Arbeitsgericht urteilt: Ossis sind keine Ethnie
Das Arbeitsgericht Stuttgart lehnt Klage einer Buchalterin ab, die sich wegen ihrer ostdeutschen Herkunft bei einer Bewerbung diskriminiert sah.
Wer nicht eingestellt wird, weil er aus Ostdeutschland kommt, kann deshalb keine Entschädigung verlangen. Dies entschied jetzt das Arbeitsgericht Stuttgart in einer Pilotentscheidung zum Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG).
Geklagt hatte Gabriela S., die sich in Stuttgart erfolglos um eine Stelle als Bilanzbuchhalterin beworben hatte. Auf dem zurückgesandten Lebenslauf war mit Tinte ein Minuszeichen notiert, daneben stand der Begriff "Ossi". Die 49jährige, die aus Berlin-Lichtenberg stammt, aber schon seit 1988 im Schwäbischen lebt, war geschockt. Sie stehe zwar zu ihrer Ossi-Herkunft, wolle aber nicht als "Minus-Ossi" abqualifiziert werden.
Die Buchhalterin klagt deshalb auf Schadensersatz. 5.000 Euro forderte gestern ihr Anwalt Wolfgang Nau im Stuttgarter Arbeitsgericht. Gabriela S. war nicht erschienen, um dem Medientrubel zu entgehen. Anwalt Nau berief sich auf das seit 2006 geltende AGG. Danach sind bestimmte Ungleichbehandlungen nicht nur beim Staat, sondern auch im Arbeitsleben und im Geschäftsverkehr verboten, etwa die grundlose Diskriminierung wegen Geschlecht, Religion, und ethnischer Herkunft.
Sind aber die Ostdeutschen eine eigene Ethnie? Wolf Reuter, der Anwalt des beklagten Unternehmens bestritt dies: "Das AGG will vor Rassismus schützen, das ergibt sich auch aus den zugrundeliegenden EU-Vorgaben." Es gehe nicht um regionale Animositäten. "Wenn ein Steglitzer in Reinickendorf diskriminiert wird, ist das kein Fall für das AGG", so der Berliner Anwalt. Es sei eine Unverschämtheit für alle Opfer wirklichen Rassismus, wenn sich die Klägerin als Mitglied einer diskriminierten Ethnie darstelle, meinte Reuter.
Sein Gegenpart Wolfgang Nau legt das AGG weiter aus. "Es geht hier nicht nur um Rassismus, sondern auch um den Schutz in Vielvölkerstaaten wie Belgien." In Ostdeutschland seien während der Teilung eigene Gebräuche wie die Jugendweihe entstanden, außerdem teile man die Diktatur-Erfahrung.
Doch das Arbeitsgericht Stuttgart wies die Klage jetzt in erster Instanz ab. Der Begriff Ossi könne zwar diskriminierend gemeint sein, die Ostdeutschen seien jedoch keine eigene Ethnie im Sinne des AGG. Es fehle an Gemeinsamkeiten in Tradition, Sprache, Religion, Kleidung und Ernährung, erklärte der Vorsitzende Richter Reinhard Ens. Die DDR habe schließlich "nur wenig mehr als eine Generation, nämlich 40 Jahre lang" eine eigenständige Entwicklung genommen.
Rainer E., der Inhaber der beklagten Firma, freute sich über das Urteil. Er hatte vor Gericht zu erklären versucht, dass es sich bei dem ganzen Streit lediglich um ein Missverständnis handelte. "Das Minus bezog sich nur auf die fehlende Qualifikation", so E.. Der Begriff Ossi sei dagegen positiv gemeint. In seinem Fensterbau-Unternehmen arbeiteten mehrere Ostdeutsche, mit denen er sehr zufrieden sei. "Die sind gut ausgebildet und selten krank". Für den falschen Eindruck habe sich seine Firma sogar umgehend entschuldigt. Dennoch verweigerte der Unternehmer den vom Gericht vorgeschlagenen Vergleich.
Dennoch verweigerte Ehmeneck den vom Gericht vorgeschlagenen Vergleich. Er fühlt sich von den Medien ungerecht behandelt, werde beschimpft, verliere Aufträge. Der 69jährige Schwabe verstieg sich sogar zur Aussage, dass er der eigentlich Diskriminierte sei. Jetzt fühlt er sich rehabilitiert, auch wenn seine Argumente vor Gericht keine Rolle spielten. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Az.: 17 Ca 8907/09
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen