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Kommentar SchulfriedenZehnjährige Unterwerfung

Kaija Kutter
Kommentar von Kaija Kutter

Was die SPD-Führung hier verlangt, ist zehnjährige Unterwerfung unter die Volksinitiative von Walter Scheuerl.

W aren die Verhandlungen zwischen CDU, GAL und SPD so unübersichtlich? Oder warum wird erst jetzt deutlich, wo man sich nicht einig ist. Wurde absichtlich vage formuliert, damit Spielraum für Deutung bleibt?

Denkbar, dass SPD und GAL den gleichen Text unterschreiben und ihn nachher einfach anders auslegen. Ein politischer Streit würde dadurch aber erst entfacht und nicht beigelegt.

Was die SPD-Führung hier verlangt, ist zehnjährige Unterwerfung unter die Volksinitiative von Walter Scheuerl. Dabei sind die Hürden, einen gewonnenen Volksentscheid wieder zu ändern, ohnehin hoch. Das regelt die Verfassung. Aber warum dann im Schulpakt noch einen drauf setzten? Warum die politische Meinungsbildung für zehn Jahre auf Eis legen?

Vor allem für die Grünen wäre so eine Festlegung schwierig. Für jene in der SPD, die standhaft gegen die Primarschule sind, ist dies ein Bonbon, der den Kompromiss versüßt.

Volkes Wille zu respektieren ist wichtig. Aber die Mehrheit hat nicht immer Recht. Wir haben ein ungerechtes Schulsystem, vor allem für Migranten, von denen viele nicht einmal abstimmen dürfen.

Aufgabe von Politik ist es, hier ausgleichend zu wirken, zu gestalten und für Überzeugungen zu werben. Nicht, dem Volk nach dem Mund zu reden und den politischen Gegner zu Knebeln.

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Kaija Kutter
Redakteurin taz-Hamburg
Jahrgang 1964, seit 1992 Redakteurin der taz am Standort Hamburg für Bildung und Soziales. Schwerpunkte Schulpolitik, Jugendhilfe, Familienpolitik und Alltagsthemen.
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9 Kommentare

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  • CP
    Chris Peter

    Falls im Sommer eine Mehrheit für den Volksentscheid stimmt, würde ich, frei nach Brecht, einfach vorschlagen, dass Frau Goetsch und Frau Kutter das Volk auflösen und ein neues wählen.

  • M
    Martin

    Das Problem bei der Reform sind ja auch nicht mal die teilweise sehr guten Ansätze. Die Hinwendung zum individuelleren Lernen, eher weg vom Frontalunterricht, ist ja schonmal ein m.E. guter Weg.

    Auch das längere Zusammenlernen kann eine gute Sache sein.

     

    Was aber komplett fehlt, ist ein richtiges, tragfähiges Konzept, wie das Ganze denn nun funktionieren soll. Dazu ist auch auf den Seiten der Reformbefürworter nichts triftiges, konkretes oder tragfähiges zu erfahren.

     

    Wie z.B. nun die Lehrer, die teils mit dem eher anspruchslosen Frontalunterricht kaum zurechtkommen nun eine deutlich anspruchsvollere, individuellere Form zu unterrichten, meistern sollen, konnte mir keiner wirklich vermitteln.

    Da finden sich nur Floskeln, wie "Die Reform wird gelingen".

    Das Bild wird durch Gespräche mit befreundeten Lehrern (wir leben in einem Mehrfamilienhaus mit mehreren Parteien, darunter insgesamt 3 Lehrer in verschiedenen Schulen) nur erhärtet. Keiner weiß, weder organisatorisch, noch inhaltlich, wie das Ganze aussehen soll.

     

    Ich habe beruflich seit Jahrzehnten mit teils recht anspruchsvollen Projekten zu tun. Ich habe diverse Projekte aus genau diesen Gründen scheitern sehen: Viele, viele tolle Dinge wollen, aber viel zu wenig echte Planung und reelles Konzept. Da ist keine auch nur ansatzweise Risikoanalyse und Planung, kein gar nichts. Nur schöne Ideen und "möglichst schnell loswurschteln".

     

    Ich bin gegen die Reform, weil ich den Verfechtern ihre guten Intentionen zwar glaube, und auch einiges an der Reform selbst gut finde, Ihnen aber absolut nicht abnehme, das sie die Implementierung wirklich bewältigen können.

    Ich glaube nicht, das die Reform in diesem Zeitrahmen, auf diese Art zu realisieren ist.

    Die Reform ist mit dieser erbärmlichen Planung, diesem "einfach schnellstmöglich loslaufen" Konzept schon zum Scheitern verurteilt, bevor sie überhaupt anfängt.

