Die türkische Gewerkschafterin Emine Aslan: Die Frau, die hartnäckig bleibt
Frau Emine schuftete in der Desa-Textilfabrik. Als sie der Gewerkschaft beitrat, um bessere Arbeitsbedingungen zu erstreiten, feuerte man sie. Jetzt kämpft sie vorm Werkstor weiter.
Emine Aslan wurde 1964 in Gaziantep, im Südosten der Türkei, geboren und kam als Kind mit ihrer Familie nach Istanbul. Sie ist verheiratet und hat vier Kinder. Fast ihr ganzes Erwachsenenleben hat sie im Textilsektor gearbeitet, vor acht Jahren begann sie in der Textil- und Lederfabrik Desa. Als Textilarbeiterin hat sie nie mehr als umgerechnet 300 Euro im Monat verdient, oft sogar weniger. Anfang letzten Jahres wurde sie Mitglied der für die Textil- und Lederbranche zuständigen Gewerkschaft Deri-Is. Deshalb, und weil sie bei ihren Kolleginnen für einen Gewerkschaftsbeitritt geworben hat, wurde sie im Juli 2008 fristlos gefeuert.
Der Kopf der Frau ist sittsam mit einem Tuch bedeckt. Doch unter dem Kopftuch zeigt sich kein demütig nach unten gerichteter Blick, sondern schauen zwei Augen ihr Gegenüber offen und interessiert an. Da es trotz Sonnenschein selbst um die Mittagszeit empfindlich kalt ist, hat sich Emine Aslan in einen dicken Mantel gehüllt und einen Gaskocher mitgebracht, auf dem sie Tee aufbrühen kann. Der Sonnenschirm, unter den sie einen provisorischen Tisch und zwei Hocker platziert hat, ist vom monatelangen Gebrauch ausgebleicht und dient nun eher dem Schutz vor Regen, der um diese Jahreszeit manchmal geradezu wolkenbruchartig vom Himmel fällt.
Doch davon lässt sich Emine Hanim - Frau Emine, wie sie im Türkischen genannt wird - nicht beeindrucken. Egal wie das Wetter ist, seit über einem halben Jahr nimmt sie jeden Morgen um acht Uhr ihren Platz ein. Sie hängt ein Plakat mit dem Schriftzug "Gewerkschaftsrechte für alle" auf und zeigt Präsenz. Erst gegen achtzehn Uhr geht sie nach Hause. So lange dauern auch die Schichten in der Desa-Textilfabrik, in der Aslan über acht Jahre geschuftet hat, bevor die Geschäftsleitung sie im Juli letzten Jahres von heute auf morgen feuerte. Sie hätte ihre Pflichten nicht ordnungsgemäß erfüllt, wurde ihr gesagt, selbst den noch ausstehenden Lohn enthielt man ihr vor. Seitdem demonstriert Emine Aslan vor den Toren der Fabrik für ihre Wiedereinstellung.
Auf dem Weg zu ihr landet man zunächst im Nirgendwo. Der uralte Istanbuler Vorortzug läuft nach eineinhalb Stunden in seinem Endbahnhof ein, doch von Sefaköy, dem Ort, der dem Bahnhof seinen Namen gegeben hat und wo die Desa-Textilfabrik stehen soll, ist nichts zu sehen. Ringsherum nur Industriebrache und in der Ferne ein Neubaugebiet, das mitten in der Pampa hochgezogen wird. Glücklicherweise findet sich ein Taxifahrer, der Bescheid weiß. Es ist dann noch ein gutes Stück, bis die Fabrik auftaucht. Direkt an einer Landstraße gelegen, wo der Moloch Istanbul sich langsam in das Umland hineinfrisst und in den letzten Jahren mehrere Fabriken entstanden sind. Auch Desa produzierte bis vor zehn Jahren noch im traditionellen Istanbuler Textilbezirk Davudpasa, stellte dann aber eine größere Fabrik draußen auf die grüne Wiese.
