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Verbot der kurdischen DTPZurück zu den alten Feindbildern

Nach dem Verbot der DTP gibt es in der Türkei Proteste und Krawalle. Manche überlegen, mit einer neuen Partei anzutreten. Drei wurden seit den 90er-Jahren bereits verboten

Junge PKK-Sympathisanten und die Polizei liefern sich am Sonntag Straßenschlachten in Hakkari in der Südosttürkei. Bild: dpa

"Wir haben den Frieden unterstützt, aber sie haben uns verboten." In seiner letzten Pressekonferenz als Vorsitzender der am Freitagabend vom Verfassungsgericht verbotenen kurdischen DTP zog Parteichef Ahmet Türk am Samstag eine bittere Bilanz der letzten Wochen. Er kündigte an, dass jetzt zunächst alle ehemaligen Abgeordneten der DTP das Parlament verlassen werden. Trotzdem will Ahmet Türk, den das Verfassungsgericht persönlich mit einem Politikverbot für die nächsten fünf Jahre belegte, die Hoffnung nicht aufgeben: "Eines Tages wird der Frieden gesichert werden", gab er den Journalisten mit auf den Weg.

Danach sah es allerdings in den zwei Tagen nach der Verkündung des DTP-Verbots überhaupt nicht aus. Stattdessen brannten in den Städten des kurdisch besiedelten Südostens der Türkei die Barrikaden. Tausende von wütenden Demonstranten lieferten sich in Diyarbakir, Van, Hakkari und Yüksekova blutige Straßenschlachten mit der Polizei und Gendarmerie. In Hakkari, Van und Diyarbakir verbarrikadierten kurdische Jugendliche ganze Stadtteile und lieferten sich anhaltende Scharmützel mit der Polizei. Es gibt zahlreiche Verletzte und Festnahmen. Am Samstag waren in allen kurdischen Städten die Rollläden der Geschäfte aus Protest gegen das Parteiverbot heruntergelassen. Längst spricht man überall von einer kurdischen Intifada.

Die Bilder erinnern fatal an die erste Hälfte der 90er-Jahre, als der Krieg zwischen der Armee und der PKK sich auf dem Höhepunkt befand. Auch damals waren vier kurdische Abgeordnete, die auf der Liste der Sozialdemokraten ins Parlament gekommen waren, wegen Unterstützung der PKK verurteilt und aus dem Parlament heraus direkt ins Gefängnis geworfen worden. Zu ihnen gehörte Leyla Zana, die bekannteste kurdische Politikerin, die, obwohl gar nicht Mitglied der DTP, dieses Mal erneut zu den 35 Personen gehört, die das Verfassungsgericht neben dem Parteiverbot noch mit einem persönlichen Politikverbot für fünf Jahre belegte. Bei Ahmet Türk und Aysel Tugluk ist das besonders fatal. Die beiden Vorsitzenden der bisherigen kurdischen Parlamentsfraktion sind die Wortführer des moderaten Teils der kurdischen Bewegung und ihre Ausschaltung durch das Gericht dürfte dazu führen, dass radikalere Leute nun in die erste Reihe vorrücken.

Bislang ist aber auf kurdischer Seite noch nicht geklärt, wie es politisch weitergehen wird. Der Rückzug aus dem Parlament ist eine Demonstration des Protestes, aber noch keine endgültige Entscheidung. Von den 21 Parlamentariern sind nach dem Politikverbot von Ahmet Türk und Aysel Tugluk formal erst einmal 19 parteilose, unabhängige Abgeordnete übrig geblieben, die aber geschlossen in eine neue, noch zu gründende Partei eintreten könnten, um dann eine Gruppe im Parlament zu bilden. Der Fraktionsstatus ist allerdings erst ab 20 Abgeordneten möglich, der bisherige parteilose linke Abgeordnete Ufuk Uras hat aber schon angekündigt, in einem solchen Fall der Gruppe beizutreten.

Die Kurden wollen jetzt jedoch zunächst eine große Versammlung in Diyarbakir durchführen - die Rede ist von einem kurdischen Parlament -, um dort zu entscheiden, ob man mit einer neuen Partei antreten will. Es wäre die vierte seit Anfang der 90er-Jahre, drei wurden bislang bereits verboten.

Die PKK hat unterdessen verkündet, dass für sie mit der Entscheidung des Verfassungsgerichts der Dialog endgültig gescheitert sei. Die PKK-Gefangenen erklärten, "Staat, Medien, Militär, Polizei und Justiz hätten ihr rassistisches kolonialistisches Gesicht" gezeigt. Die Gefangenen kündigten einen Hungerstreik an und riefen die Bevölkerung zu einem "Aufstand auf der Straße" auf. Mit einem Angriff auf einen Militärbus, bei dem in der letzten Woche sieben Soldaten getötet wurden und zu dem sich die PKK nur wenige Stunden vor dem Urteil am Freitag bekannt hatte, war die Stimmung angeheizt worden.

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9 Kommentare

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  • ID
    Ismail Demirgöz

    Die eigentlich kurdische Partei ist doch nicht das PKK-Organ DTP!

     

    Das ist die AKP. Über 1/4 ihrer Abgeordneten sind Kurden. Das sind über 50 Abgeordnete mehr als die DTP hatte.

     

    Ich seh da als Kurde auch keine Probleme mit der Schliessung der DTP...

     

    Denn keins der Probleme in Kurdistan wurde von den PKK-Posaunisten namens DTP aufgegriffen: Bekampfung der Feudalherrschaft, Frauenhandel, Bekampfung der Blutrache, fehlende Gleichberechtigung der Frauen anprangern, fehlende Investitionsbereitschaft reicher im wohlhabenden Westen lebender Kurden in ihrer Heimat kritisieren etc. etc..

     

    Den Polemisier - Spackos weine ich keine Traene nach...

  • TS
    Toluner Soylu

    Liebe TAZ.

     

    Zu dem Verbot der DTP erinneren wir, weil es ja andere nich hinbekommen, an das Jahr 2007.

     

    Was war da in Spanien geschehen?

     

    Genau.

     

    Heri Batasuna, der politische Arm der Terororganisation ETA, wurde verboten.

     

    Der Grund? Ist bekannt. Und Mecker gab's keine in dr EU. Is' ja alles chico, oder? Denn:

    In einer Demokratie hat weder ein Aufruf noch ein Verstaendnis für solche, die Terror als Mittel gegen das Gewaltmonopol eines Rechtsstaates vertreten (müssen), zu suchen.

     

    In der Türkei hat keiner alte Feindbilder. Oder zumindest nicht mehr als die, die bzgl. West-Thrakien (Griechenland), Belgien (Wallonen-Flamen), Nordirland (Katholi's und Protestanten), Spanien (Basken/Catalanen etc.), Südtirol (Tiroler-Italiener), Grönland (Kalaallit Nunaat - Daenen) oder Korsika/Elsass/Bretonien gelebt werden.

     

    Das Verfassungsgericht hat der DTP 2 Jahre Gelegenheit gegeben, sich im Parlament von der PKK definitiv zu distanzieren.

     

    Das dies auf Grund ihrer organischer Verbindung nicht möglich war, wusste eigentlich jeder, auch hier in der BRD.

     

    Aber selbst in der BRD wurde z.B. die NPD beinahe verboten. Aber das waere ja dann der 5. oder 6. Parteienverbot in der BRD geworden, oder?

     

    Also - locker machen.

     

    Wenn man der Türkei Demokratieunterricht geben will, sollte man vielleicht an den Frauenrechten, der Kinderarbeit, Gleichtberechtigung, Unabhaengigkeit der Justiz von der Regierung, Bekaempfung der feudalen Strukturen in Ost- und Südostanatolien, Aufhebung von Einschraenkungen im privaten Lebensstil (z.B. was als nicht islamisch gewertet wird), arbeiten.

     

    Die alte Kurden-Türken Hupe gegen die Türkei aus der Tüte zu ziehen, ist intellektuell und konzeptionell flach.

