Werbung und Wirklichkeit: Kuh-Romantik mit Hörnern
Deutsche Milchkühe haben keine Hörner. Auf Verpackungen sind sie jedoch behörnt auf Blumenwiesen abgebildet: Konzerne schaffen eine Naturillusion.
MÖNCHENHOLZHAUSEN taz | Wenn sie sich jetzt nicht bewegt, kriegt sie einen Schlag. Das weiß die Nummer 56.375, sie kennt die mit Strom geladene Stange, die auf sie zukommt. Deshalb trottet sie ins Melkkarussell und lässt sich von vier Pfropfen die Milch aus ihrem Euter saugen. Die Nummer 56.375 ist eine Kuh, die Zahl steht auf ihrer Ohrmarke. Sie ist ihr Name. Mit 49 anderen Tieren teilt sie sich eine 400 Quadratmeter große Stallbox.
56.375 wird wohl vier bis viereinhalb Jahre hier leben, zwischen Melkkarussell und Maissilage, bevor sie geschlachtet wird. In dieser Zeit wird sie nie länger auf einer Weide stehen.
Dennoch verkaufen die Lebensmitteldiscounter Lidl und Aldi-Nord Milch von Nummer 56.375 und anderen Kühen der Agrar-GmbH im thüringischen Mönchenholzhausen in Packungen, auf denen Kühe auf grünen Wiesen abgebildet sind.
Und auf den Bildern haben die Rinder auch Hörner. Obwohl 56.375 keine hat und die große Mehrzahl aller deutschen Milchkühe enthornt wird. Wenn die Hornansätze bei Kälbern mit einem Stab ausgebrannt werden, wachsen die Hörner nicht. „Nur die, die uns durch die Lappen gegangen sind, haben noch Hörner“, sagt Peggy Käferle, Geschäftführerin der Agrar-GmbH. Die Enthornung, sagen Bauern, ist wichtig, sonst könnten sich die Kühe im Stall mit den Hörnern gegenseitig verletzen – oder Menschen.
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Der Wunsch: "Die taz sollte sich mehr mit Lebensmitteln und deren Verfälschung befassen", schrieb uns Burchard Bösche aus Hamburg, "mit den Lebensmittelpackungen, die mit ihren Bildern etwas vorgaukeln, was nicht der Realität entspricht (zum Beispiel die Kühe mit Hörnern auf der Milchpackung)."
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Die Herkunft von Milch der Marken „Milsani“ und „Milbona“, die Lidl und Aldi-Nord verkaufen, verraten die Molkereinummern auf den Kartons. Die „DE TH 601 EG“ steht für die Milchwerke Thüringen. „Wir sind einer der größten Lieferanten der Milchwerke“, sagt Agrar-GmbH-Chefin Käferle. Zudem bestätigt eine zuständige Molkereimitarbeiterin: „Die meisten unserer Betriebe halten die Kühe überwiegend im Stall.“
Weder die Aldi-Nord-Zentrale noch die Pressestelle des Milchwerke-Mutterkonzerns Humana dementieren, dass die Kühe ihrer Bauern meist im Stall leben und enthornt werden. Auf den Vorwurf, die Abbildungen täuschten den Verbraucher, antworten sie nicht. Sie wissen: Zwar verbietet Paragraf 11 des Lebensmittel-Gesetzbuchs, auf Packungen „zur Täuschung geeignete“ Darstellungen insbesondere über „Ursprung, Herkunft oder Art der Herstellung“ zu drucken. Doch es ist schwer, das vor Gericht durchzusetzen.
„Die Milchpackungen sind nur ein Beispiel dafür, wie die Ernährungsindustrie die Verbraucher hinters Licht führt“, sagt Agrarexpertin Reinhild Benning vom Bund für Umwelt und Naturschutz. „Die Konzerne malen nach Kräften am Idyll einer naturverbundenen Landwirtschaft, die es kaum noch gibt.“ So würden die Unternehmen auf Packungen mit Hähnchenfleisch aus industriellen Mastanlagen „Wiesenhof“ schreiben und die Haltung von Legehennen in Käfigen in „Kleingruppenhaltung“ umbenennen.
