Rechte Gewalttaten in Sachsen-Anhalt: Rassistische Übergriffe nehmen zu
Was sind rechts-motivierte Übergriffe? In Sachsen-Anhalt haben Innenministerium und Mobile Opferberatung Zahlen vorgelegt. Mit teils gravierenden Unterschieden.
BERLIN taz | Als er am 7. August letzten Jahres plötzlich angepöbelt wird, sitzt der 29-Jährige aus dem Niger gerade in einem Lokal im sachsen-anhaltinischen Weißenfels. Ein Dutzend Personen eilen hinzu. Doch nicht, um ihm zur Seite zu stehen. Sie fangen an, auf ihn einzuschlagen, rufen "Scheiß Neger". Als er zu Boden geht, lassen die Angreifer nicht von ihm ab, sondern malträtieren ihn weiter mit Tritten. Eine junge Frau will eingreifen - sie wird attackiert und bespuckt. Der Mann muss ins Krankenhaus eingeliefert werden.
Der Fall wurde von der Mobilen Opferberatung dokumentiert, als rechts-motivierte Straftat wurde er vom Landeskriminalamt jedoch nicht erfasst. Immerhin wurde er zur Anzeige gebracht - das ist keine Selbstverständlichkeit.
Viele Opfer von Übergriffen dieser Art wenden sich nicht an die Polizei, sondern an Beratungsstellen. Wenn ein Opfer doch Anzeige erstattet, dann erfassen die Behörden rechte Gewalttaten oftmals nicht als solche. So lässt sich die nun deutlich gewordene Diskrepanz zwischen den Zahlen des Innenministeriums von Sachsen-Anhalt und denen der dort tätigen, durch staatliche Mittel geförderten, Mobilen Opferberatung zu rechten Gewalttaten erklären.
Während das Innenministerium im vergangenen Jahr insgesamt 80 rechte Gewalttaten in Sachsen-Anhalt gezählt hat, registrierte die Mobile Opferberatung 101 - immerhin wird der Anteil der Körperverletzungen mit 81 und 85 Prozent ähnlich beziffert.
Zwar verzeichnen beide am Montag vorgestellten Statistiken einen Rückgang aller Straftaten im Vergleich zu 2009, als sich laut Innenministerium noch 83, laut Opferberatung noch 142 rechts-motivierte Delikte ereigneten. Doch eine Aufschlüsselung der Daten in verschiedene Kategorien bereitet der Mobilen Opferberatung Sorge: Während Taten gegen sogenannte "Nicht-Rechte" oder "politisch Aktive" seltener geworden sind, ist ein signifikanter Anstieg der explizit rassistisch motivierten gewalttätigen Übergriffe zu verzeichnen. Deren Anteil an allen rechts-motivierten Gewalttaten hat sich laut Mobiler Opferberatung von 24 Prozent im Jahr 2009 auf 42 Prozent im vergangenen Jahr gesteigert.
"Der Anstieg rassistischer Gewalttaten kann als Resultat der verschärften Debatte um Zuwanderung und Integration in 2010 verstanden werden", meint eine Sprecherin der Opferberatung. Durch die damit einhergehende Abwertung und Stigmatisierung von Flüchtlingen und MigrantInnen fühlten sich rechte und rassistische Angreifer offenbar zunehmend legitimiert.
Holger Stahlknecht (CDU) kann sich das nicht vorstellen. Der Vorsitzende des Innenausschusses des sachsen-anhaltinischen Landtags hält die Zunahme zwar für sehr "besorgniserregend", denn jede rechte Straftat sei eine zu viel. Jedoch: "Die öffentliche Integrationsdebatte im vergangenen Jahr hat sicherlich keine Radikalisierung hervorgerufen. Ich glaube, unabhängig von ihr wird ein bestimmter, um es freundlich auszudrücken 'bildungsferner', Teil des rechten Spektrums immer gewaltbereiter. Das ist problematisch."
Angesichts der Unterschiede in den Statistiken sieht er jetzt Handlungsbedarf, jedoch weniger bei der statistischen Erfassung des Innenministeriums: "Die Mobile Opferberatung muss nun die noch nicht angezeigten Straftaten zur Anzeige bringen."
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