  • N
    n.n.

    kommt mal mit euren taz-redakteuren auf die straßen berlins. bringt den gottschlich mit...wir zeigen euch dann, was sache ist. bald ist es soweit!

  • O
    Oliver

    @Mehmet Okur

    Die DTP hatte sich für bessere Haftbedingungen für Abdullah Öcalan und eine Einbeziehung seiner Person in Friedensgespräche ausgepsrochen. Das eine ist sicherlich nicht der Rede wert - anständige Haftbedigungen fordert heute jeder zivilisierte Staat, während die andere Forderungen natürlich wie eine Bombe einschlug.

    Es ist allerdings schön rätselhaft, warum überhaupt viele Statements von Öcalan nach Außen dringen, immerhin saß er fast seine gesamte Haftzeit alleine auf der Insel Imrali - scharf bewacht. Dieses Urteil wäre sicherlich nicht in einem europäischen Land möglich gewesen. Man sollte sich zum Beispiel über das Urteil über den Status der PKK in Euroopa informieren: Nachdem die PKK - in Anlehnung an die Türkei - als terroristische Organisation verboten wurde, hatten Anwälte dagegen geklagt und gewonnen. Problematisch waren nämlich die Dokumente und Beweise, die aus der Türkei stammten. Und die Erkenntnisse aus europäischen Ländern konnten eben nicht belegen, dass die PKK als Terrororganisation in Europa gearbeitet hat. Damit will ich die Leute nicht schön reden, aber ein faires Verfahren ist das Mindeste für eine Partei.

     

    Aber das sind m.M. nachrangige Dinge, denn es ging der DTP ja nicht darum, die PKK zu unterstützen oder zu bewaffnen, sondern darum einen Friedensprozess zu machen. Und dabei ist es wichtig, dass der militärische Kampf zu Ende geht. Der nächste Schritt hätte ein Waffenstillstand werden müssen. Davon kann natürlich jetzt keine Rede sein, denn nun kracht es zwischen Militär und Kurden im Südosten.

    Auch kleinere Kurdenparteien HAK-PAR z.B. mussten schon vor Gericht. Separatismus ist nämlich der Kernbestand - obwohl die DTP nicht die Trennung von der Türkei gar nicht propagiert hatte. Aber da reicht dann der Verweis auf Öcalan aus.

     

    Im Übrigen sind ethnische Parteien etwas Normales, die Südtiroler Volkspartei (SVP) ist eine normale Partei mit 5 Abgeordneten in Rom. Das ist europäischer Standard. Und Batasuna und ETA sind nicht unbedingt maßgeblich für Europa, denn es gibt in Belgien sogar flämmische und wallonische Parteien. Da müsste die Türkei langfristig auch hinkommen.

     

    Ich würde mich freuen, wenn die taz mehr alternative Informationen zur Verfügung stellt. Dass ich überall das Gleiche lese, nervt mich langsam.

  • E
    Eva

    An Mehmet Okur:

    Hier steht mehr darüber, wie genau das Verbot offiziell begründet wurde:

    http://www.taz.de/1/politik/europa/artikel/1/reformen-von-tuerkei-gefordert/

  • MO
    Mehmet Okur

    Man fragt sich nach diesem Artikel, wieso diese Partei verboten wurde. Und wieso darauf nicht eingegangen wird?!

    Kein Wort zur Verkündung und der Begründung des Gerichts.

    Keine Fakten über das Verhalten dieser Partei.

    Als wäre alles grundlos. Meiner Recherche nach ist dem nicht so.

  • R
    rolfmueller

    Die Absicht der rechtsgerichteten Verfassungsrichter war genau das: Die Bewegung, die in das Verhältnis zwischen Türken und Kurden gekommen war, zu beenden.

     

    Was in dem Beitrag fehlt, ist die Schilderung der zahlreichen Ausschreitungen türkischer Nationalisten gegen Kurden, insbesondere gegen kurdische Einrichtungen. Dabei greift die Polizei grundsätzlich nicht ein, sondern überlässt die Kurden ihren Feinden.

