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Versammlungsrecht in SachsenPlacebo gegen Naziaufmärsche

Schwarz-Gelb in Sachsen verabschiedet ein Versammlungsgesetz, das die Praktiker für wirkungslos halten. Die Linkspartei kündigte Klage an, die Grünen attestierten einen "Geist der Unfreiheit".

Anti-Nazi-Demonstration am 14.Februar 2009. Bild: ap

Sachsens CDU-FDP-Koalition hat ihr Vorhaben verwirklicht, noch vor dem konfliktreichen Dresdner Zerstörungsgedenken am 13. Februar das Demonstrationsrecht einzuschränken. Am Mittwoch verabschiedete sie im Landtag ein Gesetz, das Versammlungsverbote am Leipziger Völkerschlachtdenkmal und in Teilen der Dresdner Innenstadt mit der Frauenkirche ermöglicht. Auch örtliche Behörden dürfen solche sensiblen Orte definieren. Im Übrigen übernimmt das Gesetz das Bundesversammlungsgesetz in Landesrecht.

Gegen die Einschränkungen erheben jedoch die Opposition wie zuvor einige Gutachter der Landtags-Anhörung prinzipielle Bedenken. So kündigte die Linke bereits Klage vor dem Sächsischen Verfassungsgerichtshof an. Grünen-Rechtspolitiker Johannes Lichdi sprach vom „Geist der Unfreiheit“. Sogar die sächsischen Jungliberalen lehnten den Gesetzentwurf ab. Hinsichtlich der Aufweichung von Grundrechten werde damit „die Büchse der Pandora geöffnet“.

Der Jurist Klaus Bartl von der Linksfraktion hält die Länderkompetenz zur konkurrierenden Gesetzgebung für eingeschränkt, wenn es um Grundrechte geht. Der schwarz-gelben Koalition warf er ein „Herumdoktern am Gefüge der Freiheitlich-Demokratischen Grundordnung vor“. Statt des Grundrechtes auf Versammlungsfreiheit müsse der Anmelder nunmehr nachweisen, dass seine Versammlung nicht gefährlich sei. In der Anhörung hatte der Freiburger Rechtsphilosoph Ralf Poscher bereits darauf hingewiesen, dass in Sachsen künftig eine abstrakte Gefahrenprognose für Ordnung und Sicherheit ausreiche.

Der Düsseldorfer Rechtssoziologe Martin Morlok erinnerte an die Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichtes, wonach es nicht um eine Kontrolle von Demonstrationsinhalten gehen könne. Er verwies zugleich auf die schwammige Definition der Opferwürde, die durch Aufmärsche verletzte werden könnte. In dieser Frage setzt der Gesetzestext einmal mehr die Opfer nationalsozialistischer und kommunistischer Gewaltherrschaft gleich. Er rechnet damit indirekt eine historische Verantwortung gegen die andere auf, was er an anderer Stelle als einen Verbotsgrund für Demonstrationen aufführt.

Außerdem bezweifelt beispielsweise Johannes Lichdi, dass das Versammlungsgesetz sein praktisches Ziel erreicht, Nazi-Aufmärsche zum Dresden-Gedenken am 13. und 14.Februar zu verhindern. Dafür reiche das geltende Versammlungsrecht aus. „Nazi-Aufmärsche sind weiterhin möglich“, sagte der Dresdner DGB-Chef Ralf Hron, im Vorjahr einer der Organisatoren der Proteste gegen den Zug der „Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland“. Dieser Zug tangierte 2009 gar nicht das genannte Schutzgebiet und war von der Stadtverwaltung bereits an den Rand der Innenstadt gedrängt worden. Betroffen sind aber sehr wohl Orte des „GehDenkens“ vom Vorjahr, worauf die diesjährigen Organisatoren hinweisen.

"Das Gesetz wird nicht alle rechtsextremen Versammlungen in Dresden verbieten", konstatierte denn auch der Dresdner Ordnungsbürgermeister Detlef Sittel (CDU) in der Anhörung. Sogar Landespolizeipräsident Bernd Merbitz (CDU) soll intern seinen Unmut über die praktische Wirkungslosigkeit des Gesetzes geäußert haben. Linke Kreise befürchten eine verheerende Signalwirkung, wenn der Dresdner Nazi-Aufmarsch trotz des Gesetzes stattfinden kann.

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10 Kommentare

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  • TS
    Thomas S.

    Lieber Stefan,

    das mit der gefestigten Demokratie ist ganz und gar nicht ironisch gemeint. In unserem Land haben Systemgegner -ob rechts, ob links- die freie Möglichkeit, sich zu artikukieren, zu diskutieren und zu demonstrieren. In wieviel Prozent aller Länder ist das möglich ? Ich möchte nicht in einem Land leben, wo man sich mit einer regierungsunfreundlichen Gesinnung verstecken muß. Sie können nicht vorgeben Demokrat zu sein und gleichzeitig die Freiheit des Andersdenkenden (Rosa Luxemburg) beschneiden.

    liebe Paula,

    natürlich habe ich Träume. Aber die Radikalen haben hierzulande Prozentwerte, die einfach lächerlich sind. Natürlich sind sechs Prozent in Sachsen sechs Prozent zuviel. Aber so ist das in einer Demokratie. Auch die Blöden haben ein Recht darauf, blöd zu sein, blöd zu reden und blöde Sachen zu tun. Solange sie sich an die Gesetze halten; so what ? Übrigens, in Ihrem Nachsatz sprechen Sie von Ignorieren, Herunterlügen und das man sich erst informieren sollte, bevor man sich äußert. Haben Sie in der Tat die Meinung, daß ich, erstens: ein uninformierter ignoranter Herunterlügner bin und, zweitens, daß diese Art des Umgamgs der ist, den Sie hier wirlich lesen wollen ?

    lieber Peterchen,

    natürlich werde ich nicht zu diesem Rechtsradikalentreffen kommen. Ich unterstütze doch nicht meine politischen Gegner. Andersherum wird doch ein Schuh draus: Trotz aller Freiheit kommen die Radikalen nur bei ganz Wenigen an.

    Liebe Tanja,

    Sie können mir glauben, daß ich Übergriffe, Pöbeleien und Drohungen ablehne, egal von welcher Seite sie kommen. Wenn beispielsweise meine (dunkelhäutige) Ehefrau auf dem Weg vom S-Bahnhof nach Hause angepöbelt wird -und das sind in erster Linie keine Rechtsradikale, die das hier tun- dann ist das natürlich zu verurteilen.

    lieber lupenreiner Demokrat,

    wenn ich die Zeitungen lese, sehe ich daß die täglichen Überfälle, Berohungen, Beleidigungen und Sachbeschädigungen (jede einzelne davon eine zuviel) in der Mehrheit nicht gerade von lupenreinen Rechtsradikalen ausgeführt werden.

  • D
    ddd

    das geht ja überhaupt nicht.

    man muss ein solches gesetz ja auch aufgrund seiner entwicklungsmöglichkeiten hin beurteilen.

    es ist eben unwarscheinlich das wenn der schritterstmal gemacht worden ist das an gewissen orten eine versammlung generell verboten ist, wird es auf lange sicht sicher nicht dabei bleiben.

     

    genauso mit einem demonstrationsverbot gegen rechts, also ich selber bin entschieden gegen rechts! aber auch gesetze entwickeln sich immer weiter.. wenn man erstmal einer gesinnung das öffentliche auftreten verbietet wird es auch nicht bei der einen bleiben.

  • G
    glamorama

    Naja - manchmal funktioniert ein Placebo ja auch. Das nennt man dann "Placebo-Effekt" ;-)

  • S
    Stefan

    @Thomas S.

    "...unserer gefestigten Demokratie..."

    Ist das ironisch gemeint? Unsere Demokratie ist ziemlich ungesund.

    Ich weiß nicht, wo Sie leben, aber unterschätzen sollten Sie die Gefahr von rechts außen nicht.

  • PL
    Paula L.

    Thomas S., schön wenn Sie noch Träume haben. In Sachsen sitzen die kümmerlichen 6% Nazis wieder im Landtag und haben damit ihre 2. Legislaturperiode erreicht, was den Abgeordneten nicht nur Pensionen sichert, sondern der Fraktion auch die Finanzierung einer eigenen Stiftung über Steuergelder ermöglicht. Schon die Kommunalwahlen haben gezeigt, dass es in Sachsen ein StammwählerInnenpotential von mindestens 6% für die Nazis gibt.

    In Dresden ist noch dazu jährlich der europaweit größte (!) Naziaufmarsch, mit ca.7000 TeilnehmerInnen. Wenn Sie das nicht wissen, lesen Sie die taz entweder zu selten oder aber Sie kommentieren diesen Artikel aus politischen Gründen derart realitätsfern.

    Die Lage, in der wir uns nicht nur in Sachsen befinden, ist das Resultat dieser Vogel-Strauß-Politik, wie Sie dies hier anraten. Betrachtet man die Faktenlage, wird schnell deutlich, dass Ignorieren oder Herunterlügen der Zahlen das Problem nicht löst.

    Wie wäre es, wenn Sie sich erst informieren und dann ihre Meinung äußern?! Könnte hilfreich für eine realistische Beurteilung der Situation sein.

  • P
    peterchen

    @ Thomas S.

     

    "Bis auf ganz wenige Ausnahmen in einigen wenigen Dörfern stellen die Rechtsradikalen nicht mal eine Gefahr dar."

     

    na dann lade ich sie ganz herzlich am 13.2. in die sächsische Landeshauptstadt zum derzeit größten Aufmarsch von Rechtsradikalen in Europa ein.

    Extremismus in Deutschland ist ganz sicher kein Randphänomen und wie gefestigt unsere Demokratie ist, sehen sie an der Wahlbeteiligung und den Ergebnissen diverser Landtagswahlen. Das rechtfertig sicher nicht solche Aktionen wie das neue Versammlungsgesetz, aber etwas Aufmerksamkeit haben die Leute die unseren einigermaßen freien Staat zerstören wollen schon verdient. In Deutschland haben wir die Erfahrung des Ignorierens und Kleinredens schon einmal gemacht.

  • LD
    Lupenreiner Demokrat

    Von den täglichen Überfällen, Bedrohungen, Beleidigungen und Sachbeschädigungen durch die rechte Mörderbande wollen Sie wohl nichts wissen?

  • SD
    Stefan D.

    Bin genau der gleichen Meinung und was mich bei der letzten nervenden Kundgebung unserer braunen Freunde am meisten störte, waren nicht etwa jene soeben beschriebene Gesellen, sondern viele z.T. vermumte "Gegendemonstranten" mit ihren völlig sinnlosen Vandalismus gegen alles, vorallem was Grün bzw. jetzt Blau ist. Sie würden bei einer Demo für runde Strassensteine genauso dabeisein, wenn es genug Aufmerksamkeit und Polizei dabei gäbe. Wenn sich einfach keiner für diese überflüssige Kundgebung interessieren würde, wäre vielen sehr geholfen, es fehlt dann bloß der Spassfaktor.

  • T
    Tanja

    @ Thomas S:

     

    Sicher dürfen die ihren Quatsch sagen. Aber glauben Sie, dass die Opfer von Übergriffen, Pöbeleien und Drohungen seitens der Rechten das auch so locker abkönnen? Leider bleibt es bei Faschisten selten nur beim Reden.

  • TS
    Thomas S.

    Die Rechten haben seit Jahrzehnten kümmerlichste Prozentzahlen bei Wahlen. Bis auf ganz wenige Ausnahmen in einigen wenigen Dörfern stellen die Rechtsradikalen nicht mal eine Gefahr dar. Sie stellen nämlich fast gar nichts mehr da. Laß die doch demonstrieren. Das ist so bedeutsam wie der berühmte Sack Reis in China. Die paar Männiken können wir locker ab. Wenn wir denen durch übertriebene Gegenmaßnahmen auch noch die Bedeutung vermitteln, sie könnten in unserer gefestigten Demokratie was ausrichten, wäre das doch kontraproduktiv. Wir sind nicht deren Meinung. Aber sie dürfen ihren Quatsch sagen. So wie jeder andere auch.