ARD-Doku über die Piratenpartei: Selbstfindung einer Fraktion
Seit 100 Tagen sitzen die Piraten im Berliner Abgeordnetenhaus. Wie haben sie sich geschlagen? Die Doku "Piraten in der Politik" zeigt ein einseitiges Bild der Partei.
Die ganz große Peinlichkeit kommt direkt am Anfang. In einem Fernsehinterview antwortet Andreas Baum, damals noch Spitzenkandidat der Berliner Piraten, auf die Frage nach der Verschuldung der Hauptstadt, dass er es nicht genau wisse. Es müssten aber "viele, viele Millionen" sein. Nun ja, es waren und sind eher viele, viele Milliarden. Der Spruch wird zum Running Gag.
Der Film "Piraten in der Politik" von Nicola Graef und Torsten Mandalka, der heute Abend in der ARD zu sehen ist, beginnt vielversprechend. Szenen wie die des Spitzenkandidaten oder der nicht enden wollende Jubel auf der Wahlparty, als die erste Prognose zeigt, dass die Piraten ganz locker in das erste Landesparlament einziehen werden, stehen für sich.
Die Autoren zeigen am Anfang der 100 Tage, die sie die Piraten im Berliner Abgeordnetenhaus begleitet haben, das ungläubige Kopfschütteln der Protagonisten über den eigenen Erfolg. Das erste Mal Aufzug fahren im Abgeordnetenhaus, das erste Interview, die erste Fraktionssitzung. Etwas später dann: die ersten dienstlichen Termine, die ermüdend langen Debatten um Themen wie die Sitzordnung. Dabei lassen die Filmemacher ihre Protagonisten mit großen Zitaten zu Wort kommen: "Wir sind ein Befreiungsschlag einer Generation", sagt der Parlamentarische Geschäftsführer Martin Delius. Sein Fraktionskollege Christopher Lauer wird theatralisch: "Zum ersten Mal seit 27 Jahren macht mein Leben irgendwie Sinn."
Seine Stärken hat der Film gerade dann, wenn er die Jungpolitiker nicht nur Geschehnisse kommentieren, sondern sie auch agieren lässt. Daher hätten die Autoren am besten nach einer guten halben Stunde Schluss gemacht - oder zeigen können, wie die Piraten auch durchaus sachlich miteinander diskutieren, statt längliche Szenen vom Bundespresseball zu präsentieren. So bleibt das Bild einer Fraktion auf dem Selbstfindungstrip. In der Realität sind sie schon weiter.
"Piraten in der Politik": Montag, 23.1., 22.45 Uhr, ARD
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Misogynes Brauchtum Klaasohm
Frauenschlagen auf Borkum soll enden
Parteitag der CDU im Hochsauerlandkreis
Der Merz im Schafspelz