     

    In Istanbul wurde heute ein kurdischer Jugendlicher von einem MHP-Anhänger angeschossen. Die Polzei nahm das Opfer (!) fest und inhaftierte es ohne medizinische Behandlung. Der Täter und seine Begleiter blieben, wie in den meisten solchen Fällen, unbehelligt.

     

    Der Gouverneur von Adana drohte den kurdischen Eltern an, ihnen ihre Kinder und Jugendlichen zu entziehen und in staatliche Heime zu stecken, wenn sie an Protesten teilnehmen. Kürzlich hatte er angekündigt, Demonstranten die grüne Krankenversicherungskarte wegzunehmen, so dass sie im Krankheitsfall keine medizinische Versorgung mehr bekommen.

  • H
    Hüs

    ... Wortführer des moderaten Teils der kurdischen Bewegung ... werden aus der Politik verbannt.

     

    Das ist nicht tragisch, sondern gewollt.

     

    Hier geht es um eine massive Kampagne gegen eine neue Türkei, die nicht mehr auf dem autoritärem Kemalismus basiert, sondern auf einem moderatem Islam, Pluralismus, Demokratie und Minderheitenrechte. Genau diese Variante lassen die Juristen nicht zu, in dem sie einfach die DTP verbieten.

    Dass die DTP den Terrorismus und Separatismus unterstützt haben soll, ist so offenkundig an den Haaren herbeigezogen, dass eigentlich jeder normale Mensch erkennen kann, dass die Türkei eben keine wirkliche Demokratie ist, sondern eine verkappte Militärdiktatur.

    Das ist ja die bittere Wahrheit und da stellt sich die Frage, warum die EU überhaupt mit diesem Land über einen Beitritt verhandelt. Es muss doch klar sein, dass der Beitritt zur EU bedeutet, sich eine europa-fähige Justiz, Demokratie und Liberalität zuzulegen.

    Die EU ist m.M. auch die einzige Perspektive für das Land aus der Agonie aufzuwachen und einen Schritt ins 21. Jahrhundert zu wagen. Auf Dauer werden türkische Fabriken auch nicht mehr diesen extremen Billig-Hype bringen können, dann muss die Gesellschaft sich differenzieren, qualifizieren und expandieren in andere Segmente. Die Wirtschaft der Türkei kann an dem heutigen Niveau nicht stehen bleiben, das wird nicht funktionieren und wird nur zu einer großen ökonomischen Krise führen. Und Entwicklung funktioniert auf einem hohen Niveau nur demokratischen Rechten, einer unabhängingen Justiz und mit Menschenrechten, die auch Minderheitenrechte einschließen.

    Außerdem kann die Türkei schon heute kaum noch die Rechnungen bezahlen, die das Militär produziert. Das Basisproblem ist - denke ich - auch hinlänglich bekannt und erkannt, nur was könnte Erdogan machen, um die Türkei wirklich an europäische Maßstäbe heranzuführen, wenn er gar nicht das letzte Wort hat?

  • F
    Ferhat

    1. Wenn Molotow-Cocktails "Scharmützel" sind weiß ich auch nicht mehr.

    2. Die PKK und die Opposition haben erreicht was sie wollten, da die PKK immer mehr gemerkt hat, dass sie an Zulauf verliert und die AKP-Regierung mit dieser neuen Taktik (der Taktik der Annäherung) den Kurdinnen und Kurden im Osten der Türkei die Augen öffnet und womögliche Terroristen-Nachzügler davor abschreckt der PKK beizutreten.

    Die Opposition zudem bekommt durch diese Straßenschlachten immer mehr Zulauf mit ihrer nationalistischen Politik.

    3.Ich finde es problematisch die DTP zu verbieten und vielleicht auch nicht richtig. Ich muss aber sagen, dass die DTP sich von den 3 zuvor verbotenen Parteien kaum unterschied und klare ! Bezüge zur PKK aufwies und ein verlängerter Arm der PKK gewesen ist und somit die DTP eine klar verfassungsfeindliche Stellung einnahm.

     

    Also Verbot nicht richtig, aber verständlich.