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Gelegentliche ReibungenDeutsch-türkische Parallelwelten

Tausende Deutsche fahren jedes Jahr nach Alanya in den Sommerurlaub, 4.000 haben sich sogar fest angesiedelt

Hasan Hazar sitzt auf einem Höckerchen hinter dem Fischstand in der Markthalle und ereifert sich. "Die Ehepaare mittleren Alters, die aus Europa hierher kommen, die trinken ständig. Die Männer haben Angst vor ihren Frauen, und die Frauen betrügen ihre Männer. Sie machen mit ihnen, was sie wollen." Nach und nach kommen noch ein paar andere junge Angestellte hinzu, jeder ein Glas Tee in der Hand - es ist Winter, nur hier und da verliert sich mal ein ausländischer Rentner auf den Markt. "Früher hat man für 25.000 Euro eine 160-Quadratmeter-Wohnung bekommen, jetzt kostet so was 100.000 Euro", schimpft einer der jungen Männer. "Und wieso? Weil sie das Geld von den Ausländern bekommen." Hasan Hazar setzt nochmal nach: "Die Europäer, die hierherkommen, und vor allem die Deutschen, die denken: Alanya gehört uns, die Läden hier gehören uns, die Leute auch, das gehört alles uns." Erst nachdem er seine Tirade beendet hat, fällt ihm auf, dass er mit einer Europäerin gesprochen hat. Das ist ihm peinlich.

Noch in den Siebzigerjahren war Alanya eine verschlafene Kleinstadt, in die sich nur gelegentlich ein paar ausländische Abenteurer verirrten. Der Strand war fest in türkischer Hand. Junge Mütter im hochgeschlossenen Badeanzug überwachten ihre Kleinen, und ältere Frauen im langen Kleid ließen sich von den Wellen wiegen, während die Gemeindeverwaltung über Lautsprecher die Sommerhits des Jahres erschallen ließ. In den engen Gassen des Stadtzentrums saßen ältere Männer in Anzug und Batschkapp in schummrigen Lädchen, wo sie Seilerwaren und landwirtschaftliches Gerät, mistverklebte Eier und Bananen von den umliegenden Plantagen verkauften. Gelegentlich trieb jemand ein Lastenkamel über den Schotter - der Orient.

Schon zehn Jahre später hatten Neckermann und TUI die langen Sandstrände entdeckt und sie zur "Türkischen Riviera" erhoben. Die Bewohner von Alanya begannen fieberhaft, zweistöckige Häuser in ihren Gärten zu errichten, um Zimmer zu vermieten; in einer zweiten Bauphase dehnte sich die Stadt aus und wurde um hunderte von Bettenburgen bereichert. Inzwischen lassen sich jedes Jahr anderthalb Millionen Ausländer hier den Bauch rösten.

Die Geschäftsleute von Alanya stellten rasch fest, dass die Deutschen hier am liebsten genauso leben wollten wie zu Hause. Also nahmen sie Scheibletten, Kaffeesahne, Tütensuppen von Knorr und Wella-Shampoo in ihr Warenangebot auf, schrieben ihre Speisekarten auf Deutsch und stellten junge Männer ein, die Deutschkenntnisse besaßen. Diese Integrationsleistung seitens der Einheimischen wurde durch den Umstand erleichtert, dass es sich um zahlende Gäste handelte. Das Einkaufsverhalten der deutschen Kunden war für die Ladeninhaber jedoch zunächst gewöhnungsbedürftig, wie Izzet Turgut vom Kale-Supermarkt grinsend einräumt: "Die Deutschen kaufen oft eine einzige Tomate oder eine einzelne Gurke. Das fanden wir am Anfang sehr seltsam. Bei uns kauft man wenigstens ein, zwei Kilo." Die Händler in der Markthalle sehen sich außerdem damit konfrontiert, dass die Deutschen sich türkischer zu benehmen versuchen als die Türken: Sie feilschen. Hasan Hazar, der junge Fischverkäufer, findet das ziemlich schäbig: "Die versuchen immer den Preis zu drücken, obwohl es ihnen wirtschaftlich besser geht als uns." Auch der Gemüsehändler Ali Ergenc hat diese Erfahrung gemacht. "Ich habe hier Festpreise, die stehen auf den Schildern angeschrieben", sagt er. "Aber wenn sie trotzdem feilschen, gebe ich ein bisschen mit dem Preis nach." Und er fügt in guter türkischer Tradition hinzu: "Kann ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?" Kleinlichkeit ist nicht gut angesehen in der Türkei.

Die meiste Zeit leben die Deutschen in einer Parallelwelt. Sie wohnen in den Touristenhotels in Sichtweite des Strands, gehen dort essen und einkaufen, betrinken sich dort, lesen die Bild-Zeitung und den deutschsprachigen Alanya-Boten. Ab der fünften Häuserreihe hinter dem Strand beginnt das Leben der Einwohner von Alanya. Dort ist alles kleiner, grauer, bescheidener und billiger. Und es gelten andere Werte.

