Debatte Schuldenstaat: Schuld und Sühne
Die Schuldenangst hilft Merkel beim Streichen. Schulden gelten als Hindernis progressiver Reformpolitik. Doch die Republik ist gar nicht pleite – sie hat ein Einnahmeproblem.
D er Deutsche lebt nicht gern auf Pump. Wer Schulden macht, steht unter Verdacht, nicht mit Geld umgehen zu können. Schulden gelten als sozial ungerecht. Schulden belasten angeblich künftige Generationen.
Kein Wunder also, dass der öffentliche Schuldenberg Angst und Schrecken im Land verbreitet. Gigantische 2 Billionen Euro ist er groß. Letztes Jahr musste sich Kassenwart Schäuble so viel neues Geld leihen wie noch nie zuvor. Allein die Zinsen fressen jährlich über 40 Milliarden Euro. Das ist der ideale Stoff für ein deutsches Schuldendrama. Böse Zungen behaupten, die ersten Pleitegeier würden bereits über Berlin kreisen.
Die deutsche Schuldenangst hilft der Kanzlerin beim Kürzen und Streichen. Wenn der Staatsbankrott droht, fällt der Verzicht leichter. Ausgabenkürzungen und Privatisierungen sind dann politisch besser vermittelbar. Den Rest erledigt der stumme Zwang der Verhältnisse. Die leeren Kassen der Städte, Gemeinden und Länder zwingen die Schatzmeister, den Gürtel enger zu schnallen. Es gibt keine Alternative, lautet die bekannte Begründung. Eine verwahrloste Zunft deutscher Ökonomen applaudiert und gibt täglich neue Spartipps.
DIRK HIRSCHEL ist Ver.di-Bereichsleiter Wirtschaftspolitik. Auf dem Attac-Kongress "Jenseits des Wachstums!?" vom 20. bis 22. Mai in der TU Berlin wird er über "Wachstumsstrategien und die Krise der Arbeit" diskutieren.
Opposition: Schuldenverbot "mit sozialer Handschrift"
Die Opposition wehrt sich kaum. Sozialdemokraten und Grüne stritten selbst für Schuldenbremsen. Jetzt versprechen ihre frisch gewählten Landesfürsten das Schuldenverbot auch umzusetzen. Mit sozialer Handschrift – versteht sich. Damit steht jetzt schon fest: Für die großen Reformprojekte - Ausbau der Kinderbetreuung, flächendeckende Ganztagsschulen, Modernisierung der Krankenhäuser, neue Energienetze etc. - reicht das Geld nicht aus. Damit werden die Staatsschulden zum scheinbar unüberwindbaren Hindernis progressiver Reformpolitik.
Die neue Bescheidenheit ist aber nicht alternativlos. Zwischen Rhein und Oder tickt keine Zeitbombe Staatsverschuldung. Öffentlichen Schulden stehen immer öffentliches Sachvermögen, Forderungen und Beteiligungen gegenüber. Noch ist die Substanz nicht aufgezehrt. Unter dem Strich besitzt der deutsche Staat ein positives Nettovermögen. Die Bilanz eines Pleitestaats sieht anders aus. Das Horrorszenario eines drohenden Staatsbankrotts entbehrt jeder Grundlage. Dies belegen auch die historisch niedrigen Zinsen und Risikoprämien für deutsche Schuldtitel.
Schulden haben im modernen Kapitalismus eine Funktion
Schulden sind kein Teufelszeug. Im Gegenteil: Schulden haben im modernen Kapitalismus eine wichtige wirtschaftliche Funktion. Das gilt nicht nur für private Unternehmen. Die öffentliche Kreditaufnahme kann den Wirtschaftskreislauf stabilisieren. Die Instabilität kapitalistischer Volkswirtschaften macht dies sogar dringend erforderlich. Ein Staatshaushalt ist kein Privathaushalt. Die Staatsausgaben sind gleichzeitig die Einnahmen der Unternehmen und Privatpersonen.
