piwik no script img

Nach dem Konvoi-AngriffGroße Empörung in Gaza

Das Empfangszelt für die Aktivisten der "Free Gaza"-Soliflotte ist nun zum Trauerzelt geworden. Die israelische Militäraktion eint die heterogenen politischen Lager im Gazastreifen.

Eine türkische Fahne und Trauernelken am Strand von Gaza-Stadt. Bild: ap

GAZA taz | Die Drucker in Gaza mussten Überstunden machen, um die veränderten Schriftbänder für die Trauerveranstaltung fertigzustellen. "Die palästinensische Führung verurteilt die zionistische Piraterie gegen die Friedensflotte nach Gaza" steht an einem der riesigen Zelte am Hafen. In mehreren Stuhlreihen halten dort palästinensische Männer Trauer für die neun Toten vom Vortag. Drei Tage dauert die Zeit des gemeinsamen Gedenkens an die erschossenen Freunde.

Auch die Frauen, alte und junge, kamen zahlreich zu der gestrigen Kundgebung am Hafen - alle verschleiert und mit schwarzen Umhängen bis zu den Füßen bekleidet. Die Gewerkschaft der palästinensischen Frauen gehörte ebenso zu den Veranstaltern wie nationale und islamistische Parteien. Die Empörung darüber, dass Israels Marine die auf Gaza zusteuernden Hilfskonvois kaperte, eint, so scheint es, für kurze Zeit die so heterogenen Reihen der Palästinenser. Fast alle Redner rufen durch das Megafon zu einer Versöhnung der großen Parteien Fatah und Hamas und zur Einheit im Volk auf.

In den Zelten am Hafen hatte der Empfang stattfinden sollen. Die Stühle standen schon bereit, genau wie die Blumen, weiße Nelken, für die Gäste. In manchmal etwas brüchigem Englisch sollten die Plakate die sechs Schiffe willkommen heißen, deren Ankunft die israelische Marine gewaltsam verhinderte. "Gaza hat einen Traum" heißt es auf einem der riesigen, bunten Plakate, "und ihr seid dabei, ihn wahrzumachen". Das Bild des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan lächelt in Übergröße in Richtung Meer. In türkischen Buchstaben werden "die Helden der Freiheitsflotte" bejubelt.

Rafah geöffnet

Ägypten hat am Dienstag seine Grenze zum Gazastreifen geöffnet und damit die von Israel verhängte Blockade des Küstenstreifens gelockert. Bis auf Weiteres könnten Palästinenser die Grenze ungehindert passieren, sagten ägyptische und palästinensische Behördenvertreter. Der Grenzübergang Rafah ist der einzige zum Gazastreifen, der nicht vollständig von Israel kontrolliert wird. Seit der Machtübernahme der radikalen Hamas in dem Palästinensergebiet vor drei Jahren hat Ägypten den Übergang nur selten geöffnet.

Humanitäre Hilfe: Ein ägyptischer Offizier bestätigte der Nachrichtenagentur Reuters gestern die Öffnung des Grenzübergangs Rafah mit der Einschränkung, Ägypten werde nur humanitäre und medizinische Güter durchlassen. Die Grenze soll unbefristet für medizinische und humanitäre Hilfskonvois offen sein. Hartstoffe - wie Beton oder Stahl, die für den Wiederaufbau benötigt werden - müssten weiterhin über Israel eingeführt werden. Doch Israel hält an der Blockade fest. (rtr)

Über politische Folgen, die der Tod der europäischen Aktivisten für Gaza haben könnte, wollten die am Hafen versammelten Palästinenser noch gar nicht spekulieren. "Wir sind so wütend", schimpft Rasha Abu Jalal, eine junge Frau, die schon am Montag zum Hafen kam, um ihr Entsetzen mit anderen zu teilen. "Die Leute, die herkommen wollten, um uns zu helfen und die so brutal angegriffen wurden, das ist einfach ganz schrecklich."

Das Leben sei schwer in Gaza, setzt Rasha fort, dabei ginge es gar nicht um die Güter, die der Hilfskonvoi bringen wollte. "Unsere höchste Priorität gilt nicht unbedingt den Produkten, die wir kaufen können, sondern wir wollen, dass die Grenzen aufgemacht werden, damit wir frei reisen können."

Dank des Schmuggels durch die nach Ägypten führenden Tunnel gibt es im Gazastreifen fast alles käuflich zu erwerben, wenn auch für viele zu unerschwinglichen Preisen. Die Hilfsschiffe hatten vor allem Baumaterial geladen, eine Ware, die Israel dem Gazastreifen aus politisch-strategischen Gründen verweigert und die gerade nach dem Krieg vor 17 Monaten so dringend für den Wiederaufbau gebraucht wird. Auch Ägypten lässt auf offiziellem Weg die Einfuhr von Beton und Eisen nicht zu.

Die propalästinensischen Aktivisten hätten sich mit eigenen Augen ein Bild von der Lage im Gazastreifen machen sollen. "Es war alles organisiert", sagt Fathi Tobail, ein ehemaliger Journalist, der unter der Hamas im Gazastreifen nicht mehr arbeiten kann. Es sollte Touren geben zu den im Krieg zerstörten Häusern und Besuche bei Familien, die Angehörige verloren haben. Auch die Unterkunft in meist privaten Quartieren war geregelt. Noch sind zwei weitere Schiffe der "Free Gaza"-Bewegung unterwegs, doch Tobail rechnet nicht mehr mit ihrer Ankunft.

