Agrarexperte über Saatgut-Urteil: „Eine Chance für kleine Erzeuger“
Das Saatgut-Urteil des EuGH erlaubt Bauern, Samen von alten Pflanzensorten zu verkaufen. Laut Agrarexperte Graefe zu Baringdorf hilft das auf lange Sicht der Artenvielfalt.
taz: Herr Graefe zu Baringdorf, der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am Donnerstag entschieden, dass Landwirte auch das Saatgut alter Sorten vermarkten dürfen. Dürfen Bauern nun anbauen und verkaufen, was sie wollen?
Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf: Nein, das nicht. Saatgut aus eigener Ernte dürfen Bauern sowieso für sich selbst verwenden, es aber nicht als Saatgut vermarkten. Für gehandeltes Saatgut sind immer noch Qualitätskriterien vorgeschrieben – und das halte ich auch für richtig, weil es schließlich um die Grundlage für die Ernten der Bauern geht.
Welche Qualitätskriterien sind das?
Nehmen wir zum Beispiel die Kartoffel. Ist sie resistent gegen die Faulkrankheit Phytophthora? Oder beim Getreide, ist es widerstandsfähig gegen eine Ährenkrankheit? All diese Angaben muss der Hersteller des Saatguts mitliefern. Wenn wir in der Saatgutherstellung eine vollständige Freiheit hätten, könnte das dazu führen, dass die zugesagten Qualitätskriterien überhaupt nicht eingehalten werden.
Aber die geltenden Kriterien sind umstritten.
Genau. Denn sie sind einseitig auf Ertragssteigerung und Einsatz von Chemie ausgerichtet und damit verantwortlich dafür, dass es überhaupt Massensorten gibt, während andere an den Rand gedrängt wurden. Es müssen sich also die Kriterien ändern, aber nicht die Tatsache, dass es sie gibt.
Der EuGH hat die Ausnahmeregelung betont, die Bauern erlaubt, Saatgut aus alten Sorten zu vermarkten. Was unter diese Genehmigung fällt, entscheidet aber jeder Staat selbst.
Ja. Deshalb muss Druck auf die Regierungen ausgeübt werden. Denn momentan ist die Ausnahmegenehmigung noch nicht einmal in allen Staaten Gesetz geworden. Und wie es aussieht, gelten die Ausnahmen bislang auch nur für Gemüse. Bei Getreide beispielsweise oder bei Obst gibt es sie anscheinend noch nicht. Das muss sich ganz dringend ändern.
Die französische Saatgut-Kooperative, die das Urteil vor dem EuGH erzwungen hat, sagt, in Frankreich seien gerade einmal ein Dutzend Arten als „erhaltungswürdig“ eingestuft worden. Deshalb bringe die Ausnahmeregelung nichts.
Die Staaten haben tatsächlich einen großen Spielraum dabei, zu entscheiden, was eine Ausnahme ist. Das heißt, einige Länder werden attraktiver für Anbau und Handel mit altem Saatgut als andere. Zumindest zunächst, denn das Urteil muss noch im politischen Raum der Länder umgesetzt werden. Und wenn das nicht oder nicht ausreichend passiert, muss man das eben wieder vor dem EuGH erstreiten. Aber ich halte nichts davon, hier von einer Niederlage zu sprechen. Wir müssen die rechtliche Entscheidung politisch nutzen.
Was macht alte Sorten überhaupt so attraktiv?
Zum Beispiel der Geschmack eines bestimmten Apfels, der in der Züchtung wieder aufgenommen und in die Zukunft transportiert wird. Das ist eine große Chance für kleine Erzeuger. Doch es geht ja nicht nur um alte Sorten, sondern um besondere Sorten. Darum, regionale Sorten neu zu züchten, zum Beispiel mit Eigenschaften, die in bestimmten Regionen von Verbraucherinnen und Verbrauchern als Besonderheit wahrgenommen werden. Alte Sorten, das klingt immer so rückwärtsgewandt, so nach dem Motto, irgendwann gibt es die nicht mehr und dann hat sich das eh erledigt. So ist das nicht. Es geht um den Erhalt der genetischen Vielfalt.
Welche Pflanzen sollten denn verstärkt eingesetzt werden?
Leguminosen zum Beispiel, wie Bohnen und Erbsen, sind durch den Maisanbau beinahe vollständig zurückgedrängt. Dabei sind sie unheimlich nützlich, weil sie Stickstoff binden und für die nächste Pflanze in den Boden legen.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
„Edgy sein“ im Wahlkampf
Wenn eine Wahl als Tanz am Abgrund verkauft wird
Jugendliche in Deutschland
Rechtssein zum Dazugehören
Jens Bisky über historische Vergleiche
Wie Weimar ist die Gegenwart?
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
Mitarbeiter des Monats
Wenn’s gut werden muss