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FriedensfahrtDurch unendliche Landschaften

Weißrussland zeigt andere Seiten als das verengte Bild der osteuropäischen Halbdiktatur

Sommerabend in Weißrussland Bild: Max Mitenkov/sxc

Das Ende der Europäischen Union gleicht einer Reise in die Vergangenheit. Mitten durch eine scheinbar unendliche Landschaft aus Weizenfeldern, Wäldern, Seen und Sümpfen verläuft zwischen dem EU-Mitglied Litauen und Weißrussland die gesicherte Grenzanlage. Nach 3.000 Kilometern sind knapp 30 Friedensradler von "Bike for Peace and New Energies" hier angekommen. Sie sind in Paris gestartet, haben Frankreich, Deutschland, Polen und Litauen durchquert, bis Moskau wird der Demonstrationszug sieben Wochen dauern.

Weißrussland, dieses weite, unberührte Land mit seinen 10.000 Seen und 20.000 Flüssen, den Sumpfgebieten und Wäldern, eingequetscht zwischen Russland und der Europäischen Union, diese Land sehnt sich nach Aufmerksamkeit. Die Radler werden als Staatsgäste empfangen: Das Staatsfernsehen interviewt deutsche Kriegsdienstverweigerer, es wird bis zur Ankunft vier Tage später in Minsk jeden Tag in den Abendnachrichten über die russischen, weißrussischen und deutschen Fahrer berichten. Über Dimitri Nuss, der die gesamte Strecke von 4.067 Kilometern zurücklegt - trotz seiner spastischen Lähmungen. Oder über Joachim Braun, er organisiert seit 1991 Erholungswochenenden und Herzoperationen weißrussischer Kinder: Vor allem im Süden des Landes regneten die radioaktiven Wolken nach dem Reaktorunglück von Tschernobyl 1986 ab.

Gleich an der Grenze gesellt sich eine Gruppe Radler aus der nahen Stadt Oshmiani dazu. Ein Sportlehrer erzählt, wie er früher, als Litauen und Weißrussland Republiken der Sowjetunion waren, Freunde in Vilnius besuchte. Jetzt bräuchte er dazu ein Visum für 60 Euro. Die Gebühren erheben die EU-Staaten. Zu teuer für ihn. Der Mindestlohn in Weißrussland liegt bei 150 Euro. Seit 1994 ist Lukaschenko Präsident des Landes. Durch eine Verfassungsänderung ist er Alleinherrscher. Er richtet das Land nach Osten aus, nennt Russland einen Bruderstaat, seine konservativen Vaterlandsideale, die in den Schulen vermittelt werden, kommen vor allem auf dem Land und bei den Alten gut an. Valery Rassolko, ein 55-jähriger weißrussischer Weltenbummler, der die Tour durch sein Land minutiös geplant hat, verdreht genervt die Augen, wenn man Lukaschenko erwähnt: Man solle sich lieber das Land anschauen, die ins Unendliche verlaufenden, sanften Hügel und die schlichten Dörfer mit ihren Holzhäusern. Das gepflegte Minsk. Die Weißrussen sind stolz auf ihre junge Nation.

Radeln, ostwärts

Bike for Peace and New Energies ist ein Verein. Er organisiert in Anlehnung an Friedensfahrten in den 80er-Jahren seit 2006 jeden Sommer zirka 4.000 Kilometer lange Fahrradtouren von Paris nach Moskau. www.bikeforpeace.net

In Weißrussland wird die Tour vom Sportministerium und vom Radsportverband unterstützt. Für Organisator Konni Schmidt dient die Fahrt vor allem der Verständigung und Annäherung zwischen den Völkern. Zum Friedensmotto der Fahrt gehöre auch der Einsatz für erneuerbare Energien-die seien überall vorhanden und verhinderten künftige Kriege um Rohstoffe.

Im Kalten Krieg galt Belorussland als Werkbank der Sowjetunion, noch heute produziert die fast komplett unter der Kontrolle des Staates stehende Industrie Busse, schwere Lkw, landwirtschaftliche Geräte oder Abschussrampen für russische Atomraketen.