  • M
    Martin

    Ich kriege bei der GAL allmählich auch das Brechen.

    Die stellt wirklich den undemokratischsten, antiliberalsten Mistverein, den es nach der "Linken" derzeit gibt, dar.

     

    Vielleicht könnte es auch bei der GAL irgendwann mal durchdringen, das vermeintliche Migranteninteressen nicht die Einzigen sind, die es zu wahren gilt?

     

    Und das -wenn eine große Menge der Bevölkerung- keine Lust hat, die Bildung und Ausbildung seiner Kinder im Namen einer verquasten, stupiden, durch-und-durch unausgegorenen, ideologisch zwar gaaanz, gaaannz tollen, sonst aber völlig unbrauchbaren Schulpolitik ruinieren zu lassen, das gefälligst zu akzeptieren ist.

     

    Und nein, die GAL hat nicht automatisch recht und wenn "das Volk" mal nicht so will, wie die GAL ist das Volk halt automatisch doof und muß belehrt werden.

    Vor allem nicht von derart unfähigen Dummschwurblern.

  • S
    Schmibele

    Mit Verlaub, wieso wird sich immer auf die Migranten berufen. Ich bin vor fast 40 Jahren als Kind aus einer gemischten Ehe hier zur Schule gegangen und habe diese ohne Probleme gemeistert. Sind Migranten in toto bildungsferner, dümmer, benachteiligter. Wenn das so ist, dann muß aber nicht das Hamburger System diese Nachteile ausgleichen. Diese Menschen sind freiwillig hier und müssen sich anpassen. Sprich auch die Deutsche Sprache lernen. Dazu gibt es genug Möglichkeit. Aber wenn man sich so umschaut, wollen die das gar nicht. Mir hat einmal eine Gruppe türkischer Mädchen an der Uni erklärt, sie treten immer zusammen und unfreundliche auf, weil sie nicht angesprochen werden wollen und unter sich bleiben wollen. Bravo. Und übrigens haben wir Deutsche, sollten wir im Ausland leben, auch kein Wahlrecht. Also kein Grund, das hier anzuführen.

  • F
    fairplay63

    Wenn die Initiative gegen die Schulreform den Volksentscheid gewinnt, wird es höchstwahrscheinlich Neuwahlen geben. Und selbst wenn dieser Fall nicht eintritt, ist doch kaum vorstellbar, dass die Primarschule als flächendeckende Schule 2 Jahre später wieder auf die Tagesordnung kommt. Insofern halte ich die Ausführungen der Autorin für abwegig.

  • BK
    Birte Klug

    Fuer die GAL ist Demokratie offenbar nur gut, um an die Macht zu kommen:

     

    Wer einen Satz schreibt, wie: "Volkes Wille zu respektieren ist wichtig. Aber die Mehrheit hat nicht immer Recht. Wir haben ein ungerechtes Schulsystem, vor allem für Migranten, von denen viele nicht einmal abstimmen dürfen", uebersieht, dass die Migranten mangels Wahlrecht auch nicht die GAL gewaehlt haben.

     

    Politiker und GAL - wie tief seid Ihr gesunken!

  • M
    Marius

    Wenn die Volksinitiative gewinnt, dann ist es dann keine Unterwerfung gegenüber Walter Scheuerl - sondern gegenüber dem Willen des Volkes.

  • CH
    C. Holstein

    Dieser Kommentar macht mich sprachlos:

     

    "Volkes Wille zu respektieren ist wichtig. Aber die Mehrheit hat nicht immer Recht. (...) Aufgabe von Politik ist es, hier ausgleichend zu wirken, zu gestalten und für Überzeugungen zu werben. Nicht, dem Volk nach dem Mund zu reden (...)"

     

    Meine taz empfiehlt also, Volksentscheide nur gelten zu lassen, wenn sie der (Regierungs-) Politik in den Kram passen. "Volksentscheide müssen gelten - nur nicht die von den anderen." - Ich fasse es nicht.

  • CB
    Carsten Bittner

    Weiter kann man sich von der einst so geliebten Basisdemokratie wohl kaum entfernen: Falls die Volksinitiative ihr Ziel auch nur knapp verfehlt soll der obsiegende Politikerwille des All-Parteien-Blocks für zehn Jahre festgeschrieben werden. Umgekehrt soll aber selbst bei einem eventuell haushohen Sieg der Volksinitiative der Bürgerwille nicht in gleicher Weise respektiert werden. Ist dies einfach nur linke Dialektik oder kann es sein dass Macht korrumpiert?