangig. Es geht um anderes, etwa das bedingungslose Grundeinkommen, das eine Initiative aus Schleswig-Holstein war und nun auch von der Bundespartei vertreten wird.

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11 Kommentare

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  • HK
    Hartmut Koller

    Meine Beobachtung des jetzigen sozialen Zustandes in Deutschland: Die, die wenig haben werden gegen die gehetzt die gar nichts haben -und- es bleibt alles irgendwie gleich, nur noch schlechter und noch komplizierter.

     

    Hier setzt das bedingungslose Grundeinkommen an:

     

    (1) Artikel 1 Grundgesetz kann endlich real umgesetzt werden. Menschenwürde muss man sich nicht erst “erarbeiten”.

    (2) Wegfall der langsam explodierenden Bürokratieatombombe im Sozialen Bereich. “Einzelfallgerechtigkeit” bekommt endlich die korrekte Bedeutung.

    (3) Vorteil des Begriffs “Bedingungsloses Grundeinkommen”: Es lässt sich nicht als Phrase abschwächen oder umdeuten. Bedingungslos bleibt Bedingungslos. “Verhaltensunabhängig” wäre auch ein denkbarer Begriff.

    (4) Abbau der Steuerbürokratie durch Modell Konsumsteuer. Grundsatz: Steuern müssen nicht erhöht werden, Steuern müssen gezahlt werden. Wegfall von Steuerausnahmen und Subventionen

    (5) Wegfall der Hartz IV Problematik (immer mehr Arbeitslose durch immer mehr Maschinenarbeit). Keine Unterschwellige Diskriminierung von “Arbeitslosen” mehr (besserer Begriff: “Freigestellte”).

    (6) BGE ist lebenslanges Bafög. Endlich ist Lebenslanges Lernen nicht nur ein politisches Motto, sondern auch praktisch durchführbar.

    (7) Wirtschaften ist ein Für-Andere-Arbeiten. Niemand hat jemals für sich selbst gearbeitet. Kein Friseur, Kein Bäcker, Kein Banker, Kein Lehrer. Alle leisten und arbeiten für andere. Nur das Einkommen bekommen Sie selbst.

    (8) Beginn der gedanklichen Trennung von Arbeit und Einkommen: Menschen streiken nicht für Arbeitsplätze, Menschen streiken für Einkommensplätze.

    (9) Betreungsgeld/Herdprämien-diskussionen haben ein unbürokratisches Ende. Eine Partnerin kann sich vom tyrannischen Partner ohne Existenzangst trennen.

    (10) Menschen können endlich “Nein” sagen (können, nicht müssen).

     

    Provozierende Menschenbildfrage: Gönnst du auch dem bösen Nachbarn ein bedingungsloses Grundeinkommen?

  • KK
    Karl K

    @von Kaboom:

     

    Danke und Lob der Faulheit!

    Genauso wollt ich's auch auf die Platte bringen.

    Nun steht's schon da.

     

    Angelika Beer gibt die Schrägschisserin(M/L) Antje Vollmer;

    In Abwandlung von Franz Josef Degenhardt:

    "Habt Ihr gar nicht gemerkt, dass euch keiner mehr ernst nimmt!?"

    Aber Mitte Fünfzig und sonst nix auf der Latte,

    ist ja auch schwer.

  • K
    Kaboom

    Angelika Beer, war das nicht jene Dame, deren Wandlung von der Anti-Militaristin zur Bundeswehr- und Kriegsbegeisterten sogar den Grünen (und DIE verstehen bekanntlich was vom dieser Art von Wandlung) zu heftig war?

    Und nun hat sie sich schon wieder gewandelt? Zur Piratin diesmal?

    Oh Mann, ich hatte doch tatsächlich in Erwägung gezogen, die Piraten zu wählen. Wegen des "frischen Windes". Und nun stellt sich heraus, man bekommt nur ganz alten Wein in neuen Schläuchen.

  • ML
    Martina Lippmann

    Warum können Politiker nicht einfach Ihre Arbeit machen, dann brauchen sie auch nicht jede Woche die Partei neu zu erfinden und einen neuen Bekanntenkreis aufbauen.