Im Abschwung vergrößert sich das Haushaltsloch, da die Steuereinnahmen sinken und die Transfers steigen. Wenn die Schatzmeister in der Krise Ausgaben kürzen, verschärft sich nur die Talfahrt. Das Wachstum sinkt, Arbeitslosigkeit und Defizit steigen. Die Folgen einer krisenverschärfenden Sparpolitik lassen sich heute in Athen, Dublin und Lissabon besichtigen. Besser ist es, im Abschwung durch höhere Staatsausgaben gegenzusteuern: Finanzpolitik muss flexibel reagieren können.
Chronische Unterfinanzierung
Doch damit nicht genug. Öffentliche Investitionen in Bildung, Gesundheit, Klimaschutz und Infrastruktur können durch Kredite finanziert werden. Sie werfen in der Regel einen hohen volkswirtschaftlichen Ertrag ab. Die Wachstumsimpulse sind höher als die Finanzierungskosten. Darüber hinaus profitieren von diesen Investitionen auch zukünftige Generationen. Die öffentliche Kreditfinanzierung verteilt die Lasten gerecht auf die Schultern der Eltern, Kinder und Enkel.
Schulden sind natürlich keine Wundermedizin. Die chronische Unterfinanzierung von Bund, Ländern und Kommunen kann nicht dauerhaft mit Krediten behandelt werden. Die Republik hat ein schweres Einnahmeproblem. Die rot-grün-schwarzen Steuergeschenke führen noch heute zu jährlichen Einnahmeausfällen in Höhe von 50 Milliarden Euro. Die Finanzmarktkrise tat ein Übriges. Die Staatsausgaben sind hingegen im Jahrzehnt vor der Krise um jährlich 0,2 Prozent gesunken.
Die Finanznot muss politisch gelöst werden
Die Finanznot der öffentlichen Haushalte ist politisch verursacht. Sie muss auch politisch gelöst werden. Dadurch rückt die Verteilungsfrage ins Zentrum. Öffentliche Armut und privater Reichtum sind zwei Seiten derselben Medaille. Das private Nettovermögen ist fast viermal so groß wie die gesamte Staatsverschuldung. Während die krisenbedingten privaten Vermögensverluste nach der Krise wieder wettgemacht wurden, explodierte die Staatsverschuldung.
Jetzt besteht die politische Herausforderung darin, den privaten Reichtum zur Finanzierung der öffentlichen Aufgaben heranzuziehen. Geld ist genug da. Hohe Einkommen und Vermögen müssen zukünftig stärker besteuert werden. So sollte die Vermögensteuer wieder erhoben, die Erbschaftsteuer reformiert, der Spitzensteuersatz und die Körperschaftsteuer erhöht sowie eine Finanztransaktionssteuer eingeführt werden. Ein solcher politischer Kraftakt könnte die aktuelle Unterfinanzierung der öffentlichen Haushalte beenden.
Geld ist genug da
Die Debatte über zu hohe Schulden, Generationengerechtigkeit und schwäbische Tugenden geht in die falsche Richtung. Sie bereitet nur den Boden für die nächste Welle der Umverteilung und des Sozialabbaus. Ein alternativer Politikentwurf muss die wirtschaftliche Funktion der öffentlichen Verschuldung in den Blick nehmen. Staatsschulden sind nicht per se schlecht. Richtig eingesetzt, können Schulden den Wohlstand steigern. Deswegen muss die Haushaltspolitik von ihren Fesseln befreit werden.
Gleichzeitig muss die öffentliche Einnahmeseite verteilungspolitisch gestärkt werden. Verteilungskonflikte werden nicht mit Schulden gelöst. Eine wirkliche Reformpolitik steht und fällt mit der Bereitschaft, die Schuldenfrage entkrampft zu behandeln und die Verteilungsfrage zu stellen.
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