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Kommentar TürkeiGruselige Perspektiven

Jürgen Gottschlich
Kommentar von Jürgen Gottschlich

Erdogan hat die Quittung für die Selbstherrlichkeit seiner Partei bekommen. Bitter für die Türken: Sie können nur zwischen Islamismus light und Nationalismus wählen.

Bild: taz

Jürgen Gottschlich ist taz-Korrespondent in Istanbul. Er ist einer der Mitbegründer dieser Zeitung, später war er Inlandsredakteur und in den Neunzigerjahren Chefredakteur. Er schreibt regelmäßig für die Debattenseite der taz.

Die Kommunalwahlen am Sonntag waren für den türkischen Ministerpräsidenten Erdogan das, was man einen Denkzettel nennt. Zwar blieb seine Partei die stärkste Kraft, dennoch sind acht Prozent minus für die bislang erfolgsverwöhnte AKP ein herber Einbruch. Die islamische AKP, die bislang immer nur zugelegt hatte und zuletzt bei knapp 50 Prozent lag, ist damit zu einer normalen Partei geworden, sie ist verwundbar geworden. Bislang hatten Erdogan zwei Faktoren den Erfolg gesichert: der Wirtschaftsaufschwung und sein Kampf gegen die alten, vom Militär dominierten Machtstrukturen. Das Militär ist mittlerweile so weit in die Schranken verwiesen, dass es ihm kaum noch gefährlich werden kann, und der wirtschaftliche Erfolg ist längst dahin. Die Türkei ist vom globalen Abwärtstrend voll erfasst; die Arbeitslosigkeit befindet sich auf einem historischen Höchststand.

Die ökonomische Misere war aber nicht die ausschlaggebende Auseinandersetzung im Wahlkampf. Es ging vor allem um Korruption und um die zunehmende Selbstherrlichkeit der AKP. Hatte sich der Premier in der Vergangenheit, zumal in der Reformphase von 2003 bis 2006, immer um breite Allianzen gegen die Eliten aus Militär und Bürokratie bemüht, glaubte er insbesondere nach dem große Wahlerfolg 2007, mit dem das Militär endgültig zurückgedrängt wurde, darauf verzichten zu können. Statt Koalitionen mit der kritischen Intelligenz rückte nun die religiöse Kernanhängerschaft der Partei in den Vordergrund.

Von der AKP ist nach fast acht Jahren an der Macht ein Neuanfang kaum zu erwarten. Vielleicht gelingt mit den Wahlerfolgen im Rücken nun zumindest eine Erneuerung bei den oppositionellen Kemalisten. Doch selbst wenn die Linksnationalisten wieder etwas weniger nationalistisch und weltoffener werden, eine Machtalternative hätten sie nur gemeinsam mit den ehemaligen Faschisten von der MHP. Der Türkei bleibt die Wahl zwischen Islamismus light und mehr oder weniger dumpfem Nationalismus. Im schlimmsten Fall im Doppelpack, weil auch die AKP längst die nationalistische Karte mitspielt.

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Jürgen Gottschlich
Auslandskorrespondent Türkei
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2 Kommentare

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  • MM
    manfred marquardt

    "AKP ist eine normale Partei geworden" Aha? Gottschlich passt sich dem EU-Trend an, vom Pro-AKP-Anhänger vgl. Artikel der Jahre 2008-2009 und post-One-Minute-Rede Erdogans. Es wird immer deutlicher, dass Europa und auch die taz (Gottschlich) Laizisten meiden, mit dem Todschlagargument des Nationalismus. Der türkische Nationalismus nicht zu verwechseln mit dem Nationalismus in D. Weil die CHP das Land nicht dem westlichen Markt öffnet und den Protekltionismus favorisiert, werden Laizisten als Nationalisten verschrien und Islamisten favorisiert, bis sich die Marionette windet, wie einst...

  • C
    Can

    Die Türkei gehört nicht in die EU. Die Wahlen beweisen es. Das Volk hat nicht so gewählt, wie wir es wollten. Diese demokratieunreifen Barbaran am Bosporus. Was ist das für eine Demokratie, wenn jeder so wählen dürfte, wie er es für richtig hält. Bei einer kommunalen Wahl, wo es mehr um die Arbeit vor Ort, in der Gemeinde geht,weniger um die Parteien als um die Personen (Dorfvorsteher bis Bürgermeister von Großstädten, haben im Südosten mehr als die Hälfte die DTP gewählt, die haben richtig (!?) gewählt, als sie ethnisch gewählt haben aber ein Vielfaches an Stimmen hat die MHP bekommen (davon eine Großstadt wie Adana, die auch eine große Konzentration kurdischer Einwohner hat), die MHP, die mit dem Zusatz EX zum selbstgestrickten Wort FASCHISTEN geschmückt wird, diese wurden selbstverständlich nicht richtig gewählt.

     

    Ist doch klar, dass Demokratie hinter dem Balkan anders zu funktionieren hat.

    Damit Basta!