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Zahnärzte-Budgets aufgebrauchtHier wird nicht mehr gebohrt

Weil sie ihre Honorare für 2010 schon ausgeschöpft haben, kündigen die Zahnärzte an, viele Kassenpatienten in den kommenden zwei Monaten abzuweisen. Kassen und Politiker reagieren empört.

Ein AOK-Gebiss? Die Zahnärzte legen dann nur noch Hand an, wenn's wirklich weh tut... Bild: dpa

BERLIN dpa | Viele Kassenpatienten werden beim Zahnarzt in den kommenden zwei Monaten abgewiesen, weil die Ärzte ihr Honorarbudget für dieses Jahr schon erschöpft sehen. Bei einzelnen Versicherten-Gruppen werden nur noch Zahnschmerzen und Notfälle behandelt. "In fast allen Bundesländern müssen gesetzlich Versicherte bei bestimmten Kassen bis Jahresende mit Einschränkungen rechnen", sagte der Vorsitzende der Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV), Jürgen Fedderwitz, der Bild.

"Wir haben für die Patienten der AOK in Bayern sogenannte Puffertage eingeführt", erläuterte Fedderwitz. Diese dauerten von Mitte Oktober bis zum 31. Dezember. Nur unbedingt notwendige Behandlungen würden in dieser Zeit durchgeführt. Selbst Vorsorge werde gestrichen: "Da kann es mit dem Stempel für das Bonusheft schon eng werden."

Fedderwitz sagte der Zeitung, die Budgets für Zahnbehandlungen seien aufgebraucht. Viele Mediziner arbeiteten bereits auf eigene Kosten. Notfälle wie akute Zahnschmerzen würden auch weiter behandelt. Betroffen von den Einschränkungen sind auch Versicherte der AOK Berlin-Brandenburg. Auch der größte Teil der mehr als fünf Millionen Versicherten der Innungskrankenkassen (IKK) müsse damit rechnen, erst im kommenden Jahr wieder Zahnarzttermine zu bekommen, so die Bild.

Bundesgesundheitsministerium und Krankenkassen reagierten mit Unverständnis. Alle Kassenzahnärzte sind verpflichtet, ihre Patientinnen und Patienten umfassend zu behandeln", sagte Gesundheitsstaatssekretär Daniel Bahr (FDP). "Es ist die gesetzliche Aufgabe der Kassenzahnärztlichen Vereinigung, dies sicherzustellen." Werde eine Behandlung verweigert, sollten sich die Versicherten an ihre Kasse wenden oder an die Sozialministerien der Länder. "Das sind die zuständigen Aufsichtsbehörden."

Ann Marini, Sprecherin des Kassen-Spitzenverbandes, sagte: "Unverantwortlich ist es, dass Zahnärztefunktionäre die Ängste von Patienten schüren, nur um eigenen Honorarforderungen im Zuge der aktuellen Reformdebatte Nachdruck zu geben." Zahnärzte reklamierten Jahr für Jahr Erfolge bei der Verbesserung der Mundgesundheit für sich, gingen nun aber plötzlich von einem höheren Behandlungsbedarf aus.

Das Geld der Kassen für die Kassenzahnärztlichen Vereinigungen reiche, betonte Marini. Offenbar versage das interne Verteilungsmanagement. "Jeder weiß, dass ein Jahr zwölf Monate hat, da kann man nicht das gesamte Jahresbudget bereits innerhalb der ersten neun Monate verbrauchen." Zahnärzte, die Behandlungen verweigern, verhielten sich nicht gesetzeskonform. Versicherten sollten sich an ihre Kasse wenden.

Fedderwitz richtete einen "dringenden Appell" an die Politik, höhere Budgets zuzulassen. "Bei uns haben sich mittlerweile pro Jahr Budgetüberschreitungen von rund 150 Millionen Euro angesammelt." Rund 1,8 Millionen Kassenpatienten würden ohne Honorar behandelt.

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5 Kommentare

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  • H
    Heike

    Mir ging es gestern genauso - ich wollte (von wollen kann eigentlich nicht die Rede sein - ich sollte) zum Zahnarzt, weil mir ein Stück von der Krone abgebrochen ist. Ich krieg aber erst nächstes Jahr wieder einen Termin. Jetzt muss ich also warten, bis ich Schmerzen habe, dass ich als Notfall genommen werde. Unglaublich - und dafür bezahle ich jeden Monat der Krankenkasse meine Gebühren.

    Ich bin ziemlich entsetzt !

  • J
    jury

    Um es mit den Worten von Rainald Grebe zu sagen:

     

    "Bangladesh wir kommen"..."wir stehen schon mit einem Bein im Reisfeld"

  • O
    ohno

    Dabei ist die Sache doch ganz einfach: Die armen Zahnärzte kündigen einfach Ihre (freiwillig!) geschlossenen Verträge mit den Krankenkassen und behandeln nur noch privat.

  • K
    klömpi

    Ein Witz ist das. In Deutschland müssen Ärzte also ab September quasi Geld dafür bezahlen, dass sie Patienten behandeln - sowas hirnrissiges gibt es nur hier. Kein Wunder, dass ein großer Teil der "frisch gebackenen" Mediziner direkt nach dem Studium auswandert. Ich würds genauso machen. Hauptsache die Kassen stellen sich noch größere Glaspaläste hin und ihre Vorstände genehmigen sich noch ein paar Milliönchen mehr im Jahr an Gehalt. Unser Gesundheitssystem ist echt sowas von marode, und die Ärzte können einem echt Leid tun, dass sie in so einem Witzsystem auch noch Akkord arbeiten müssen.

  • T
    Thomas

    Jetzt behaupte bitte niemand, das sei eine neue Entwicklung. Bereits seit Jahren haben vielerorts Ärte und Zahnärzte genau aus diesem Grund mittwochs und freitags jeweils nur an den Vormittagen Sprechstunde.

    Vor Jahren hatte mir mein behandelnder Arzt gesagt, dass er von der Krankenkasse ca. 20.000 Euro für ein Quartal nicht erstattet bekommen hätte, da er sein Budget überschritten hatte; der Mann hatte doch tatsächlich mehr Patienten behandelt, als im Budget vorgesehen waren; mit andern Worten: er hat viele Menschen umsonst behandelt.

    Das kann und darf nicht der Weisheit letzter Schluss sein; ein solches System ist marode