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Kommentar Attac und WirtschaftskriseNachhilfe in Ökonomie

Ulrich Schulte
Kommentar von Ulrich Schulte

Jetzt rächt sich, dass sich Linke und Globalisierungskritiker zu wenig um finanz- und wirtschaftspolitische Alternativen gekümmert haben.

W as Attac zur Wirtschaftskrise zu sagen hat, das würden inzwischen selbst viele CDU-Politiker unterschreiben: Der Staat soll die Milliarden der Steuerzahler in erneuerbare Energien stecken, in öffentlichen Verkehr und ökologische Gebäudesanierung, statt Spritfresser mit Steuererlassen zu sponsern oder gut verdienende Branchen wie die Autoindustrie zu pampern. So weit, so vernünftig - und so langweilig. Eine unverkennbare Agenda zur Krise, von der sich die Politik etwas abschauen könnte, haben die Globalisierungskritiker dagegen nicht zu bieten. Das ist traurig.

Es wäre allzu billig, den ehrenamtlich arbeitenden Aktivisten der globalisierungskritischen Bewegung daraus einen Vorwurf zu machen. Denn nicht nur Attac sieht hilflos zu, wie der Mainstream plötzlich seine Ideen übernimmt. Und nicht nur Attac kann schwer einschätzen, wie sich die anrollende Krise letztlich auswirken wird. Ratlosigkeit ist innerhalb der gesamten Linken verbreitet. Dieses Problem ist gewachsen: Ausgerechnet im vergangenen Jahrzehnt, als Ökonomen die ungezügelte Marktwirtschaft propagierten, vernachlässigten Linke die ökonomischen Diskurse.

Radikale Kapitalismuskritiker wurden als ewiggestrig oder altlinks diskreditiert, ideologische Annahmen - wie etwa die, dass eine Volkswirtschaft auf ständiges Wachstum angewiesen sei - als alternativlos akzeptiert. Dieses strukturellen Defizit manifestiert sich jetzt in Sprachlosigkeit. Es kommt ja nicht von ungefähr, dass ein Peer Steinbrück zum finanz- und wirtschaftspolitischen Vordenker der Sozialdemokratie avancieren konnte, ohne auf nennenswerte Gegenrede aus dem linken Parteiflügel zu stoßen.

In dieser Hinsicht steckt, so abgedroschen es klingt, in der Krise tatsächlich eine Chance. Bei Attac hat man längst erkannt, wie wichtig es ist, die eigene Kernkompetenz zu stärken. Und auch andere gesellschaftliche Gruppen sehen ein, dass sie Bedarf an ökonomischer Nachhilfe haben, ob es nun Parteien, Gewerkschaften oder Basisinitiativen sind. Diese Erkenntnis könnte gerade noch rechtzeitig kommen.

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Ulrich Schulte
Leiter Parlamentsbüro
Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.
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3 Kommentare

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  • H
    hto

    Karl I.: "Attac lehnt dies ab.

    Aber Attac ist keine politische Partei, die Mitglieder sind Christdemokraten, Umweltschützer oder Sozialisten und es ist schwer unter diesen Bedingungen ein klares wirtschaftspolitisches Programm zu verabschieden."

  • KI
    Karl Ilnyzckyj

    Ich bin Mitglied von Attac-France und kann aus eigener Erfahrung erzählen:

    Attac "kritisiert" - seit 10 Jahren - den Turbo-Kapitalismus der Chicagoer Schule und die damit verbundene néoliberale Politik der Globalisierung.

    Vor 10 Jahren galt das Dogma der T.I.N.A ("the is no alternative") ohne Wiederspruch und alle systemtragenden Politiker arbeiteten rund um die Uhr an der Umverteilung des Volkseinkommens zu Gunsten der Kapitaleigner und Börsenspekulanten.

    Die herrschende Idéologie hatte uneingeschränkte Rückendeckung von den Medien.

    Heute erleben wir, wie die verfassungswiedrige "Wirtschaft der Finanzmärkte" ganze Staaten in den wirtschaftlichen Ruin treibt.

    Die systemtragenden Politiker antworten auf die Krise mit einer Politik der Verteilung der Verluste auf die arbeitende Bevölkerung.

    Attac lehnt dies ab.

    Aber Attac ist keine politische Partei, die Mitglieder sind Christdemokraten, Umweltschützer oder Sozialisten und es ist schwer unter diesen Bedingungen ein klares wirtschaftspolitisches Programm zu verabschieden.

  • H
    hto

    Zitat Ulrich Schulte: "Diese Erkenntnis könnte gerade noch rechtzeitig kommen."

     

    Erkenntnis? Rechtzeitig? Und wofür?

     

    Ulrich Schulte: "Und auch andere gesellschaftliche Gruppen sehen ein, dass sie Bedarf an ökonomischer Nachhilfe haben, ob es nun Parteien, Gewerkschaften oder Basisinitiativen sind."

     

    Selbst die Kirchen rechnen sich, in der derzeit allgegenwärtigen Konfusion der systemrational-gepflegten Bewußtseinsschwäche, für ihren zeitgeistlich-reformistischen Kommunikationsmüll wieder Chancen aus.

     

    Die Basis, die unter dem stumpf- wie wahnsinnigen Wettbewerb (Ursache aller Probleme) liegt, ist kompromisslose Kommunikation zur eindeutigen Wahrheit ohne "Wer soll das bezahlen?", wenn alles grundsätzlich allen gehört, und tatsächlich ohne Regierungen wirklich (menschlich / menschenwürdig) demkratisch organisiert wird.