Gleichberechtigung gefordert: Musliminnen reden jetzt selber
Mit einem neuen Verein wollen muslimische Frauen Mitsprache bei Anhörungen in Parlamenten erlangen. Zwangsheirat und Gewalt dürften nicht Religion oder Ethnie zugeschrieben werden.
BERLIN taz | Als der Schriftsteller Feridun Zaimoglu seinen Platz in der Islamkonferenz für eine "gläubige Muslimin" räumen wollte, war das Unverständnis groß. Hatte man "die Muslime" nicht gerade schön in Stellung gebracht - mit männlichen Vertretern von Islamverbänden auf der einen Seite und "säkularen" oder "islamkritischen" MuslimInnen auf der anderen? Zaimoglu meinte, dass da noch ein wesentlicher Teil des Spektrums fehlte.
Nun bietet sich eine Ansprechpartnerin an: Das seit zwei Jahren bestehende "Aktionsbündnis muslimischer Frauen" hat sich als Verein organisiert. Dieser will künftig bei Anhörungen in Parlamenten und Gremien - etwa der Islamkonferenz - für muslimische Frauen sprechen. "Wir haben festgestellt, dass muslimische Frauen in der Gesellschaft leider nicht in Gespräche eingebunden werden", sagt die Vorsitzende Ayten Kilicarslan. Statt mit ihnen werde über sie gesprochen.
Viele der Vereinsmitglieder sind in den Dachorganisationen der Moscheegemeinden oder in islamischen Frauenzentren wie etwa dem Begegnungs- und Fortbildungszentrum muslimischer Frauen (BFmF) in Köln aktiv. Der Verein stehe allen Frauen offen, die sich als "Musliminnen" definieren, sagt Kilicarslan. Vertreten seien Sunnitinnen und Schiitinnen. Auch Alevitinnen wolle man unbedingt dabei haben. "Uns ist es wichtig, vielfältig zu bleiben und deutlich zu machen, dass jeder Mensch den Koran so verstehen kann wie er möchte."
Die Vereinssatzung enthält ein Bekenntnis zu Demokratie, Menschenrechten und dem Grundgesetz. "Wer das nicht anerkennt, wird bei uns natürlich keinen Raum finden", sagt Kilicarslan. Der Verein will die Wahrnehmung muslimischer Frauen in der Gesellschaft verändern.
"Es muss endlich normal werden, dass muslimische Frauen als Individuen gesehen werden, egal ob sie ein Kopftuch tragen oder nicht und egal ob ihre Hosen oder Röcke kurz oder lang sind", sagt Kilicarslan. Musliminnen sollten nicht als "Opfer" oder "Objekte" betrachtet werden, sondern als "aktive Gesprächspartnerinnen". Die Bündnis-Mitglieder wollten in dieser Hinsicht Vorbilder sein. So wollen sie auch innerhalb der muslimischen Community etwas anstoßen. "Wir wollen die Frauen stärken und ihnen sagen: ,Lerne, etwas zu fordern'", sagt Kilicarslan.
Die Vorsitzende Kilicarslan ist Diplompädagogin. Bis vor Kurzem leitete sie das Frauenbildungswerk im BFmF. Sie war die erste Frau, die es in den Vorstand der Ditib schaffte, einer der Dachverbände türkischer Moscheegemeinden. Themen wie Zwangsheirat und Gewalt sollten als gesellschaftliche Probleme gesehen und weder "ethnisiert" noch "einer bestimmten Religion zugeschrieben" werden, sagt Kilicarslan. Denn dadurch sei der Blick auf die Ursachen, etwa patriarchalische Erziehung, verstellt. Stattdessen entstehe dann in der Öffentlichkeit das Bild, jede türkische oder muslimische Frau sei zwangsverheiratet und unterdrückt.
Generelle Beschuldigungen führten außerdem zu einem Abwehrreflex. Manche Muslime begründeten rechtlich inakzeptable Verhaltensweisen leider selbst religiös. "Es gibt eine Minderheit, die so die Religion bewusst für ihre eigenen Zwecke instrumentalisiert, und eine andere Gruppe, die Religion mit Tradition gleichsetzt, weil sie sich nicht mit den Quellen auseinandergesetzt hat."
Die Diskriminierung von kopftuchtragenden Frauen, etwa durch schlechtere Jobchancen und das Kopftuchverbot für Lehrerinnen, sei auch für die Vereinsfrauen ohne Kopftuch ein Thema. "Und wenn Frauen diskriminiert werden, weil sie kein Kopftuch tragen, werden wir uns dagegen auch wehren."
Zweimal hat sich das Aktionsbündnis mit der bundesweiten Frauenhauskoordinierung getroffen. "Wir unterstützen die Arbeit der Frauenhäuser und wollen dazu beitragen, dass die Dienste von der muslimischen Seite noch besser angenommen werden."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Wahlprogramm der FDP
Alles lässt sich ändern – außer der Schuldenbremse
Energiewende in Deutschland
Erneuerbare erreichen Rekord-Anteil
Migration auf dem Ärmelkanal
Effizienz mit Todesfolge