  • D
    Drachenrose

    Es gibt etliche Piraten, die ursprünglich bei den Grünen waren - darunter sogar etliche Gründungsmitglieder. Einige Gründungsmitglieder der Grünen haben waren sogar bei der Gründung der Piraten dabei. Wo genau ist das Problem?

     

    Hauptargument für den Wechsel war bei allen, dass die Grünen eben alles verraten haben, wofür sie einst standen. Sollen also diese Menschen, die für sich erkennen, dass sie bei den Grünen falsch sind, sich aus der Politik zurückziehen und sich anderweitig engagieren dürfen? Was ist das denn für ein Demokratieverständnis?

     

    Im übrigen ist Angelika Beer - wie bereits gesagt wurde - im Jahre 2009 zu den Piraten gewechselt. Zu diesem Zeitpunkt war noch gar nicht abzusehen, dass die Piraten diesen Erfolg im Jahre 2011 haben würden.

  • W
    Wolf

    Wer heute noch der Masse der Politheinis glaubt, kann nicht mehr alle Nägel im Zaun haben.

     

    Was wollen die Piraten, für mich Schwätzer ohne Programm und ohne Konzept.

    Die wollen doch nur i.d. Parlamente, damit auch sie Macht ausüben können und von unseren Steuergeldern gut leben können.

     

    Meine Forderung an die Politik

    1. Sachkundeprüfungsnachweis bevor sie als Politiker

    tätig werden können

     

    2. Wegfall der Immunität, damit jeder Bürger jeden Politiker wegen Fehlverhalten anzeigen kann

     

    3. Verbot jeglicher legalisierter Nebentätigkeiten, wie Aufsichtsratsposten, etc.

     

    4. Unentschuldigtes fehlen bei den Plenarsitzungen

    a.d. Pranger stellen

     

    5. Monatliche öffentliche Fragestunde f.d. Bürger in dem Wahlkreis

     

    6. Wegfall der Überversorgung und sonstiger Vergünstigungen

     

    7. und das wichigste Volksentscheid auf Bundesebene

     

    Erst wenn alle 7 Punkte durch Gesetz verbindlich

    auf Dauer festgeschrieben werden, erst dann wird sich i.d. Programmatik und im persönlichen eines sich defr Politschwätzer im Sinne seiner Wähler zum positiven verändern.

     

    Politik gegen den Willen der Masse des Volkes, wie z.B. EU-Währungsunion, Rettungsfonds, etc. wird sich auf kurze Zeit rächen.

     

    Für mich wirken viele der Politschwätzer im sozialden Körper wie die schmutzigsten Brechmittel.

  • AE
    Altlinke entsorgen

    Wenn noch mehr solcher Altlinker bei den Piraten auftauchen, dann ist das der Anfang vom Ende. Grüne 2.0 braucht niemand.

  • D
    Dennis

    @Der Heinz: Partei ohne Programm? Ist sie noch in einer anderen Partei Mitglied, als bei den Piraten?

  • DH
    Der Heinz

    Warum können Politiker einfach nicht von der Macht lassen..?

    Sie wechselt von einer Partei, die sich von ihrem ursprünglichen Programm fast vollständig verabschiedet hat, zu einer, die ert gar keins hat. Das nenne ich Pragmatismus.

  • GF
    GERWALD FOR PRESIDENT

    Ich halte die Demokratie für die beste Staatsform. Aber "die Wulffs und Guttenbergs" schädigen unsere Demokratie auf gefährliche Weise. Da sind die Piraten eine echte Wohltat.

    Für mich war es ein Highlight, Gerwald Claus-Brunners klares Statement zum unsäglichen Verkauf der Berliner Wasserbetriebe 1999 im Sonderausschuss Wasser am letzten Freitag zu hören.

    Solche Politiker brauchen wir!

  • R
    reblek

    Angelika Beer ist bis 2009 bei den sogenannten Grünen geblieben. Da gehörten Krieg und Sozialabbau schon seit Jahren zum Grundsatzprogramm dieser Partei. Und jetzt will sie uns weismachen, dass sie für Frieden und eine soziale Gesellschaft steht? Könnte es sein, dass sie darauf baut, mit ihren "politischen Erfahrungen" auf der Piraten-Liste wieder in den Bundestag zu kommen. Ist doch ganz angenehm da. Oder wäre das Gedrängel um die MdB-Sitze sonst so groß?