Wir sind verabredet, doch von Emine Aslan ist zunächst nichts zu sehen. Ihr Platz unter dem Sonnenschirm neben der Fabrik ist verwaist, doch dann ruft jemand von der anderen Straßenseite und zeigt auf einen kleinen Toyota-Transporter. Aus dem Auto winkt Emine, sie hat die Verabredung nicht vergessen. Seit das Wetter kalt und regnerisch geworden ist, kommt immer mal wieder ein Mitarbeiter der Gewerkschaft Deri-Is mit dem Kleintransporter vorbei, damit sie sich aufwärmen und im Trockenen einen Tee trinken kann. Heute ist auch ihr Mann mit vor Ort, stolz auf seine Frau, die nun sogar Besuch von ausländischen Journalisten bekommt.
Nach einem kurzen Austausch von Höflichkeiten kommt Emine Aslan gleich zur Sache. "Ich habe keine Pflicht verletzt, sondern nur auf meinem Recht bestanden", empört sie sich noch Monate später. Ihr Recht, sich als Arbeiterin einer Gewerkschaft anzuschließen. Die 42-jährige Mutter von vier Kindern wollte sich nicht mehr alles gefallen lassen.
"Manchmal", erzählt sie, "mussten wir selbst die Nacht durcharbeiten, es gab nichts zu essen und keine Möglichkeit, sich zu waschen." Als es dann wieder einmal kein Geld für die Zusatzschicht gab, ging sie zu der Textil- und Lederarbeitergewerkschaft Deri-Is und wurde Mitglied. Ihr Mann, der als Fahrer bei einer benachbarten Fabrik arbeitet, machte ihr Mut, weshalb es Emine Aslan auch möglich war, einige Kolleginnen zu sich nach Hause einzuladen. Am Küchentisch redeten sie dann über die Gewerkschaft. Es kam zu zwei Treffen, dann denunzierte sie jemand bei der Geschäftsleitung. Emine Aslan wurde noch am selben Tag entlassen.
Seitdem protestiert sie vor dem Werkstor. Alleine. "Die anderen haben Angst mitzumachen. Sie brauchen dringend die 600 Lira (ungefähr 300 Euro), die sie hier im Monat verdienen. Allein für die Miete zahlen die meisten ja schon 400 Lira." Emine wohnt mit ihrer Familie unweit der Fabrik in einem ehemaligen Gecekondu. Das sind die zumeist illegal auf Staatsland errichteten Hütten, in denen arme Familien aus Anatolien, die in Istanbul Arbeit und Auskommen suchen, sich zu Beginn ihres neuen Lebens in der Metropole einrichten. Emine und ihr Mann Mehmet gehören zu den Glücklichen, deren Gecekondu-Haus später legalisiert wurde und die nun stolze Eigentümer ihres mittlerweile wesentlich besser ausgebauten Häuschens sind.
Wegen gewerkschaftlicher Aktivitäten auf die Straße gesetzt zu werden, ist in der Türkei nichts Besonderes. Die Gewerkschaftsbewegung leidet bis heute unter den Spätfolgen des Militärputsches vom September 1980. Auch fast dreißig Jahre danach werden Gewerkschaften durch eine feindliche Gesetzgebung behindert, und die meisten Firmen empfinden den Versuch einer gewerkschaftlichen Organisation ihrer Arbeiter als Angriff auf den Betriebsfrieden. Deshalb werden Gewerkschaften mit allen legalen wie auch illegalen Mitteln bekämpft.
Doch im Unterschied zu vielen anderen, vor allem anderen Frauen, will Emine Aslan ihren Rausschmiss nicht hinnehmen und kämpft mit seltener Hartnäckigkeit und großem Mut gegen die Ungerechtigkeit der Kündigung. Dass sie schon so lange durchhält, ist aber auch der Unterstützung der ganzen Familie zu verdanken. Ihr Mann steht voll auf ihrer Seite, und zwei von den vier Kindern, die bereits erwachsen und aus dem Haus sind, helfen mit, um die Familie finanziell über die Runden zu bringen.
Und, so erstaunlich es ist, Emine hat mit ihrer Aktion durchaus Erfolg. Je länger sie ihre Exchefs mit ihrer täglichen One-Woman- Demonstration herausfordert, umso mehr spricht sich ihre Geschichte herum. Zunächst verbreitete sie sich in Gewerkschaftskreisen, dann im ganzen Stadtteil und irgendwann brachte die erste Istanbuler Zeitung eine Story über die Frau, die nicht aufgibt. Mittlerweile hat Emine Hanim einen ganzen Ordner voll. Nach einem kurzen Telefonat kommt ihr jüngster Sohn Sahin von zu Hause angetrabt, um dem ausländischen Besucher den Ordner zu zeigen. Darin wird Emine meist unter ihrem Sonnenschirm gezeigt, fröhlich mit ihrem Gewerkschaftsplakat winkend. Doch es gibt auch andere Geschichten. Berichte darüber, wie sie wegen einer angeblich begangenen Ordnungswidrigkeit zur Polizei geschleppt wurde. "Ich musste eine Geldstrafe zahlen, damit sie mich wieder rauslassen. Außerdem haben sie mir gesagt, ich dürfe nicht mehr vor dem Fabrikeingang sitzen."
Emine zog zehn Meter weiter und schlug dort ihren Sonnenschirm auf. Die Firmenleitung ließ den Platz mit Müll zukippen, doch Emine und ihre Familie räumten ihn einfach wieder weg. Sie ließ sich weder durch Drohungen noch durch Schikanen vertreiben. Während sie erzählt, wie die Firmenleitung versucht hat, sie zu demoralisieren, klingelt immer wieder ihr Handy. Eine Kollegin aus der Fabrik ruft an. "Sie haben Angst, sich direkt mit mir zu treffen und mich hier vor dem Tor zu besuchen. Die Geschäftsleitung hat es ihnen verboten. Doch im Stillen unterstützen sie mich." Um ja keinen Kontakt zwischen Emine und den Arbeiterinnen im Werk zuzulassen, hat die Geschäftsleitung sogar verfügt, dass die Mittagspause am Freitag nicht mehr wie früher zum Gang zur nächsten Moschee in der Nähe der Fabrik genutzt werden darf. Stattdessen steht jetzt freitags immer ein Bus bereit, der jeden, der will, zu einer weiter entfernten Moschee bringt, wo nicht die Gefahr besteht, auf die protestierende Emine zu treffen.
Emine Aslan ist für die Celent-Familie, der die Fabrik gehört, längst zu einer viel größeren Herausforderung geworden, als sie es innerhalb des Betriebs als Gewerkschaftsaktivistin je hätte sein können. Nach den Gewerkschaften und den Zeitungen kamen die Parteien, demnächst wird ihr Fall vor Gericht verhandelt. "Emine", sagt der örtliche Vorsitzende von Deri-Is, Musa Servi, "hat den Kampf um gewerkschaftliche Rechte populär gemacht." Die Gewerkschaft hofft, dass die Auseinandersetzung zu einem Imageproblem für die Abnehmer von Desa werden könnte, denn die Fabrik ist längst nicht mehr die kleine Klitsche, die sie mal war, als die Celent-Familie aus Gaziantep ihre Textilfirma in den 1960er Jahren in einem Slum in Istanbul eröffnete. Heute hat Desa mehr als 500 Angestellte und produziert für Weltmarken wie Prada, Louis Vuitton, Marks & Spencer und Samsonite.
Emine Hanim hat von diesen globalen Verflechtungen nur eine sehr vage Vorstellung. Sie will einfach ihr Recht. Doch Recht haben und Recht bekommen, ist eben zweierlei. Ihr Prozess ist schon zweimal verschoben worden, und die AKP, ursprünglich einmal angetreten, um armen Vorstadtfamilien wie der von Emine Aslan eine bessere Zukunft zu bringen, hilft ihr nicht. Ministerpräsident Tayyip Erdogan hält überhaupt nichts von Gewerkschaften. Doch Emine Aslan denkt nicht daran, aufzugeben. Auf die Frage, wie lange sie denn noch jeden Tag vor dem Werkstor demonstrieren will, hat sie eine einfache Antwort: "Bis ich wieder drinnen arbeite."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos