NGO-Mitarbeiterin über Geld und Klimaschutz: "Die Armen gehen aufeinander los"
Weniger Regenzeiten, weniger Ernten: In ärmeren Ländern schlägt der Klimawandel durch. Um das zu stoppen, reicht das Geld nicht, kritisiert Tonya Rawe von CARE.
taz: Frau Rawe, werden die Klimaverhandlungen hier in Cancún den Interessen der Armen gerecht?
Tonya Rawe: Die Interessen der am meisten verwundbaren Menschen, der Armen in den armen Ländern, werden dann berücksichtigt, wenn wir ein Abkommen bekommen, das ausreichend finanziert ist und das die weltweiten Emissionen wirklich reduziert. Es gibt in den Verhandlungspapieren derzeit ein paar Nuggets, die viel versprechend sind. Aber solange das alles nur in einer Textvorlage steht, haben die Menschen überhaupt nichts davon.
Aber bei der letzten Klimakonferenz in Kopenhagen wurde bereits Geld versprochen.
Es gibt das Geld für den schnellen Start, aber ein wirkliches Abkommen würde uns in die Lage versetzen, dieses Geld mit echten Handlungen bei Anpassung und Reduzierung zu verbinden. Wir haben zu lange gewartet mit den Emissionsreduzierungen, deshalb müssen wir jetzt verstärkt auf die Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel setzen.
Was fordern Sie von den Verhandlungen?
TONYA RAWE vertritt den US-Zweig der Hilfsorganisation CARE auf den Klimaverhandlungen in Cancun. CARE arbeitet in 72 Staaten und ist mit 15.000 Mitarbeitern und einem Spendenaufkommen von 122 Millionen Euro (2009) eine der größten privaten Hilfsorganisationen weltweit.
Der bisherige Rahmen, der verhandelt wird, hat gute Ansätze. Wir brauchen eine Rahmenregelung und ein Komitee, das auf UN-Ebene die Arbeiten in den einzelnen Ländern koordiniert. Diese Stelle sollte den Entwicklungsländern helfen, ihre Vorschläge zur Anpassung an den Klimawandel zu entwickeln, und dafür muss die Finanzierung gesichert sein. Aber bisher ist das nur ein Stück Papier.
Reicht das Geld, das vor einem Jahr in Kopenhagen versprochen wurde?
Nein, was in Kopenhagen beschlossen wurde, ist keinesfalls ausreichend. Dort haben sich die Industriestaaten verpflichtet, für 2010 bis 2012 insgesamt 30 Milliarden Dollar zur Verfügung zu stellen. Das ist ein guter Ansatz, aber es gibt keine Ausgewogenheit zwischen dem Geld für Anpassung und dem für Maßnahmen zur Emissionsreduzierung. Das knappe Geld führt zu einer furchtbaren Situation hier auf der Konferenz: Die armen Länder kämpfen gegeneinander darum, wer der verletzlichste und bedürftigste Staat ist. Sie gehen aufeinander los, weil sie wissen, dass ihre Bedürfnisse nicht erfüllt werden.
In Kopenhagen sind auf lange Sicht 100 Milliarden Dollar jährlich versprochen worden. Das ist eine Menge Geld. Aber Sie sagen, auch das ist nicht genug.
Nein, es reicht vorn und hinten nicht. Die Weltbank hat letztes Jahr errechnet, dass wir allein für Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel aus öffentlichen Geldern 100 Milliarden Dollar brauchen. In Kopenhagen sind ja 100 Milliarden versprochen worden, aber als Geld aus privaten und aus öffentlichen Geldern und sowohl für Anpassung als auch für Emissionsreduzierung.
Was merken Sie konkret vom Geldmangel?
In unserer täglichen Arbeit müssen wir Entscheidungen treffen: In welchen Ländern arbeiten wir und welche Projekte können wir machen. Wir müssen da harte Prioritäten setzen. Momentan fehlt es vor allem daran, die Menschen auszubilden, sich auf die Folgen des Klimawandels einzustellen und selbst aktiv zu werden.
Was merkt CARE vom Klimawandel in der täglichen Arbeit?
Unsere Länderbüros sehen bereits die Auswirkungen des Klimawandels. Sie beobachten, wie sich die Jahreszeiten verschieben. An manchen Orten, wo es früher zwei Regenzeiten und zwei Ernten gab, gibt es nur noch eine. Das beeinträchtigt enorm die Ernährungssicherheit dieser Regionen. Der Regen kommt unregelmäßiger und Menschen in extremer Armut können nicht vorplanen und Vorsorge treffen, wie sie es gewohnt sind.
Sie wirken enttäuscht. Haben Sie von Cancún mehr erwartet?
Wir sind weniger von der Konferenz enttäuscht als von den Staaten. Wir kamen nach Cancun und wussten, wir kriegen nicht das faire, anspruchsvolle und verpflichtende Abkommen, das wir brauchen. Aber wir benötigen einen konkreten Anhaltspunkt für Fortschritt, damit wir uns nicht im nächsten Jahr wieder fragen, wenn wir zur Konferenz nach Südafrika fahren: Warum sind wir hier, was machen wir hier, erreichen wir irgendwas?
Die Politik auf Klimakonferenzen erscheint oft kaltherzig. Werden die Armen von der Geopolitik als Geisel genommen?
Die Länder kommen natürlich alle mit ihren eigenen Positionen zur Konferenz. Wir versuchen immer wieder klar zu machen, dass es hier nicht um Politik geht, sondern um Menschen. Menschen, die sehr arm und sehr verwundbar sind, die an dem Problem Klimawandel nicht schuld sind, aber am härtesten davon getroffen werden. Wenn wir Fortschritte machen und ein ausgewogenes Paket für Anpassung und Finanzierung bekommen, dann sind die Armen nicht die Geiseln dieser Verhandlung. Wenn wir das immer im Kopf haben, kann uns das zu einem Abkommen bringen, das wir brauchen.
Das kann es, aber tut es das auch?
Wir kämpfen dafür. Jeden Tag.
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