Wo die Bonner sparen wollen: Ampeln abschalten, Heizung auf null
Wo die Politik nicht mehr weiter weiß, sind die Bürger gefragt. Die Stadt Bonn suchte nach Einsparpotenzialen im Haushalt und befragt Bürger. Die sagen: Nicht in der Kultur.
Klassenziel verfehlt, so muss das Fazit der Bonner Bürgerbefragung lauten. Vier Wochen lang hatten die Bürger die Möglichkeit, Sparvorschläge der Verwaltung zu bewerten und eigene zu machen. Zur Debatte standen ausschließlich die freiwilligen Leistungen der Kommune, von Hallenbädern über Museen bis zur Jugendhilfe. Die Politik erhoffte sich dadurch ein Stimmungsbild und Anregungen, wie das Loch von 200 Mio. Euro im Haushalt 2011/12 zu stopfen sei.
"Wir haben die Millionen nicht bekommen, die wir gerne gehabt hätten", gab Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch (SPD) auf einer Pressekonferenz unumwunden zu. Auf gerade 45,2 Mio. Euro belaufen sich alle Sparvorschläge mit Pro-Stimmen. Nichtsdestotrotz bewertet Nimptsch das Verfahren positiv: "Es ist eine sehr, sehr breite Bürgerbeteiligung." Insgesamt gaben 12.739 Bürger ihr Votum ab, das entspricht knapp 4 Prozent der Einwohner; bei einer Haushalts-Bürgerbefragung in Essen im vergangenen Jahr lag die Beteiligung im Promillebereich.
Die Bonner Bürger stimmten für die Kürzungen bei Baumaßnahmen, bei repräsentativen Leistungen oder für die Erhöhungen der Gewerbe-, Hunde-, Spielgeräte- oder Zweitwohnungssteuer. Deutlich wandten sie sich jedoch gegen Einschnitte in den Bereichen Kultur, Sport und Bildung. Doch welche Antworten hatte man erwartet, wenn die Vorschläge der Verwaltung auf die komplette Abschaffung der Musikschule, des Theaters oder des Kunstmuseums hinauslaufen? Offenbar andere, denn bei der Pressekonferenz wurde mehrfach auf den Einfluss von Interessengruppen verwiesen, der zwar zu tolerieren sei, aber das Ergebnis verzerre. Mit dem gleichen Argument hatte Jürgen Nimptsch vor einigen Monaten eine Unterschriftenliste gegen die Schließung des Theaters in Frage gestellt.
Bürgerbefragungen können nicht repräsentativ sein, sagt Volker Mittendorf, der den Bereich Direkte Demokratie der Forschungsstelle Bürgerbeteiligung an der Uni Wuppertal leitet. Er spricht von einem "selbstselektiven Verfahren". Auch wenn sich 12.000 Personen beteiligen, sei die Gefahr von Verzerrungen groß: Mehr Männer als Frauen, mehr Junge als Alte, mehr gut als durchschnittlich Ausgebildete. Das bestätigt sich in Bonn, wo allein 42 Prozent der User einen Universitätsabschluss angeben und die Mehrzahl zwischen 30 und 45 Jahren ist. Doch Mittendorf verweist auf neue Verfahren, die eine Zufallsauswahl von Bürgern mit einer breiten Spreizung nach Alter, Bildung und Geschlecht zur Beteiligung miteinladen und so ein repräsentativeres Bild ermitteln. Die wurden in Bonn nicht eingesetzt.
Mit der Bürgerbefragung hat sich die Bonner Politik zudem in eine Zwickmühle manövriert, weil sie nun gegen den erklärten Bürgerwillen Kürzungen bei Kultur oder Bildung durchsetzen muss. Das treibt vor allem die Bonner Kulturpolitiker um. "Das entbindet uns nicht, Entscheidungen zu treffen", sagt Gisela Mengelberg von den Grünen trotzig. Bärbel Richter von der SPD, die gegen die Bürgerbefragung war, ist skeptisch: "Man kann das nicht auswerten, um Erkenntnisse daraus zu ziehen." Das sieht auch Markus Schuck (CDU) so und spricht von einer "schwierigen Situation".
Hochzufrieden ist dagegen der Bonner Kulturdezernent Martin Schumacher. Die Kultur sei nicht gerupft worden; der Vorschlag, bei der Freien Kulturszene zu kürzen, habe sogar die meisten ablehnenden Stimmen erhalten. "Ich fühle mich gestärkt", sagt Schumacher angesichts der bevorstehenden Haushaltsverhandlungen. Das dürfte er nötig haben. Zurzeit tagt eine Kommission, die Vorschläge erarbeiten soll, wie mit Theater, Beethovenorchester und geplantem Festspielhaus in der aktuellen Haushaltssituation umgegangen werden und wohin sich die Bonner Kulturlandschaft entwickeln soll.
In Sachen Festspielhaus droht bereits neues Ungemach. Der Konzertsaal sollte anstelle der alten Beethovenhalle errichtet werden. Dagegen regte sich Protest, weshalb die SPD jetzt für einen Bürgerentscheid plädiert. Damit ein solcher Entscheid in NRW überhaupt gültig ist, müssen hohe 20 Prozent der Wahlberechtigen, in Bonn also 44.000 Bürger, abstimmen. Wie das ohne die Mobilisierung, etwa durch eine Kommunalwahl, gelingen soll, bleibt rätselhaft.
Die Partizipation der Bürger am politischen Entscheidungsprozess wird so zur andauernden Frustveranstaltung. Da wird es nicht helfen, dass man die 50 höchstvotierten Bürgervorschläge der aktuellen Befragung in Ratsvorlagen umarbeiten will. Auch wenn die meisten Stimmen auf Kuriosa wie das Abschalten eines Heizkörpers im Stadthaus oder der Verkehrsampeln in der Nacht fielen, die Bürger dürften sich damit nicht lange ruhigstellen lassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Der Fall von Assad in Syrien
Eine Blamage für Putin