Auch Tatsiana Fadzeyeva durchquert ihr Land auf dem Rad, eine 24-jährige Juristin, die als Wahlbeobachterin für die Opposition bei den Präsidentschaftswahlen 2006 verzweifelte, weil die Beobachter von den Auszählungen ausgeschlossen wurden. Klar sei Lukaschenko ein Diktator, entfährt es ihr. Unter den Studenten soll es Spitzel geben. Das führt dazu, dass vielen kritischen Studenten das Risiko zu demonstrieren zu hoch ist. Man warte still auf den Tag X, an dem Lukaschenko weg ist.

Dann, sagt Aliaksand Lahvinetz, muss die momentan sehr schwache Opposition bereitstehen. Er ist die recht Hand von Alyksandr Milinkevich, der 2006 als vielversprechendster Oppositionskandidat gegen Lukaschenko verlor. Nun ist er Vorsitzender der "Nationalen Bewegung für Demokratie", die das Land Richtung Westen, zur EU führen will. Das Büro der Bewegung befindet sich in einer kleinen Wohnung in einem Hinterhof neben der Straße der Unabhängigkeit in Minsk, es gibt nicht einmal ein Klingelschild. "Weißrussland ist total gespalten: Es gibt einen extrem konservativen Teil und einen Teil, der Richtung Europa will", sagt der 37-jährige Lahvinetz. Er appelliert an die EU: Sie solle das Land nach Kräften unterstützen, und vor allem Deutschland habe für dieses Land eine besondere Verantwortung.

Gedenkstätte Chatyn: Friedhof der verbrannten Dörfer Bild: Veenix/cc-by3.0

Egal ob Student, Opposition oder altes Mütterchen: Das Trauma der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg prägt die Nation noch immer. Die Friedensfahrt führt durch viele Kleinstädte, und auf jedem Empfang spricht ein mit Orden behangener Veteran des Kriegs, die in Weißrussland noch immer als Helden verehrt werden. Deutsche Truppen und ihre lokalen Helfershelfer haben mindestens ein Viertel der zehn Millionen Bewohner des Landes erschossen, vergast, verbrannt. Wer kennt schon das Getto von Wolozin, einer Stadt, die fast komplett ausgerottet wurde und eine der weltweit berühmtesten jüdischen Schulen beherbergte. Die 260 Vernichtungslager, die Nazi- Deutschland im ganzen Land verteilt hatte. Oder das Dorf Chatyn in der Nähe von Minsk.

Am 22. März 1943 haben die Deutschen aus Rache wegen eines Partisanenangriffs mit lokalen Truppen die fast 190 Bewohner des Dorfes in ihre Kirche getrieben und bei lebendigem Leib verbrannt. Weißrussland hat dort eine nationale Gedenkstätte eingerichtet. Dazu gehört ein "Friedhof der Dörfer". Schwarze Quader stehen in der Mitte von mit grauem Kies ausgefüllten, quadratischen Gräbern, jeder enthält die Asche eines Dorfes. Es gab 186 Chatyns in Weißrussland, dazu kommen 433 Dörfer, die zerstört und nach dem Krieg wieder aufgebaut wurden. Die Veteranen erzählen von ihren Schlachten nicht mit Siegerpathos, sondern mit Schrecken. Zwei Wörter fallen dabei besonders häufig: "Druschba" und "Mir" - Frieden und Freundschaft.

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4 Kommentare

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  • C
    Chnurzi

    2008 habe ich mich den Friedensradlern bike4peace für den Abschnitt Deutschland bis Russland angeschlossen. Die Tour war gezeichnet durch eine chaotische Organisation und man befand sich unangekündigt im Fahrwasser der "alten autoritären Linken...".