„Das tut die Branche, weil viele Kunden Milch aus umweltfreundlicher, artgerechter und regionaler Produktion bevorzugen“, sagt Benning. Um die tier- und klimafreundliche Weidewirtschaft zu erhalten, bräuchten Bauern einen fairen Preis für die Weidemilch. „Grünland-Bauern haben aber so lange keine exklusive Chance am Markt, wie jeder mit glücklichen Kühen auf der Wiese werben darf.“
Die Milchpackungen aus den Lidl- und Aldi-Nord-Regalen sind ein Beispiel unter vielen. Der Discounter Netto druckt auf Milch der Marke „Gutes Land“ von der Hohenloher Molkerei in Schwäbisch-Hall Kühe mit Hörnern auf einer von gelben Blümchen übersäten Weide. Dabei sagt die Netto-Pressestelle: „Der Anteil der Kühe, die überwiegend auf der Weide stehen, liegt schätzungsweise im oberen einstelligen Prozentbereich.“ Ist das nicht Täuschung des Kunden? Die Abbildungen seien „branchenüblich“, antwortet Sprecherin Christina Stylianou.
Auch der niederländische Molkereikonzern Friesland Campina will nichts von Verbrauchertäuschung wissen. Zwar holt er seine Frischmilch der Marke „Mark Brandenburg“ nicht von dort, sondern „von Landwirten aus Nordrhein-Westfalen, der Rest kommt aus Hessen und Rheinland-Pfalz“, wie das Unternehmen schreibt. Die Molkerei stehe in Köln. Doch der Hauptanteil der Rohmilch für alle „Mark Brandenburg“-Artikel zusammen – also auch etwa für die Butter oder Joghurts – stamme aus dem Bundesland.
Die Verpackungen von Biomarken sind realitätsnäher, denn Ökokühe stehen in der Regel tatsächlich auf der Weide. Das schreiben die EU-Regeln für den Ökolandbau vor.
Doch bei den Hörnerbildern nehmen es auch manche Biofirmen nicht so genau. Die Ökosupermarktkette Basic etwa zeigt auf Milchkartons eine behornte Kuh. Die in Berlin verkauften Packungen kommen aber von der Gläsernen Meierei in Mecklenburg. Deren Landwirtschaftsexperte Thomas Kröber räumt ein, dass rund 90 Prozent ihrer Bauern die Kühe enthornen. „Unser neues Verpackungsdesign verzichtet gänzlich auf Abbildungen von Kühen“, sagt allerdings Basic-Sprecherin Swaantje Katz. Sie würden 2011 eingeführt.
Lediglich der Bio-Anbauverband Demeter verbietet das Enthornen konsequent. „Nur vier unserer 513 Milchviehbetriebe in Deutschland haben eine gültige Ausnahmegenehmigung“, sagt Qualitätsmanager Jochen Leopold. Die gebe es zum Beispiel nach einem schweren Unfall mit behornten Tieren.
Umweltschützerin Benning hat wenig Verständnis für Einwande von Bauern, dass Hörner grundsätzlich die Verletzungsgefahr vergrößerten. „Die Haltungsbedingungen müssen an die Tiere angepasst werden, nicht umgekehrt“, sagt Benning. So würden zum Beispiel weniger Unfälle geschehen, wenn die Herden kleiner wären und die Tiere sich auch im Freien bewegen könnten.
Damit auch die Aldis, Lidls und Nettos ihre Milch ehrlicher bewerben, fordert Benning effektivere Gesetze. „Hersteller und Händler müssen auf allen tierischen Produkten kennzeichnen, wie und wo die Tiere gehalten werden“, sagt die Aktivistin. Es müsse auch eine klare Regelung geben, aus welchem Umkreis ein „Regionalprodukt“ kommen darf. Dann könnten Verbraucher sich auch leichter für die Milch entscheiden, die sie wirklich trinken wollen.
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