Südafrikas Unterwelt und die WM: Der Terror der "Roten Ameisen"
Vor der Fußball-WM verjagen private Sicherheitsangestellte illegale afrikanische Flüchtlinge in Johannesburg. Deren Behausungen sind im Griff von Gangstern.
JOHANNESBURG taz | Lvie Massala kann den Tag nicht vergessen, als sie von den "Roten Ameisen" aus dem Schlaf geholt wurde. Genannt nach ihren roten Overalls und für ihre Gewalt berüchtigt, drangen die Angestellten einer privaten Sicherheitsfirma frühmorgens ein: "Sie traten gegen meine Tür und ich musste in Eile meinen Raum verlassen."
Die Kongolesin lebte in einem alten Wohnblock am Joe Slovo Drive in Yeoville. Jetzt teilt sie sich einen Platz in einer kleinen, aber sauber hergerichteten Notunterkunft mit 40 Frauen und Kindern in Bertrams, gegenüber dem Fußballstadion Ellis Park. Nur vorübergehend, bis sie wieder Fuß gefasst hat, meint die schüchterne Frau in Jeans und Pulli. Doch das ist schwer als mittellose afrikanische Ausländerin in Johannesburg.
"Bienvenue" steht an dem alten Haus in Bertrams, wo Lvie Massala Hilfe, Sprachkursangebote und ärztliche Betreuung findet. Hier heißt "Sister Melany" Gestrandete willkommen. "Sis Melany", wie die katholische Schwester aus Großbritannien genannt wird, betreut seit neun Jahren Frauen und Kinder, die keine Bleibe mehr haben. Sie flohen aus ihrer Heimat und lebten in den Blocks der Slumlords von Johannesburg, bis die Miete ausging und die Polizei oder die "Roten Ameisen" sie mit Gewalt hinaustrieben.
Die Unterkunft nahe Ellis Park ist eine von vielen, in denen Menschen aus afrikanischen Ländern Zuflucht finden. In diesem Stadion werden zur Fußballweltmeisterschaft in vier Wochen Fans willkommen geheißen, Südafrika will sich von bester Seite präsentieren. Doch direkt neben dieser gigantischen Vergnügungsstätte leiden Immigranten an dem Trauma ihrer Vertreibung aus der Stadt.
Viel redet die junge Kongolesin nicht. "Sie hat Angst", meint Schwester Melany. Die Helferin meint, die Zwangsräumungen hätten mit dem Bevorstehen der Weltmeisterschaft zugenommen. Oftmals auch die Gewalt, die die "Roten Ameisen" und auch die Polizei bei Räumungen anwenden. Die brutalen Rausschmeiß-Trupps handeln im Auftrag der Hauseigentümer oder auch der Stadt.
Die 31-jährige Jackie Kalenga, ebenfalls aus dem Kongo, lebt bereits seit drei Monaten in "Bienvenue", sie ist im vierten Monat schwanger und hat drei kleine Kinder. Ihr Vermieter in Troyeville ließ sie von der Polizei verjagen und behielt ihre Habe ein. Auch die 27-jährige Rachel Mbloa lebt bereits einige Wochen mit ihren Kindern bei Sister Melany. Als Rachels Mann vor zwei Jahren starb, konnte sie keine Miete zahlen, denn er war der Ernährer der Familie. "Im Kongo habe ich keine Angehörigen mehr", sagt sie. "Ich versuche, Arbeit zu finden, aber es ist hart da draußen." Sie teilt ihr Schicksal auch mit Südafrikanern, die in der Hoffnung auf Arbeit aus den Dörfern in die Stadt gekommen sind und häufig auf der Straße landen.
Die Betreuerin von "Bienvenue" erhält keine südafrikanische Hilfe, wird aber von Kirchen in Großbritannien, der Universität Japan und Privatleuten unterstützt und arbeitet mit internationalen Menschenrechtsorganisationen und dem Zentrum für Flüchtlinge in Johannesburg zusammen. Ein Förderer ist Walter da Costa, der das Johannesburger Flüchtlingshilfswerk DMPSP (Unterstützungsprogramm für Vertriebene und Migranten) leitet. "Die Vertreibungen häufen sich und auch die Gewalt gegen Ausländer", sagt er.
Aber Da Costa sieht keinen unmittelbaren Zusammenhang mit der Fußballweltmeisterschaft: "Ich glaube nicht, dass es eine echte Kampagne zur Säuberung für die WM gibt." Vielmehr liegt der Grund für die vielen Räumungen in den vergangenen vier Monaten darin, dass ein Gerichtsurteil nun die Stadt Johannesburg verantwortlich macht für den Verlust von Mieteinnahmen, wenn Gebäude illegal besetzt sind.
In Johannesburgs Innenstadt gibt es laut Da Costa verstärkten Zuzug von ausländischen Einwanderern. Sie machen dort inzwischen 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung aus, die meisten kommen aus Nigeria, der Demokratischen Republik Kongo, Somalia, Äthiopien, Kamerun, Mosambik und Simbabwe. "Rund 700 Gebäude werden von kriminellen Banden kontrolliert, die Miete geht also an Gangs", erklärt er. "In diesen Gebäuden leben rund 45.000 Menschen." Sie zahlen für ein Zimmer in einem heruntergekommenen Gebäude. Häufig sind es Flüchtlinge aus Simbabwe, die sich illegal in Südafrika aufhalten.
Viele simbabwische Flüchtlinge fanden in letzter Zeit auch in der Methodistenkirche in Johannesburgs Innenstadt Unterschlupf. Jetzt sollen sie ab Ende Mai vorübergehend in ein anderes Gebäude ziehen, das als Übergangslager dienen soll. "Sie sollen dort Zugang zu Ausbildung und Jobvermittlung erhalten und rund sechs Monate Aufenthalt haben", beschreibt Da Costa das Pilotprojekt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Social-Media-Verbot für Jugendliche
Generation Gammelhirn