     

    Auf den bike4peace Seiten habe ich nach der Tour einen Artikel veröffentlich, der inzwischen dort nicht mehr nachzulesen ist. Nachfolgend mein Kommentar zu dem Abschnitt Belarus:

     

    In Belarus sollte alles besser werden, weil dort ein Profi die Tour im Land organisierte. In der Tat, unsere „belarussischen Freunde“ behandelten uns wie Staatsgäste. Gleich an der Staatsgrenze gab es einen Empfang mit Reden, Trachten und einer Militärkapelle. Dabei wurde uns Fremden nach alter Tradition Brot und Salz angeboten. Ein schöner Brauch. Ab der Grenze fuhren wir im großen Pulk mit Polizei vorne und Krankenwagen hinten. Zu unserer Sicherheit, wie es hieß. Wir wurden so durch das ganze Land geführt, von Empfang zu Empfang, von Ehrenmal zu Ehrenmal, von Mahlzeit zu Mahlzeit, von Turnhalle (= Schlafplatz) zu Turnhalle, kurz zu allem, was wir sehen und worüber wir berichten sollten. Das Tagesprogramm war vollständig durchorganisiert. Nichts blieb dem Zufall überlassen, es bestand kaum die Möglichkeit, sich irgendwo auszuklinken, weil die Abhängigkeit von der straffen Organisation und der damit verbundenen Versorgung der Gruppe unausweichlich miteinander verknüpft waren.

     

    Zwei Ereignisse möchte ich erwähnen, wo das Besichtigungsprogramm nicht hinreichend mit dem Veranstalter abgestimmt worden sein kann, jedenfalls mir und anderen Friedensradler nicht vereinbar mit dem Zweck und den Grundsätzen dieser Reise vereinbar schien.

     

    Uns wurde kurz zuvor angekündigt eine Fabrik zu besichtigen, die Schwerstlastfahrzeuge bis zu 300 t Tragkraft herstellt. Die Firma „Belaz“ stellt in der Tat beeindruckend große Fahrzeuge her. Aber was hat das mit der Friedensbewegung zu tun? Einige kritische Teilnehmer fragten zu Recht, ob das Werk nicht auch Panzer herstellt? Technologisch wäre dies vorstellbar. Die Frage blieb offen. Nachträgliche Recherchen im Internet ergaben keine konkreten Hinweise zu dieser Vermutung. Um Irritationen zu vermeiden, sollten solche sensiblen Besichtigungen rechtzeitig den Teilnehmern bekannt gemacht und in einen Zusammenhang mit der Friedensfahrt gebracht werden.

     

    Ein anderes Mal, wiederum nur mit kurzer Vorankündigung, wurde ein Globus für ein Gruppenfoto vor einer Kunstdünger Fabrik aufgesucht. Der Globus war ein ausrangierter Gastank, diente aber werbewirksam für die Kunstdüngerfabrik.

    Man muss sich nun vorstellen wie die Friedensradler naiv vor dem Globus für das Gruppenfoto posieren.

    Wie kann das noch vereinbar sein mit dem Anspruch, für neue Energien einzutreten, wo jedermann weiß, dass Kunstdüngerfabriken energieintensive Betriebe sind, deren Energiebedarf nicht mit ein paar Windrädern zu decken ist? Außerdem widerspricht er dem Gedanken der „Nachhaltigkeit“.

     

    Verpflegung wurde uns reichlich angeboten. Das Wasser aus der Leitung war nicht trinkbar. Trinkwasser gab es nur in Flaschen abgefüllt oder als solches zu kaufen.

    Seit Betreten von Belarus waren die sanitären Anlagen ein unangenehmes Thema. Im Allgemeinen standen sie nicht in zureichender Anzahl zur Verfügung, waren eklig, oft nicht richtig funktionierend und für uns sehr gewöhnungsbedürftig.

    Auch kam es vor, dass in einem Ort kein Wasser aus den Hähnen bzw. in das WC kam. Das hätte sicher nicht sein dürfen. Man muss der Organisation hoch anrechnen, flexibel auf dieses Problem reagiert zu haben. Wir wurden kurzerhand in ein altertümliches Badehaus mit Sauna gefahren, das den Charme von Vorvorgestern hatte, aber voll funktionstüchtig war und uns allen ein ganz besonders einprägsames Erlebnis wurde, wovon ich heute noch schwärme.

