Plötzliches Haushaltsloch in Dortmund: Intrige oder Wahlbetrug?
In Dortmund zerlegen sich die Sozialdemokraten trotz Siegs bei den Kommunalwahlen – wegen eines Haushaltslochs von 100 Millionen. Die CDU spricht von Wahlbetrug, die SPD von Intrige.
DORTMUND taz | Dortmunds SPD zeigt trotz des Sieges bei der nordrhein-westfälischen Kommunalwahl Auflösungserscheinungen. Denn nur 17 Stunden nach Schließung der Wahllokale verkündete der scheidende Oberbürgermeister Gerhard Langemeyer eine Haushaltssperre: Bis zu 100 Millionen Euro fehlten bis Jahresende im Etat - dabei hatte die SPD im Wahlkampf noch mit den ausgeglichenen Finanzen der zweitgrößten Stadt Nordrhein-Westfalens geworben. Derzeit sei "nicht erkennbar, dass die Stadt Dortmund mit den zur Verfügung stehenden Mitteln nicht auskommen wird", schrieb Sozialdemokrat Langemeyer noch vier Tage vor der Wahl an den Haushalts- und Finanzausschuss. Der Brief des Oberbürgermeisters liegt der taz vor.
Kalt erwischt hat Langemeyers Bekenntnis vor allem dessen Nachfolger Ullrich Sierau. Erst in einem laufenden Radiointerview erfuhr der mit über 45 Prozent gewählte Sozialdemokrat von der Haushaltssperre - und reagierte aufgebracht: "Das ist der GAU. Das ist absolut beschissen. Ich wusste davon nichts", ärgert sich Sierau. Schließlich stehe er jetzt "als Dödel" da, gelte entweder als ahnungslos oder als Lügner: "Ich kann`s mir aussuchen", sagt Sierau.
Die CDU spricht von "Wahlbetrug". Das Parlament wird am Freitag in einer aktuellen Stunde darüber debattieren. Sierau solle auf sein Amt verzichten, fordert der Generalsekretär der nordrhein-westfälischen Christdemokraten, Hendrik Wüst. Der CDU-Fraktionsvorsitzende im Dortmunder Stadtrat, Frank Hengstenberg, erwartet den Rücktritt von Kämmerin Christiane Uthemann. Und der Arnsberger CDU-Regierungspräsident Helmut Diegel, Vertreter der für die Haushaltskontrolle zuständigen Kommunalaufsicht, fühlt sich "persönlich hintergangen" - und dreht Dortmund den Geldhahn zu: Förderbescheide werden nicht mehr gegengezeichnet. "Zurzeit sind das fünf Millionen Euro", sagt Diegels Sprecher.
Eine Erklärung für Sieraus Ahnungslosigkeit fordern jetzt auch die Dortmunder Grünen. "Ich habe schon im Wahlkampf auf ein strukturelles Defizit von mindestens 60 bis 80 Millionen Euro hingewiesen", so der Chef der grünen Ratsfraktion, Mario Krüger. "Schließlich sind die Gewerbesteuern in der Krise eingebrochen, während Sozialtransfers immer größer werden."
Selbst die Sozialdemokraten rätseln, warum Langemeyer und Sierau nicht schon vor Monaten auf das Defizit hingewiesen haben. In Oberhausen oder Gelsenkirchen habe die SPD die Kommunalwahl schließlich trotz drohender Pleite gewonnen. Grund sei eine Intrige Langemeyers gegen Sierau, heißt es: Der scheidende Oberbürgermeister habe nicht verwunden, dass er nach einer Veruntreuung auf eine erneute Kandidatur verzichten musste. Eine Mitarbeiterin hatte ihre Kokainsucht mit hunderttausenden Euro aus der Stadtkasse bezahlt.
Schaden nehmen könnte nun die SPD im Bund. "Die Bundestagswahl wird in Nordrhein-Westfalen mitentschieden", sagt der Politologe Jan Treibel von der Uni Duisburg-Essen. Die SPD-Landesvorsitzende Hannelore Kraft geht bereits auf Distanz zu ihren Dortmunder Genossen. So tauchten zu einem Fototermin mit Kraft im Landtag alle neu- und wiedergewählten SPD-Oberbürgermeister auf. Nur einer fehlte: Ullrich Sierau.
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