Weltmeisterschaft im Cricket: Normal ist das nicht
Wenn Indien und Pakistan aufeinandertreffen, liegen die Nerven blank. Mehr als eine Milliarde Zuschauer dürften das WM-Halbfinale im indischen Mohali verfolgen.
DELHI taz | Nicht nur Libyen, auch Indien besitzt eine No-Fly-Zone. Die ist allerdings etwas kleiner und liegt über dem Cricketstadion in Mohali, rund 250 Kilometer nördlich der Hauptstadt New Delhi. Hier herrscht am Mittwoch sublimierter Krieg, wenn die Erzrivalen Indien und Pakistan im WM-Halbfinale aufeinandertreffen. Die Nerven liegen blank: bei den Sicherheitskräften, Fans, Veranstaltern und Politikern gleichermaßen.
Cricket ist die nationale Leidenschaft der verfeindeten Nachbarn. Spiele zwischen Indien und Pakistan sind nicht nur Sport, sondern Ereignisse von nationaler Tragweite. "Am Tage der Begegnung werde eine Ausgangssperre auf dem Subkontinent herrschen", prophezeite Pakistans Cricket-Held Imran Khan. Mit fast einer Milliarde Anhänger in Indien, Bangladesch, Sri Lanka und Pakistan dürfte das Spiel in Mohali das meistgesehene Match aller Zeiten werden.
Obwohl alle Karten längst ausverkauft sind, warten immer noch tausende Menschen verzweifelt vorm Stadion in Mohali, das nur 30.000 Zuschauern Platz bietet. Die Sicherheitskräfte haben wohl alle Hände voll zu tun, die Menge im Zaum zu halten und das pakistanische Team, seine Fans und die vielen VIP-Zuschauer im Stadion zu beschützen. Flugabwehrraketen sichern die Umgebung, Militärhubschrauber und Kampfflugzeuge sind in Bereitschaft versetzt worden. Die Angst vor Terroranschlägen ist groß. Denn es ist das erste Mal seit dem schweren Attentat 2008 in Mumbai, dass die beiden Teams auf heimatlichem Boden aufeinandertreffen.
Die Beziehungen der beiden Länder sind seit dem Anschlag mit 166 Toten auf einem Tiefpunkt. Manche glauben, dass Cricket helfen kann, die Lage zu entspannen. Immerhin hat Pakistans Premierminister Yusuf Raza Gilani die Einladung seines indischen Kollegen Manmohan Singh zum Spiel in Mohali angenommen. Und Pakistans Team-Kapitän Shahid Afridi hofft darauf, dass das Match dazu beitragen könne, die "Beziehungen zu verbessern".
Indien ist Favorit
Nur wenige hatten ein indisch-pakistanisches Halbfinale erwartet. Beide Mannschaften mussten sich bei der WM 2007 wenig heldenhaft den Leichtgewichten Irland und Bangladesch geschlagen geben. Das pakistanische Team leidet zudem an den Folgen eines schweren Korruptionsskandals, in dem drei Spieler wegen Absprachen über den Ausgang von Wettkämpfen schuldig gesprochen wurden, doch das Team in Grün ist bei der WM neu auferstanden, hat fünf von sechs Spielen gewonnen und mit der Mannschaft der Westindischen Inseln im Viertelfinale einen der Turnierfavoriten deklassiert.
Dennoch gilt Indien als Favorit, weil es mit einigen exzellenten Schlagmännern an den Start geht. Zudem hat das Gandhi-Land den Heimvorteil und damit das Endspiel in Mumbai am 2. April fest im Blick.
Sicher ist, dass Millionen Cricketfans am Mittwochnachmittag nicht im Büro, in der Fabrik oder Werkstatt auftauchen werden. Der Ausnahmezustand wird in den beiden Nachbarländern ausbrechen, während sich die Menschen um die Fernsehgeräte scharen. Die wirklichen Probleme drohen aber nach dem Ende der Begegnung.
Die Anhänger nehmen Niederlagen gegen den Erzrivalen traditionell nicht sportlich, sondern persönlich. Als Pakistan 1996 die Weltmeisterschaft gegen Indien verlor, zertrümmerten Pakistanis reihenweise ihre Fernseher. Ein Student durchsiebte mit den Kugeln seiner Kalaschnikow den TV-Schirm und erschoss sich dann selbst. Der Kapitän des Nationalteams, Wasim Akram, erhielt Todesdrohungen. Die Mannschaft musste statt in Lahore in Karachi landen, um vor erzürnten Fans sicher zu sein.
Auch indische Fans nehmen Schlappen ihres Teams nicht auf die leichte Schulter: Nach der Niederlage Indiens im World Cup 2007 demolierte eine verärgerte Menge das Haus von Spieler Mahendra Singh Dhoni in Ranchi und schrie: "Stirb, Dhoni, stirb!" In vielen Städten verbrannten Fans Puppen und Bilder von Spielern. "Es ist an der Zeit, dass indische Cricketfans erwachsen werden und Niederlagen als einen Teil des Spieles akzeptieren", sagte der frühere Kapitän des englischen Nationalteams, Mike Atherton, jüngst der Zeitung The Times. Nach dem Spiel wird man wissen, wie reif die Rivalen sind.
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