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Bildungsreform in den USAWettlauf der Besten

US-Präsident Obama setzt auf eine drastische Bildungsreform. Beim "Race to The Top" bekommen nur Bundesstaaten mit guten Schülern mehr Geld.

Auswirkungen im Alltag: Laut Studien verlassen etwa ein Drittel aller Schüler die Highschool ohne Abschluss. Bild: ap

WASHINGTON taz | Leistung: "ungenügend" - diese Note wurde 241 Lehrern aus der US-Hauptstadt Washington zum Verhängnis. Weil ihre Schüler in Vergleichstests zu schlecht abgeschnitten hatten, griff die Chefin der Schulbehörde durch. Michelle Rhee feuerte die Pädagogen der öffentlichen Schulen, die Schülern ihrer Meinung nach nicht das gegeben haben, was ihnen zusteht: ordentliche Bildung. Was jahrzehntelang nicht gelang, schafft Präsident Barack Obama mit einem Trick: "Race to the Top", heißt er.

Um widerspenstige Bundesstaaten zu überzeugen, hat Bildungsminister Arne Duncan 4,3 Milliarden Euro auf den Tisch gelegt. "Anstatt dieses Geld einfach zu verteilen, lassen wir Staaten und Schuldistrikte darum wetteifern", sagte sich Präsident Obama.

Derzeit findet die zweite Bewerbungsrunde statt. Auch wenn das Verfahren an sich in den USA - im Vergleich zu Deutschland - kein Problem darstellt, entbrannte eine hitzige Diskussion. Denn bei dem Rennen bleiben viele Lehrer auf der Strecke.

"Jedes Kind in einer öffentlichen Schule des Hauptstadtdistrikts hat das Recht auf einen höchst effektiv arbeitenden Lehrer", erklärte Behördenchefin Rhee, als sie die rund 5 Prozent der Washingtoner Lehrer vor die Klassentür setzte und mehr als 700 weiteren Schulangestellten dasselbe androhte, sollten sie nicht bald besser werden.

Eine ähnliche Massenentlassung hatte vorher in Rhode Island für Aufregung gesorgt: Weil eine Highschool dort mehr Bildungsverlierer als Abiturienten entließ, musste sich gleich das kollektive Lehrerkollegium verabschieden. In der von Rezession gezeichneten Kleinstadt Central Falls, in der knapp 14 Prozent der Menschen keine Arbeit haben und 41 Prozent der Kinder in Armut leben, schaffte weniger als die Hälfte der Highschool-Schüler den Abschluss. Unter den Elftklässlern erfüllten gerade mal 7 Prozent die Anforderungen in Mathe.

Das seien unhaltbare Zustände gewesen, lobte auch Bildungsminister Duncan den radikalen Schnitt. Der Demokrat träumt von einer "stillen Revolution" im Schulsektor. "Für die Staaten, für Gewerkschaften, für Unternehmen und gemeinnützige Verbände ist Race to the Top das Äquivalent zur Mondlandung", verkündete Duncan.

Mit dem landesweiten Streberwettstreit will Obama schaffen, was Bildungspolitikern in den USA seit den 80er Jahren misslang: die maroden öffentlichen Schulen wieder auf Vordermann zu bringen, die fast 90 Prozent der amerikanischen Schüler aufs Leben vorbereiten.

Die Schlechten müssen gehen

Seit Jahren belegen US-Schüler in internationalen Mathe-Vergleichstests die letzten Ränge. Studien der Universitäten Boston und Chicago ergaben, dass etwa ein Drittel aller Schüler die Highschool ohne Abschluss verlässt.

Dies zu ändern war eines von Obamas Wahlversprechen. Staaten, die bereit sind, ihr Schulsystem durch Reformen voranzubringen, werden mit kräftigen Finanzspritzen belohnt. Viele Regierungen haben für den Fall einer Kündigungswelle schon mal vorsorglich Pakte mit den Gewerkschaften geschlossen. Die Schlechten müssen gehen, die Besten bekommen mehr.

Die Sieger der ersten Runde im März haben es ihnen vorgemacht: Tennessee und Delaware. Der kleine Ostküstenstaat überzeugte die Juroren vor allem mit dem Plan zu einem neuen Gesetz, nach dem Lehrer, die drei Jahre floppen, fristlos entlassen werden dürfen. Ähnliches machte der Südstaat Tennessee. Für die im September ablaufende zweite Racing-Runde sind nun 18 Staaten im Finale - unter ihnen auch der Hauptstadtdistrikt, dessen Schulen zu den schlechtesten des Landes zählen.

"Für alle Teilnehmer hat die Qualität der Lehrer oberste Priorität", erklärt Van Schoales, Chef der demokratischen Organisation "Education Reform Now". "Es sind Staaten, die großen Wert auf eine Änderung der Bewertungskriterien für Lehrer legen, auf deren Ausbildung und darauf, schlechte Lehrer auszusortieren."

Diese Idee ist nicht ganz neu. Schon die republikanische Regierung von Expräsident George W. Bush führte 2002 ein Bildungsgesetz ein, um die Qualität der öffentlichen Schulen zu verbessern. Ziel des "No Child Left Behind" genannten Gesetzes (Kein Kind wird zurückgelassen) ist es, die Schule mit mehr Geld, aber auch mit mehr Verantwortung auszustatten.

NCLB, so die Abkürzung, ist in den USA in Bildungsdebatten ähnlich beherrschend wie Pisa in Deutschland. Die Bundesstaaten müssen jedes Jahr die Lese- und Mathematikleistungen der Schüler in der dritten bis achten Klasse mit standardisierten Tests messen. Schulen, die schlecht abschneiden, haben nach dem NCLB-Gesetz Sanktionen zu fürchten, Rektoren können gefeuert und die Schüler auf andere Schulen geschickt werden.

Kritiker fürchten nun, Obamas Bildungsrevolte von oben könnte fatale Folgen haben. Race to the Top könnte sich zur blinden Hatz gegen Lehrer entwickeln. Während die Los Angeles Times Lehrer in einem Ranking namentlich an den Pranger stellt, warten die Wirtschaftsexperten Douglas Staiger und Jonah Rockoff mit apokalyptischen Prophezeiungen für die Gewerkschaft auf: Ganze 80 Prozent der Lehrer müssten aus ihrer Sicht allein aus wirtschaftlichen Gründen ausgewechselt werden. Denn es koste viel mehr, schlechte Lehrer über Jahre durchzuziehen, als dafür bessere Neue einzustellen.

"Doch wie findet man die Besten, wenn Lehrer durch das Programm derart eingeschüchtert werden, dass sie vor Angst gelähmt sind?", fragt die Leiterin einer Grundschule in Washington. Wie viele ihrer Kollegen stand sie grundsätzlich hinter dem Obama-Rennen. "Doch was wir jetzt um uns herum erleben, macht einfach Angst. Man kann doch die Lehrer nicht dafür verantwortlich machen, wenn ihre Schüler in einem sozialen Umfeld aufwachsen, das Lernen einfach unmöglich macht."

Die Kritikerin, die nicht namentlich genannt werden will, hat eine mächtige Fürsprecherin im Rücken: Diane Ravitch, ehemalige Staatssekretärin im Bildungsministerin unter George W. Bush. Die einstige Umsetzerin des No Child Left Behind Act hat sich nun allerdings um 180 Grad gewendet: Diane Ravitch zieht gegen Barack Obamas Rennen zu Felde, vor allem weil sie fürchtet, das viele Lerninhalte unter den Tisch fallen könnten, wenn sich alles nur noch auf die Vergleichstests konzentriert: kein Platz mehr für kreatives Lernen, wenig Zeit für Kunst, Wissenschaft und Sport.

"Die Lehrer werden nur noch auf die Tests hinarbeiten", warnte Ravitch in der Internetzeitung Huffington Post. "Es wird mehr Betrug und Spiel im System geben.

