Verhältnismäßigkeit: Karlsruhe missfällt Polizeieinsatz
Eingriff in die Pressefreiheit: Das Bundesverfassungsgericht rügt eine Durchsuchung beim Hamburger Radiosender "FSK".
Die Razzia beim linken Radiosender "Freies Sender Kombinat" (FSK) Ende 2003 war verfassungswidrig. Das hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe am Mittwoch bekannt gegeben. "Das Grundrecht der Rundfunkfreiheit schützt in seiner objektiven Bedeutung die institutionelle Eigenständigkeit des Rundfunk von der Beschaffung der Information bis zur Verbreitung der Nachrichten und der Meinung", schreiben die Verfassungsrichter in ihrem Beschluss vom 10. 12. 2010.
Auslöser des Polizeieinsatzes am 25. 11. 2003 war ein Interview gewesen, das der FSK-Reporter Werner Pomrehm mit dem damaligen Polizeipressesprecher Ralf Kunz geführt hatte - Thema: Polizeiübergriffe bei einer vorangegangenen Demonstration. Was Pomrehm nicht sagte: Er zeichnete das telefonische Interview auf, um es auszustrahlen.
Wegen der "Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes" drang Tage später die Polizei auf Antrag der Staatsanwaltschaft und mit Billigung des Amtsgerichtes in die FSK-Redaktionsräume im Hamburger Schanzenviertel ein. Der Sendebetrieb wurde unterbrochen, damit keine Unterstützer mobilisiert werden konnten. Grundflächenskizzen und Lichtbilder der Redaktionsräume wurden angefertigt, Unterlagen beschlagnahmt. Den Ermittlern sei es um "Ausforschung und Einschüchterung" gegangen, sagt Carsten Gericke, Anwalt des FSK.
Vom Schutz der Rundfunkfreiheit sei auch die "Vertraulichkeit der Redaktionsarbeit umfasst", erklärten nun die Richter. Diese verwehre es staatlichen Stellen grundsätzlich, "sich einen Einblick in Vorgänge zu verschaffen, die zur Entstehung der Nachrichten oder Beiträge führen, die in der Presse gedruckt oder im Rundfunk gesendet werden". Unter das Redaktionsgeheimnis fielen "auch organisationsbezogene Unterlagen, aus denen sich Arbeitsabläufe, Projekte oder die Identität der Mitarbeiter einer Redaktion ergeben".
Im konkreten Fall wäre die "Tat zu gewichten" gewesen, findet das Verfassungsgericht: "Für die Schwere der Tat macht es einen erheblichen Unterscheid, welchen Grad der Vertraulichkeit der Sprecher erwarten durfte". Habe er von vornherein seine Äußerungen an die Öffentlichkeit gerichtet, bleibe die Aufzeichnung zwar grundsätzlich strafbar - aber weniger schwer, als wenn ein Gespräch zweier sich unbelauscht fühlender Personen heimlich aufgezeichnet worden wäre.
Für Anwalt Gericke ist der Spruch eine "Lehrstunde für Rundfunkfreiheit": Die Entscheidung mache die "Besonderheit der Maßnahme" deutlich: "Polizei und Staatsanwaltschaft, aber auch die Fachgerichte haben versagt und die Rundfunkfreiheit verkannt". Die betroffenen Behörden wollten sich zum Urteil nicht äußern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Streit in der SPD über Kanzlerkandidatur
Die Verunsicherung
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit