'Spit' - Online-Werbung am Hörer: Spam per Telefon
Dank kostengünstiger Internet-Telefonie verlegen sich aggressive Online-Werber inzwischen auch auf das automatisierte Anrufen von Leuten - genannt "Spit".
Die Internet-Telefonie hat viele Vorteile: Sie ist immer dann kostenlos, wenn das Gespräche komplett über das Netz abgewickelt werden kann, lässt sich problemlos an jedem DSL-Breitbandanschluss betreiben und sorgt dafür, dass man sich teure zusätzlich Leitungen sparen kann. Trotzdem lässt sich das gute alte Telefon weiter verwenden - es steckt nun eben im Router des Internet Providers und nicht mehr in der Dose von Telekom und Co. Kein Wunder also, dass der auch "Voice-over-IP" ("Sprache über Internet-Protokoll", kurz VoIP) genannte Technikbereich boomt. Bis zu zehn Millionen Deutsche sollen je nach Statistik inzwischen über das Internet telefonieren. Kostengünstige Flatrate-Angebote erleichtern den Wechsel, erste Kunden verzichten bereits ganz aufs Festnetz.
Mit dem VoIP-Boom ergeben sich aber auch neue Gefahren. Dass das Telefonieren so billig geworden ist, lernen zunehmend auch aggressive Online-Werber. Sie gehen dazu über, sich neben kostengünstigem E-Mail-Spam auch auf den so genannten "Spit" zu verlegen: Das steht für "Spam via Internet-Telefonie". Gemeint sind mit diesem Phänomen unerwünschte Werbeanrufe, die automatisierte Ansagen enthalten und in großer Stückzahl über Rechner abgesetzt werden können. Schon reguläre Verkaufsgespräche nerven viele Bürger - ein Grund dafür, dass der Staat ihnen enge rechtliche Grenzen setzt. Automatisierter Spit ist aber noch wesentlich schlimmer: Hier kann man sich bei niemandem persönlich beschweren, dass man sich gestört fühlt, man spricht mit einem Computer.
Derzeit betrifft das Thema automatisierte Werbeanrufe noch verhältnismäßig wenige Nutzer - und ist auch nicht speziell auf VoIP-Anschlüsse alleine gemünzt, denn auch normale Festnetzbenutzer sind betroffen, sagen Experten. Wilhelm Fuchs, Sprecher des deutschen Internet-Telefonie-Anbieters Sipgate, kennt aus seinem eigenen Netz noch keine expliziten Fälle. Sollte Spit einmal vorkommen, könne man aber bestimmte Anschlüsse sperren. "Kommen 1000 Anrufe in der Minute, sehen wir das natürlich." Sein Unternehmen arbeite außerdem an Filtern, mit denen man bestimmte Anrufer ausschließen könne. Die seien in den nächsten Monaten geplant, um Nutzern mehr Kontrolle zu geben.
Das Problem: Sollte das Spit-Phänomen wirklich ein größeres Ausmaß annehmen, gibt es trotz solcher Ansätze zunächst kaum echte Gegenmaßnahmen. Internet-Telefonate lassen sich zumindest aus dem Ausland nämlich problemlos anonym absetzen, so dass ein Filtern nach Anrufern nur schwerlich in Frage kommt - außer, man ließe nur noch dem Nutzer bekannte Nummern durch. Durchgreifende Anti-Spit-Lösungen müssten daher schon auf Netzebene ansetzen, um etwa Gespräche aus bestimmten Internet-Adressbereichen zu blockieren. Auch Sprachfilter wären denkbar, doch dann ließe sich einer der Hauptvorteile des Telefons, das direkte Durchstellen zum gewünschten Teilnehmer, nicht mehr nutzen: Jeder Anrufer müsste zunächst durch den Filter, bevor er tatsächlich vorgelassen wird. Dies würde die Kommunikation verkomplizieren. Nichtsdestotrotz wird im Bereich von Anti-Spit-Lösungen bereits in mehreren Richtungen geforscht - mit praktikablen Lösungen ist jedoch wohl erst in einigen Jahren zu rechnen.
Wissenschaftler am Fraunhofer Institut für sichere Informationstechnologie, die die bislang verfügbaren Anti-Spit-Maßnahmen untersucht haben, sind von diesen wenig überzeugt. Sie haben deshalb ein so genanntes "Benchmark"-Werkzeug entwickelt, mit dem jeder Administrator sein Netz auf Spit-Gefahren testen können soll. "Noch reden alle über Spit, aber kaum jemand ist betroffen", so die Forscher. Doch genau das könne sich schnell ändern.
Das künftige Spit-Potenzial ist jedenfalls groß: So glaubt etwa die IT-orientierte Unternehmensberatung Steria Mummert, dass der Telefonspam im nächsten Jahrzehnt zu E-Mail-Spam aufschließen könnte. Die bisher in Deutschland festgestellten Spit-Attacken stammten vor allem aus dem Ausland. Deshalb hätten wirksame Maßnahmen durch den hiesigen Gesetzgeber auch nur "geringe Erfolgsaussichten". "Eine Durchsetzung der deutschen oder europäischen Vorschriften schlägt somit fehl", heißt es in einem Steria Mummert-Report.
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