NPD wildert in Mecklenburg-Vorpommern: Offensive mit Seitenscheitel
Bei der Kommunalwahl in Mecklenburg-Vorpommern hofft die NPD auf einen Erfolg. Die Neonazis setzen erfolgreich auf Männer wie Tino Müller, die sich betont bieder geben.
HAMBURG taz | Tino Müller tritt auf wie der Spießbürger von nebenan: Der 30-Jährige steht hinter einem Infostand der rechtsextremen NPD in Pasewalk in Mecklenburg-Vorpommern. Das Haar trägt Müller kurz mit ordentlichem Scheitel, er lächelt viel, wenn er mit Passanten spricht. Seine Wahlhelfer verteilen Lollis mit NPD-Logos an Kinder, die NPD-Zeitung Deutsche Stimme an Erwachsene. Der CDU-Stand gleich neben Müllers Tisch sieht gegen den rechten Auftritt unauffällig aus.
Die NPD rüstet in Mecklenburg-Vorpommern auf. Am 7. Juni wählen die Bürger neue Kommunalparlamente, und Stefan Köster, der NPD-Landeschef, sagt voll Zuversicht eine "Verdreifachung der bisher zehn Mandate" voraus. Tatsächlich könnten die Rechten bei der Kommunalwahl einen Erfolg einfahren. Was vor allem an Kadern wie Müller liegt, der im Landtag sitzt und für den Gemeinderat und Kreistag im Amt Torgelow kandidiert. Müller und seine Mitstreiter sind wer vor Ort, treten bieder auf, werden vom Mittelstand unterstützt.
Die NPD hat in Mecklenburg-Vorpommern über 80 Kandidaten aufgestellt. In den abgehängten "ländlichen Räumen" kann die NPD aus vielen Gründen Zuspruch finden, belegt eine Studie des Bundes deutscher Landjugend: Der Arbeitsmarkt sei weggebrochen, eine "affektive Gestimmtheit für rechte Mentalitäten" herrsche vor.
Hubertus Buchstein, Professor für politische Theorie an der Greifswalder Universität, befürchtet gar, dass die NPD die Zahl ihrer Kommunalmandate "erheblich steigern" kann.
Und dieser Einfluss im Lokalen ist nicht zu unterschätzen: Diese Regionalgremien mögen enge politisch Handlungsräume haben, sagt Susanne Theilmann vom Mobilen Beratungsteam für demokratische Kultur (MBT). "Doch die kommunale Ebene ermöglicht den Neonazis eine soziale Verankerung."
Auch jenseits der NPD hat Kameradschaftler Müller früh Strukturen entwickelt, die eine nachhaltige Verankerung ermöglichen. Seine Frau Anja - aktiv im Elternrat einer Schule - und er gründeten den Heimatbund Pommern mit, der Wanderungen und Volkstanz für den Nachwuchs anbietet. Mit der "Bürgerinitiative schöner und sicherer Wohnen" mobilisierte er gegen ein geplantes Flüchtlingsheim. Zur Festigung der Szene dient das Soziale und Nationale Bündnis Pommern, ein autoritärer Kameradschaftsverbund, in dem der Vater von zwei Kindern wirkt. Bei der Landtagswahl 2006 erlangte die NPD mit Müller in seinem Wahlbezirk Ueckermünde rund 18 Prozent. In der Plattenbausiedlung Ueckermünde-Ost, in der der frühere arbeitslose Mauer damals lebte, erreichte er gar 32 Prozent. In der Region Haffstadt, wo mehr als 23 Prozent der Bürger Arbeitslosengeld II beziehen, gehört die rechte Szene wie selbstverständlich zum Stadtbild. Am Marktplatz im Café Solo trifft sie sich. Unweit davon, in der Wallstraße, hat Müller sein Wahlkreisbüro. "Sie genießen eine breite Akzeptanz", sagt Günther Hoffmann, Rechtsextremismusexperte aus Ostvorpommern. Und sie weiteten diese im Landkreis weiter aus: Im Dorf Borken sind Müllers Kameraden bei der Freiwilligen Feuerwehr aktiv und feiern im Gemeindehaus eigene Partys. In Koblentz durfte Müller beim Osterfeuer die Feuerrede halten. Im nahen Grenzort Löcknitz belagerten sie beim Burgfest den Bierwagen, trugen Shirts mit: "Löcknitz bleibt Deutsch".
Tatkräftig unterstützt in Löcknitz der Bauunternehmer Dirk Bahlmann Müllers Wahlkampf. In Arbeitskleidung verteilen sie gemeinsam NPD-Flyer. Auch in den kleinsten Gemeinden entlang der polnischen Grenze treten sie getreu ihrer Wahlwerbung auf, "bodenständige Menschen aus dem Volk" zu sein. Bei Müller läuft keiner im neuesten Nazichic rum - solider Handwerkerlook wird bevorzugt.
Ihr Wahlprogramm ist eine Mischung aus regionalen Themen und rechtsextremen Positionen. So fordern sie, die Grenzen für Polen und Lastkraftwagen zu schließen, mehr Geld für deutsche Kinder, oder gegen die "Ausländerflut" vorzugehen.
Die NPD thematisiert, wozu andere Parteien oft schweigen. Seit Öffnung der Grenzen haben die Anwohner Angst vor Diebstahl. Karl-Georg Ohse vom MBT betont: "Die NPD verfügt über eine wachsende Stammwählerschaft, die ideologisch mit ihren Ideen übereinstimmt." Jene Wähler dürfte wenig stören, dass Müller Anhänger der im März verbotenen Heimattreuen Deutschen Jugend war.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin