Autonome vorm 1. Mai: "Diese bürgerliche Gewaltdiskussion langweilt nur"
Die Berliner Krawalldiskussion vorm 1. Mai ist aufgebauscht, sagt Jonas Schiesser von der Antifaschistischen Revolutionären Aktion Berlin (Arab). Brandschläge auf Bundeswehrautos seien hingegen legitim.
taz: Herr Schiesser, Anschläge auf Polizei, Firmen und Autos häufen sich. Läuft sich die autonome Szene vorm 1. Mai warm?
Jonas Schiesser: Das läuft doch alles schon länger. Ich habe das Gefühl, dass es seit dem G-8-Gipfel 2007 einen gewissen Aufschwung der radikalen Linken in Berlin gibt - wenn auch auf niedrigem Niveau. Auch die Anschläge auf Autos gibt es schon seit Jahren. Da versuchen einige wenige, ihre Wut zu artikulieren. Aber das wird nicht zu Massenmilitanz am 1. Mai führen.
Fast jede Nacht brennen Autos. Das hat eine neue Qualität.
Da herrscht gerade viel Panikmache. Was wir wahrnehmen, ist ein größeres Interesse für den 1. Mai in diesem Jahr. Unser Sympathisantenkreis wird wieder aktiver. Und das äußert sich außer in mehr Demoteilnehmern eben auch in mehr militanten Aktionen. Unser Anliegen ist aber eine große und politische Demonstration am 1. Mai. Mehr nicht.
Motiviert die Finanzkrise die Szene zu mehr Radikalität?
Durch die Krise haben unsere Ideen sicher stärkere Resonanz gefunden. Aber die Verarmung ist bei vielen Leuten schon seit Jahren angekommen, da regt sich heute keine neue Wut mehr. Ich würde mich freuen, wenn es so wäre. Aber einen Volksaufstand werden wir am 1. Mai nicht erleben.
Wer steckt dann hinter den Anschlägen?
Ich haben keinen Einblick in die Szene, vermute aber, dass es sehr wenige Aktivisten sind, die sich zu ihren Aktionen sehr wohl ihre Gedanken machen.
Welche Botschaft soll denn bitte mit dem Anzünden von Autos transportiert werden?
Das Anzünden von Nobelwagen in Szenebezirken wie Friedrichshain oder Kreuzberg wird als Ausdruck gegen Gentrifizierung verstanden. Die Klassenzugehörigkeit anhand eines Autos einzuschätzen sehe ich aber eher kritisch. Anders ist es bei gezielten Angriffen auf Fahrzeuge der Bundeswehr, von DHL oder der Deutschen Bank. Auf diese Konzerne politischen Druck aufzubauen hat seine Legitimität. Nicht jede Protestbewegung muss sich auf die Mittel des Staates beschränken lassen.
Schadet die Reduzierung auf Pkw-Brände nicht dem Protest?
Diese Frage ist so alt wie die autonome Bewegung. Es ist völlig falsch, sich in gute und böse Demonstranten spalten zu lassen und sich ständig von Militanz zu distanzieren wie die Linkspartei. Jedes Oktoberfest ist gewalttätiger als Straßenschlachten. Ich habe kein Problem mit politischer Militanz. Die Frage ist nur, wo sie sinnvoll eingesetzt werden kann. Diese Gewaltdiskussion ist etwas Bürgerliches, das mich nur noch langweilt.
Also: Wie friedlich wird 1. Mai?
Das hängt hauptsächlich von der Polizei ab. Wir haben erstmals wieder restriktive Auflagen bekommen, wie das Verbot von Sonnenbrillen und Seitentransparenten. Bei 10.000 Demonstranten können wir nicht garantieren, dass sich jeder daran halten wird. Sollte die Polizei jeden kleinen Verstoß ahnden wollen, wird es schwierig, einen friedlichen Verlauf zu gewährleisten. Es ist aber nicht so, dass wir gerade damit beschäftigt wären, einen Riesenkrawall vorzubereiten.
INTERVIEW: KONRAD LITSCHKO
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grünes Wahlprogramm 2025
Wirtschaft vor Klima
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Foltergefängnisse in Syrien
Den Kerker im Kopf
Ministerpräsidentenwahl in Sachsen
Der Kemmerich-Effekt als Risiko
Parteiprogramme für die Bundestagswahl
Die Groko ist noch nicht gesetzt