     

    Was anfangs interessant, weil neu war, wurde auf die Dauer des Aufenthaltes in Belarus zur lästigen Pflicht. Das waren die zahllosen offiziellen Empfänge in den Ortschaften, die wir durchfuhren. Das Ritual war immer dasselbe: Eine Empfangsrede des Bürgermeisters an einer Bezirksgrenze mit Werbung für seinen Bezirk als Touristenziel oder vor einer Kulisse eines Denkmales vom ruhmreichen Sieg im großen vaterländischen Krieg über die Faschisten oder Gedenkstätten der Opfer mit noch überlebenden Veteranen, gefolgt vom Austeilen von Brot und Salz durch bildhübsche Trachtenfrauen mit abschließender Dankesrede der Bikeforpeace-Organisation.

     

    Aber es gab auch Momente, die mich persönlich berührten. Ich denke insbesondere an den Besuch der Gedenkstädte non Gorodeya in der Nähe von Mir, wo ein Dorf mitsamt seinen jüdischen Einwohnern von den Faschisten verbrannt worden war.

    Es berührte durch seine Schlichtheit und seine Unauffälligkeit und die unvorstellbare Brutalität der Besatzer.

    Genauso berührend war der Besuch der Gedenkstädte Chatyn zu Ehren der 2,5 Mio. Belarussen, bzw. deren Dörfer, die von den Faschisten in grausamster Art vernichtet worden sind.

     

    Für mich persönlich hat sich die Friedenfahrt dafür alleine schon gelohnt.

     

    Dagegen fand ich den offiziellen Umgang der Belarussen mit ihrer jüngsten Vergangenheit äußerst befremdlich. Es war nie Rede von ihren Kollaborateuren, die den Faschisten willig gedient hatten, oder von den Opfern des Stalinismus. Es gab nur Sieg über den Faschismus.

     

    Die Geschichte wurde dahingehend umgedeutet, dass die ruhmreiche sowjetische Armee im großen vaterländischen Krieg als Sieger über den Faschismus triumphierte. Die Denkmäler und Gedenkstätten, die wir gesehen haben, geben diese Inszenierung in der offiziellen Version unter Verwendung aufwändiger Materialien wie Stahl, Bronze, Stein und Beton wieder. Eine Aufarbeitung der Geschichte scheint nicht angefangen zu haben.

  • R
    rawapaschi

    2008 habe ich an der Friedensfahrt teilgenommen. Durch Weißrussland hindurch wurden wir von der Polizei als Staatsgäste eskortiert.

    Alle Autofahrer mussten in einem Tempo von 20 - 22 kmh hinter uns hertrödeln und durften uns nur dann überholen, wenn wir nach 1 bis 1,5 Std. ein Päuschen einlegten.

    Das hat sicher nicht zur Völkerverständigung und Friendensabsicht beigetragen.

    Der Staat instrumentalisierte leider die Friedensradfahrer zur autoritären Selbstdarstellung.

  • G
    goodfella

    Die Friedensfahrt sollte in Deutschland stattfinden. Wir hatten mit Kohl einen Verbrecher als Kanzler und unseren Politikern fällt nichts anderes ein, als der Dummpolitik der Amerikaner und deren israelischen Lobbyisten in Washington zu folgen und deutsche junge Menschen mit Waffen in die Welt zu senden. Die jungen Weissrussen haben noch gar nicht verstanden, wie es ist, wenn ein Land wie Amerika Einfluss gewinnt und an der Destabilisierung eines Landes arbeitet. Es ist schon ganz gut, dass jemand aufpasst.

  • M
    M.Eskandani

    Überall in Osteuropa hat Nazi-Deutschland gewütet. Nach 1945 aber sind 60 Jahr, mehr als ein halbes Jahrhundert ins Land gegangen. Für das, was in der Zeit geschafften worden ist, oder eben nicht, tragen die UDSSR und Weissrusland selbst die Verantwortung.Einen Herrn Lukaschenko hat kein Bundesdeutscher gewählt.