Wenn die beiden Welten sich überlappen, kommt es gelegentlich zu Reibungen. Safiye Avce ist in Deutschland aufgewachsen und spricht recht gut Deutsch. Sie trägt ein Kopftuch und ist mit Remzi Avce verheiratet, der ein Reisebüro betreibt und nebenher als Vizevorsitzender der örtlichen AKP, der moderat islamischen Regierungspartei, fungiert. Eigentlich gebe es keine Probleme mit den Deutschen, erklären die beiden. Man habe eben unterschiedliche Gewohnheiten. Die Deutschen dürfe man nie besuchen, ohne sich vorher angemeldet zu haben. Umgekehrt sei das nicht so. Aber sie hätten sich daran gewöhnt. Dass die Deutschen alles ein Jahr im Voraus planen wollten, komme ihr entgegen, erklärt die junge Frau. Auch sie habe in Deutschland das Planen gelernt. Nicht gewöhnt hat sich Safiye Avce hingegen daran, dass immer wieder Frauen im Bikini in der Stadt herumlaufen. "Sie könnten wenigsten ein T-Shirt überziehen", meint sie. "Es ist nicht schön, dass sie in einem anderen Land Dinge tun, die sie zu Hause nicht tun."

Ein noch heikleres Thema sind die ausländischen Frauen mittleren Alters, die in die Türkei kommen, um sich einen jüngeren Liebhaber zuzulegen. Schon weibliche Prostitution ist in der Türkei ein Tabuthema. Dass aber Frauen sich Männer suchen und bezahlen, ist unerhört. "Wir finden es seltsam, wenn eine 70-jährige alte Tante mit einem 20-Jährigen zusammen ist", erklärt Remzi Avce vorsichtig. "Die alten Frauen wollen glücklich sein und die jungen Männer sind hinter dem Geld her, anders kann man das nicht nennen." Die Suche der ausländischen Frauen nach Frischfleisch ist ein immer wiederkehrendes Thema. In Alanya wird gern behauptet, die Männer, die sich auf solche Liaisons einlassen, seien Türken, die in Deutschland aufgewachsen sind und sich jetzt in der Türkei nicht mehr anpassen könnten - Männer also, die in Europa ihr Moralgefühl verloren hätten. Doch das ist eine Schutzbehauptung. Manche berichten, unter den einheimischen jungen Männern gebe es geradezu Konkurrenz um die Frage, wer sich die ergiebigeren Frauen anlacht. Verurteilt werden die deutschen Frauen, verlacht die deutschen Männer, weil sie die Frauen nicht im Zaum halten können.

Unmoral - das ist der Eindruck, den viele von den Europäern haben. Dazu gehört auch der Alkoholgenuss. Der findet zwar zumeist in der Touristenwelt in Strandnähe statt, wird aber von Kellnern und Restaurantbesitzern in die türkische Stadt getragen. "Vor allem die Leute, die hier fest wohnen, verlieren die Kontrolle über sich selbst, wenn sie erst mal in einer Bar heftig getrunken haben. Das merken sie erst morgens früh. Nachdem sie zwei Kaffees getrunken und zwei Zigaretten geraucht haben, vergessen sie es wieder", sagt das Lästermaul Hasan Hazar.

Ob es nun um das schnelle Abenteuer geht, um den schnellen Rausch oder die schnelle Bräunung - die meisten Ausländer reisen nach ein, zwei Wochen wieder ab. Aber nicht alle. 8.000 Ausländer leben mittlerweile in Alanya, die Mehrheit von ihnen sind Europäer, und die Mehrheit dieser Europäer sind Deutsche - etwa 4.000 sind es.

Vor allem den Deutschen sei es wichtig, aus der Parallelwelt der Ausländer auszubrechen und mit Türken in einem Haus zu wohnen, versichert Seyhan Arabace. Die junge Frau ist Immobilienmaklerin und über die vielen ansiedlungswilligen Ausländer erfreut. Seyhan Arabaces modernes, völlig verglastes Büro liegt an der Hauptstraße, nicht weit vom Kale-Markt entfernt. Natürlich habe das Interesse der Ausländer die Immobilienpreise in die Höhe getrieben, räumt sie ein. Doch hätten insbesondere die Ansprüche der Deutschen auch die Qualität der Bauten verbessert: "Engländer oder Dänen gehen einfach rein in eine Wohnung und sagen: Oh, was für ein schöner Marmor, und die Türen sind sehr schick. Aber die Deutschen sind ganz genau, die gucken: Wie dick sind die Wände, wie ist gefliest? Davon haben inzwischen auch die hier lebenden Türken viel gelernt."

Das Zusammenleben von ansässigen Deutschen und Türken gestaltet sich weitgehend friedlich. Die meisten Deutschen lernen mit der Zeit ein wenig Türkisch, sie treten Vereinen bei - und sie wissen bestimmte Vorzüge der Türken zu schätzen, wie Nüvit Özkan von der Stiftung "Alanya kennenlernen" anmerkt: "Europäer, die hier in einem Apartmenthaus wohnen, bekommen dauernd von ihren Nachbarn Hilfe angeboten. Sie bringen Essen vorbei, erkundigen sich, wies geht, helfen, wenn man krank ist. Den Europäern ist das fremd."

Akif Bakal ist der Direktor des örtlichen Gefängnisses. In seiner Freizeit sucht er gern das Café Nostalghia auf, wo sich Deutsche treffen. "Ich meine, wir haben uns aneinander gewöhnt", meint er. "Manche fangen an, so zu denken und zu essen wie wir. Und ich habe ein paar deutsche Freunde, die möchte ich nicht mehr missen. Aber wer sich nicht anpasst, der bleibt eben allein."

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