Aufregung um Pinneberger Moschee: Runder Tisch mit leeren Stühlen
Der Verfassungsschutz warnt vor einer Pinneberger Moschee. Warum, bleibt geheim. Wer etwas über sie erfahren will, muss sie besuchen.
PINNEBERG taz | Unendlich langsam zuckelt der Zug nach Pinneberg, immer wieder hält er auf offener Strecke an. Die Gleise seien unterspült, sagt der kleine, grauhaarige Schaffner, der entkräftet in einem Abteil ausharrt, das Regenwasser dringe hoch. "Es ist gerade schlimm."
Unterspült werden in Pinneberg derzeit nicht nur die Gleisbetten, sondern, viel schlimmer, das deutsche Grundgesetz - sagt der Verfassungsschutz. Dessen oberster Chef aus Kiel, Horst Eger, sitzt im fensterlosen Sitzungssaal B des Rathauses, die Deckenlampen spiegeln sich in Egers Glatze. "Nach außen hin geben sie sich integrationswillig, nach innen vertreten sie die Scharia", sagt Eger und nimmt die Lesebrille ab. "So viel zum Komplex Islamisten."
Seit drei Wochen ist Pinneberg in Aufregung wegen einer Moschee, die nur wenige hundert Meter vom Rathaus entfernt neben der Fußgängerzone liegt. In der Alsunnah-Moschee, haben die Zeitungen berichtet, treffen sich radikale Islamisten; "Hassprediger", schreibt die Bild-Zeitung, die nach der Schließung der Hamburger Taiba-Moschee heimatlos geworden seien.
Pinneberg, eine Schlafstadt im Speckgürtel nördlich von Hamburg mit S-Bahn-Anschluss, sei "zu dem Problem gekommen wie die Jungfrau zum Kinde", sagt Egert. Die Gefahr gehe von den Extremisten aus Hamburg und aus anderen Städten aus, "nicht von den Pinnebergern". Die anwesenden Lehrer, Ratsmitglieder, Religionsvertreter tröstet das wenig. Stirnen legen sich in Falten, Finger knoten sich nervös.
Wie man "mit solchen Dingen" umgehen könne, will ein Ratsherr von der CDU wissen, Moscheeschließungen würden ja offenbar das Problem nur verlagern? "Wir bewegen uns auf einer Rasierklinge", Egers Schnurrbart senkt sich nach unten. Schließlich gelte in Deutschland Religionsfreiheit. "Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass irgendeine Glaubensgemeinschaft drangsaliert wird."
Die Alsunnah-Moschee wurde vor neun Monaten von der "Muslimischen Vereinigung Pinneberg" eröffnet.
Das Ziel war nach eigenen Angaben, "jungen Glaubensbrüdern einen Platz zum Beten" zu geben. Zuvor hatten die Betreiber sich mit der Türkischen Moschee entzweit.
Nach dem öffentlichen Vorwürfen, extremistisch orientiert zu sein, wurde der Mietvertrag zu Ende Juni gekündigt.
Wie am Mittwoch bekannt wurde, soll die Moschee nun schon Ende Februar aufgegeben werden. Die Vereinigung will sich aber weiterhin treffen.
Der CDU-Ratsherr lässt nicht locker. Hätten nicht schon vor einem halben Jahr die jungen Männer in langen Gewändern in der Pinneberger Fußgängerzone einen Stand aufgebaut? Hätte man da nicht bereits etwas unternehmen müssen?
Die Frage geht an die beiden Polizisten im Raum, aber auch die müssen passen. Zumindest "der Anfangsverdacht einer Straftat" müsse vorliegen, oder eine "konkrete Gefahrenlage". "Dass eine Moschee da ist, reicht nicht."
Was gegen die jungen Männer aus der Alsunnah-Moschee vorliegt, wird an diesem Nachmittag nicht ganz klar. Genaueres könne er "aus ermittlungstaktischen Gründen" nicht verraten, sagt Verfassungsschutz-Chef Eger. Sein junger Mitarbeiter, ein Islamwissenschaftler im schicken Anzug, deutet immerhin die Richtung an: Die Männer seien Salafisten. Das klinge erstmal nicht schlimm, bedeute aber "Intoleranz, was die Gleichstellung der Geschlechter, was Wahlen betrifft".
Die Sache sei ganz einfach, sagt Slim Kliti vom Moscheebetreiber, der "Muslimischen Vereinigung Pinneberg": "Im Islam gibt es bestimmte Regeln, und die sind glasklar." So habe etwa Mohammed den Männern befohlen, sich Bärte wachsen zu lassen. Allah sage auch, dass die Frau dem Mann zu gehorchen habe, "und wenn das Gott sagt, ist das so". Zu Wahlen könne man als Muslim nicht aufrufen, das sei "Götzendienst". "Soll ich etwa eine Partei wie die SPD wählen, die dafür eintritt, das Männer Männer heiraten können?"
Kliti, 26, ist in Pinneberg zur Schule gegangen, seine Eltern kommen aus Tunesien. Die Scharia, sagt er, sei "das einzige Gesetz, das was für uns bedeutet". Zum Freitagsgebet in der Moschee hat Kliti seine Bomberjacke gegen ein langes Gewand eingetauscht, vielleicht zwölf junge Männer sind im Raum, in dem ein roter Teppich ausgelegt ist. Der Prediger sitzt auf einer Art improvisiertem Sperrholzthron, er predigt abwechselnd arabisch und deutsch.
Es geht um Olivenbäume, die verdorren, Meere, die austrockenen, einen Mann, der auf einer Insel gestrandet ist und nicht nach Mekka oder Medina kommen darf, denn er weiß, dass dort ein Schwert auf ihn wartet. Ein NDR-Team ist heute auch da, vor dem Abschlussgebet, zu dem sich die Gläubigen vorne versammeln, wendet sich der Prediger an die Besucher und lächelt ein wenig schief: "Vielleicht können wir Sie beim nächsten Mal auch hier begrüßen?"
Die Predigt, heißt es hinterher, habe vom "falschen Messias" gehandelt. Einer der Besucher, auch er im langen Gewand, kommt näher und sagt, dass niemand ein Ungläubiger sei. "Glaubst du an Gott?", will er wissen, und dann sagt er, es sei besser, daran zu glauben, denn wenn es Gott nicht gäbe, habe man nicht viel verloren, aber wenn doch, schon: "Die Hölle, Bruder, uuuh, kannst du dir vorstellen, wie heiß das Feuer ist?"
Draußen reden wir weiter, das Gerücht macht die Runde, der Verfassungsschutz habe jemand vom NDR gesteckt, dass einer der Vereinsvorstände in einem pakistanischen Ausbildungslager gewesen sei. "Ich glaub, die drehen jetzt wirklich durch", sagt einer der jungen Männer.
Aber auf die Frage, was er über Glaubensbrüder wie Shahab D. denkt, der aus Pinneberg in ein Taliban-Camp ging und dort von einer amerikanischen Drohne getötet wurde, kommt zunächst nur höfliches Schweigen. Und dann eine Definition: "Ein Märtyrer ist einer, der sein Leben auf Spiel setzt, um den Namen Allahs zu erhöhen."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin