piwik no script img

die wahrheitAb ins Paradies

Drei Jahre ohne Vorhölle - eine Bestandsaufnahme

Soeben hat der Papst das Wort "Kondom" in den Mund genommen - und die Welt stand still! Doch hat der Vatikan nicht in Sachen Sexus und Fortpflanzung manch anderes Problem als die gemeine Lümmeltüte? O ja! Wir erinnern uns. Vor drei Jahren hat der Vatikan offiziell die Vorhölle geschlossen.

Der Limbus, so die korrekte Postadresse, galt jahrhundertelang als ewig währendes jenseitiges Auffanglager für ungetauft gestorbene Kleinkinder, denen zwar durch den Makel der noch nicht erfolgten Taufe der direkte Weg ins Himmelreich verwehrt wurde, die aber auch durch ihren frühen Tod noch nicht den Gefahren und der Versuchung eines sündigen Lebens ausgesetzt waren.

Eine knifflige Situation, die allerdings im Jahr 2007 recht souverän gelöst wurde, in dem der Vatikan erklärte, seine klerikalen Zentraldenker seien nach zwei Jahren des Nachgrübelns zu der Auffassung gelangt, dass ungetaufte Kinder nun doch directement ins Paradies kämen.

Obwohl der traditionelle Glaube an den Limbus nie offiziell zur Kirchenlehre gehörte, befand seinerzeit der theologische Ausschuss, dass die Vorhölle "eine unzulässige Sicht der Erlösung" darstelle, da es "theologische Grundlagen und ernst zu nehmende Liturgien gibt, die hoffen lassen, dass ungetaufte Säuglinge erlöst werden, wenn sie sterben." Aha.

Eine Erkenntnis, die den kleinen Seelen doppelt entgegenkommen dürfte, denn in den mittelalterlichen Glaubenskonstrukten - also vor 2007 - tummeln sich im Limbus neben besagten ungetauften Kleinkindern vor allem gute Menschen, die vor Christi Geburt gestorben sind. Und ob nun ausgerechnet diese beiden Parteien sich viel zu sagen hätten, um die gemeinsame Ewigkeit möglichst unterhaltsam zu gestalten, darf zumindest angezweifelt werden.

Was aber hat sich in den vergangenen drei Jahren seit der offiziellen Schließung getan? Wurden auch die bis 2006 gestorbenen Babys rückwirkend in den Himmel beordert? Und was zum Teufel wurde nach der Abschaffung der Vorhölle aus den vor unserer Zeitrechnung dorthin deportierten guten Menschen?

Allzu viele Konsequenzen der revolutionären Neuerung sind ja bis dato noch nicht bis an die Öffentlichkeit gedrungen. Vielmehr stellen sich neben den erwähnten auch noch eine Menge anderer Fragen, die sich seit der Limbus-Insolvenz aufdrängen. Was etwa passiert eigentlich nach ihrem Tod mit all den Agnostikern und Atheisten, die dennoch - quasi unbewusst - auch nach Christi Geburt ein gutes und moralisch topintegres Leben geführt haben? Die sich stets um christliche Werte wie Nächstenliebe oder gar Toleranz bemüht haben, nur eben ohne einen kirchlichen Dachverband?

Nehmen wir als Paradebeispiel doch einmal den Prototyp des guten Kerls: Lucky Luke. Der hatte sein Leben der Gerechtigkeit gewidmet, half den Armen und Schwachen, wo er nur konnte, war immer gut zu Tieren, respektierte grashalmkauend die Natur, hat sich den Überlieferungen nach nichts Bedenkliches zuschulden kommen lassen. Von vorehelichem Geschlechtsverkehr ganz zu schweigen.

Also unterm Strich ein durchaus guter Mensch - aber eben seinerzeit unterwegs im Wilden Westen. Ob er ein gläubiger oder lediglich ein einsamer Cowboy war, ist jedenfalls nicht einmal annähernd geklärt. Wurde also auch ihm die Ungnade der späten Geburt zuteil? Bringt er mittlerweile, wo auch immer, den Frühmenschen das Schießen bei? Oder ging es trotz seiner unstrittigen moralischen Qualifikation direkt ab in den Höllenkessel?

Falls dem unberechtigterweise so sein sollte, könnte man ihn dann nicht einfach mit der nächsten Ladung toter Säuglinge mit nach oben schicken? Denn dass der Vatikan lernfähig und gnädig ist, beweist ja die Tatsache, dass Galileo Galilei bereits im Jahre 1992 - nur schlappe 350 Jahre nach seinem Tod - großzügig rehabilitiert wurde und die Kirche damit offiziell zugab, dass die Erde wohl nun doch nicht der fixe Mittelpunkt des Universums ist. Da dürfte doch bei der Mord-und-Totschlag-gestählten Geschichte der Päpste auch noch was für einen verdammt einsamen Revolverhelden drin sein.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!