piwik no script img

die wahrheitRobbende Rentner

Kriminalität gegen Alte. Die fiesen Tricks der deutschen Rollator-Mafia. Der Platz neben dem Telefonschränkchen war plötzlich so leer. Gerlinde Wolf kann es immer noch nicht fassen...

...dass er nun fort ist - ihr Rollator. Gleich auf dem Weg zur Morgentoilette bemerkte sie es, das weiß sie noch ganz genau, denn diesen Schock wird sie nie mehr vergessen. "Sie müssen nachts gekommen sein - oder in der Dämmerung", krächzt Oma Gerlinde und ist dabei den Tränen nahe. "Wie soll ich denn nun noch aus dem Haus kommen?"

Gerlinde Wolf ist Opfer der skrupellosen Rollator-Mafia geworden, die gerade die Rentnerszene in Deutschland aufmischt. Und sie ist bei weitem kein Einzelfall, überall in der Bundesrepublik häufen sich solche dreisten Diebstähle von Gehhilfen.

Orthopädieexperten und Polizei schätzen die Zahl der in diesem Jahr verübten Diebstähle bereits auf 10.000 bis 15.000. "Die Dunkelziffer ist dabei ausgesprochen hoch", sagt Gesundheitsexperte Dr. Magnus Eckstein. "Viele Betroffene haben schlichtweg zu viel Angst, Anzeige zu erstatten. Sie schämen sich oder kommen mangels Gehhilfe gar nicht erst zur Polizeiwache."

Zunächst waren es vor allem osteuropäische Banden, die auf Krücken- und Rollator-Beutezüge gingen. Jedoch rutschen als Folge der Wirtschaftskrise auch immer mehr perspektivlose Deutsche ins sogenannte Ortho-Crime-Milieu ab. Mit dramatischen Folgen: Längst haben sich die vereinzelten Diebstähle in eine systematisch geplante, organisierte Kriminalität verwandelt, die auf mafiöse Strukturen zurückgreift und mit Geschick die Geschäfte am Laufen hält.

So sind inzwischen auch Überfälle auf offener Straße nicht mehr selten, bei denen wehrlose Alte überrumpelt und beraubt werden. Die Täter gehen dabei äußerst trickreich vor und suchen sich als Opfer die Schwächsten aus, die sie durch aufwendige Kostümierung als gehbehinderte Artgenossen täuschen.

Andernorts setzen die Kriminellen auf Großaktionen, wie etwa im Sachsen, wo bereits dutzende Pflegeheime komplett ausgeraubt wurden. Die Heime, die naturgemäß eher schlecht gesichert sind, konnten den Ganoven keinen großen Widerstand leisten. Zurück blieb ein Bild der Verwüstung. Hunderte Alte und Kranke, die völlig verängstigt die Gänge entlangrobbten und versuchten, sich in Sicherheit zu bringen.

Vor allem in Sachsen und ganz Ostdeutschland ist die Lage dramatisch. Hier finden die Gauner unzählige Orte, die seit Jahren der schleichenden Überalterung preisgegeben wurden und nun fette Rollator-Beute versprechen.

Aber nicht nur der Rollator ist im Visier der Langfinger - Rollstühle, Krücken und Prothesen werden ebenso gestohlen. Vor allem im Fall der Prothesen ist der Diebstahl doppelt schlimm, denn die teuren Maßanfertigungen haben oft auch einen sentimentalen und ideellen Wert für die Patienten. Perfiderweise gehört zum System auch die Kontrolle des Markts für Prothesen und künstliche Gelenke.

Hierzu werden Orthopäden mit Mafiatricks und Gewaltandrohungen zum Schweigen gebracht. Gezwungenermaßen müssen sie die Hehlerware der Diebe zu horrenden Summen an die Betroffenen zurückverkaufen - 15.000 Euro für ein falsches Bein oder eine unechte Hand sind dabei keine Seltenheit.

Doch viele Rentner haben kein Geld, um ihre Gehhilfen und Prothesen zurückzukaufen, und auch die Krankenkassen sind weitgehend machtlos. Verschriebene Ersatzgehhilfen und -prothesen kommen nicht bei den Patienten an, weil sie über die dunklen Orthopädennetzwerke vorher im Mafiakreislauf verschwinden.

Die Politik zeigt sich zwar bestürzt über die Lage und fürchtet gerade jetzt zur Bundestagswahl einen massiven Stimmverlust, weiß aber nicht so recht, wie sie der Lage Herr werden soll. Einzig ein Einsatz der Bundeswehr im Inneren könnte noch helfen, wie Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble fordert. Schäuble selbst hat einstweilen aus Furcht vor Diebstahl seines Rollstuhls einen privaten Sicherheitsdienst für dessen Schutz geordert.

Doch ganz ohne Intervention wird sich die Situation kaum bessern, darauf darf man nicht hoffen. Eher verschlechtert sie sich noch. So gibt es schon erste Anzeichen, dass die Erlöse aus dem Prothesen- und Gelenkhandel zur Finanzierung eines gigantischen Medikamentencoups dienen sollen. Davor hat auch Gerlinde Wolf panische Angst. "Wenn sie mir jetzt noch meine Pillen wegnehmen, dann ist es aus!", sagt sie und umklammert mit ihren runzligen Fingern ein Päckchen Beruhigungstabletten. Die wird sie jetzt wirklich gut gebrauchen können.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

4 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • M
    malczik

    @observer: du sumpfnase!

  • G
    Grumbler

    Ein wahnsinnig intelligenter und sohoho origineller Artikel. Da lohnt sich richtig die Zeitverschwendung.

  • O
    observer

    Dem Türken Kadim Sanli, der in Hessen bei der Landtagswahl auf Platz 18 der Liste antrat und die These vertritt, dass Menschenfleisch per Gesetz zum Verzehr freigegeben werden muss, anstatt das wertvolle proteinhaltige Material auf den Friedhof zu tragen - folge leistend, sollten die Opfer (die Alten, Beraubten) als Hunde- und Katzenfutter verwertet werden. Damit würde die Pein für die Betroffenen ein Ende haben und sie würden einen gesellschaftlichen nützlichen Weg beschreiten. Die eingesparten Kosten (Renten, Unterbringung, Pflege)könnten so nützlichen Projekten zu Gute kommen.

  • M
    martina

    naja.

    über humor lässt sich ja ebenso wie über geschmack streiten.