Auch dass Israel die rund 10.000 Tonnen Waren, die sich auf den Schiffen befunden hatten, nun auf dem Landweg in den Gazastreifen lässt, glaubt der Journalist nicht.

Obschon die Schiffe den Hafen nicht erreicht haben, fühlen sich die vom Rest der Welt abgeschnittenen Menschen im Gazastreifen durch die Solidarität der europäischen Muslime und Friedensaktivisten in ihrer Hoffnung bestärkt und weniger allein. Fast alle Läden hielten ihre Rollläden verschlossen. Die Hamas ordnete aus Solidarität mit dem Hilfskonvoi den Streik an.

Vor allem die Türkei steht nun höher im Kurs als jede andere Nation. So stieg der Verkauf der roten Flaggen mit dem Halbmond von fast null auf 200 täglich. Ganze zwei Euro kostet das Stück. "Viele stecken sich die Fähnchen an ihre Autos", berichtet der Verkäufer im PLO-Flaggenladen. Das Geschäft im Zentrum von Gaza läuft so gut, dass nun eigens T-Shirts mit dem Kopf des türkischen Ministerpräsidenten gedruckt werden. Handgearbeitete Halstücher mit der palästinensischen und der türkischen Flagge hatte der Laden schon vorher auf Lager.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • BB
    big brother

    @ Pro Israel auch wenn ihr mich hasst dafür

     

    zu deienm namen, die tatsache das du/sie für israel einstehst/en bringt dir/ihnen keineswegs den hass aller ein die zu recht oder unrecht israel kritisieren.

    die brd ist keineswegs ein nettes plätzchen für offenen rassismus/antisemitismus(judaismus). und das ist doch schon mal was. könnte besser, aber auch wesentlich schlechter sein. ich hasse dich/sie nicht.

    informiere/n dich/sie_sich bei möglichst vielen quellen und höre/n sie auf zu pubertieren, nichts für ungut.

     

    die dikussion über das verhalten israels gegenüber den palästinensern muss bei klarem verstand, humaner ratio und in anbetracht der unveräusserlichen grundrechte geführt werden. alles andere widerspricht der aufklärung und der menschlichkeit.

     

    m.f.g der humanismus

  • PI
    Pro Israel auch wenn ihr mich hasst dafür

    Niemand weiß bis jetzt wer oder was genau sich an Bord befunden hat.Der Friedensprozess wird aber nicht dadurch scheitern, sondern ist durch den Terror der 90er Jahre schon längst gescheitert, als die Israelis wirklich bereit waren mit den Palästinensern Frieden zu schließen und dafür fast jede Woche ein Selbsmordattentat '' geschenkt'' bekamen. Man sollte sich also nicht wundern,wenn eine Gesellschaft bzw. deren Regierung, dann irgendwann die Schnauze voll hat und zu Maßnahmen wie Grenzabriegelung und gezielten Tötungen u.ä. greift.

    Noch ein Wort zur Türkei: Ich finde es erbärmlich und beschämend wie die türkische Regierung, versucht aus diesem Vorfall international Kapital zu schlagen. Ich dachte am Anfang eine zeit lang, dass sich Erdogan vom Islamisten zum seriösen Demokraten gewandelt hat, doch ich habe mich geirrt.Das verhalten zeigt dass die Türkei keine Identität besitzt und mit der Islamischen Karte versucht Boden gut zu machen, obwohl die Türken wissen , dass sie alleine schon ethnisch und kulturell meilenweit von Ihren arabischen ''Brüdern'' entfernt sind. Aber die unklare Position der Europäer in Bezug auf eine baldige EU-Mitgliedschaft der Türkei, trägt mit dazu bei, dass die Türkei langsam Komplexe bekommt und sich versucht mehr und mehr als sogenannte Regionalmacht im Nahen Osten zu etablieren, was auf Dauer weder die Araber noch die Perser wirklich wollen.

  • N
    Nigredo

    Die zionistischen Antisemiten haben also wieder gewonnen und Israel noch weiter in einen Krieg gezwungen, den es nicht gewinnen kann.

    Wer die Juden vernichten will, sollte alles tun, sie in ihrem Krieg gegen die Palästinenser zu unterstützen, so treibt man die Juden wie Lemminge freudig dem eigenen Untergang entgegen. Wer Kritik am israelischen Vorgehen als Antisemitismus abtut, offenbart sich als der wahre Antisemit, weil er den Weg zu einer stabilen Zukunft Israels versperrt.

     

    Israels Zukunft dagegen liegt in einem säkularen Rechtstaat, der jedem Menschen gleiche Rechte einräumt und damit in einer Annäherung und Einigung mit den Palästinensern.

    Leider haben hüben wie drüben die Extremisten die Meinungshoheit okkupiert und drehen die Spirale der Gewalt munter weiter, um die eigene Basis zu stabilisieren.

  • E
    Emil

    Hat sich die LINKE schon zu dem islamistischen Angriff auf das UN-Kinderfest im Gazastreifen geäussert? Radikale Muslime haben vor wenigen Tagen das Fest für 250.000 Kinder gestürmt und abgefackelt, Begründung: das Fest ist unislamisch. Erstaunlich übrigens, wie wenig in deutschen Medien über diesen Angriff gegen Kinder zu hören/lesen war.