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7 Kommentare

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  • G
    Glocki

    Noten sind keine Richtlinie für gutes oder schlechtes Lernen.

     

    Und ich finde, wenn die Tests richtig gestaltet werden, dann können sie gut einen Lernfortschritt darstellen. Jedoch wäre es absurd, einen Bezirk, in dem reiche Kinder aufwachsen, die nachweislich aufgrund ihrer Umgebung vielfach mehr Bildung rezipieren als andere, mit einem Bezirk von niedrigem Bildungsstand zu vergleichen. In letzterem darf es dann als Erfolg gelten, wenn der Schüler seinen Abschluss schafft.

    Aber was da der Lehrer machen kann???

    Don Quijote lässt grüßen.

  • HK
    Hermann Klöti

    SHCOOL - gute Nacht USA, wenn es nicht einmal gelingt, der Namen der Institution richtig zu schreiben.....

  • H
    Humboldtpinguin

    Hmm. Duncan trumpft mit der allegorischen Mondlandung auf, einer Leistung aus der Vergangenheit. In der US-amerikanischen Gegenwart nämlich wurde die bemannte Mond- und vor allem auch die Marsmission erstmal abrupt beendet. Von wem? Von Obama. Diese Aktion wird dann in 40 Jahren vermutlich wieder ein Bildungsminister als Sinnbild für etwas benutzen - für etwas Gescheitertes.

  • H
    Holländer

    In Großbritannien hat Tony Bliar diese Politik vorgemacht. Die Idee ist gut, aber die Folgen können verheerend sein wenn man es falsch macht.

     

    Dazu gibt es eine sehr schöne BBC Reith Vorlesung. Vertrauen statt Mikromanagement.

     

    http://www.bbc.co.uk/radio4/reith2002/lecture1.shtml

  • AG
    armut gleich bildungsarmut

    Die armen LehrerInnen und SchülerInnen. So sehen 'Bildungsreformen' im 21. Jahrhundert aus...Wettbewerb, Dauervergleiche und keine Diskussionen um Inhalte und Lehrformen. Der amerikanische Weg der Problemlösung kann kein Vorbild sein. Die Vereinigten Staaten und zunehmend auch Europa sind reformunfähig. Die PolitikerInnen sind zu doof, ihnen fehlt es an Bildung und Vorstellungskraft. Die Ideologie der 'Ideologielosigkeit' hat dazu geführt, dass wir nicht mehr Konzepte debattieren, sondern nur noch dumme Spielchen mit den Kindern treiben. Den Kindern nutzen diese Einstufungs- und Vergleichstests nichts, außer das sich die Lehrinhalte, in einem eh überfüllten Lehrplan, weiter nach den Anforderungen standardisierter Tests ausrichten werden. Die Vorstellung man könnte nicht vergleichbares miteinander vergleichen ist die Folge einer öffentlichen Debatte in der gesellschaftliche Ungleichheitsstrukturen keine Rolle mehr spielen (dürfen). Da reden wir lieber jahrelang um den heißen Brei herum statt unsere Schulen gerechter zu machen. PISA hat in Deutschland nicht zu einer Verbesserung der Lehr- und Lernsituation geführt, sondern bestensfalls zu einer naiven Debatte um die (nicht)Leistungsfähigkeit unserer Kinder die sich im Kreis dreht.

  • E
    Ernst

    Bildungswettbewerb ist meiner Ansicht nach etwas wirklich gefaehrliches. Wer legt den fest, wann ein Lehrer Leistung gebracht hat und wann nicht? Ist dies wirklich immer dann, wenn seine "Noten" gut sind? Den Bildungsbegriff derart zu reduzieren geht jedenfalls deutlich zu kurz. Die Gefahr dazu ist aber bei jeder Form der Evaluation oder obrigkeittlichen Bewertung gross.

     

    Trotzdem, ein Szstem der Qualitaetskontrolle von Lehrenden tut sicher auch in Deutschland Not. Dass bedingte finanzielle Anreizsysteme und zentral einseitig Bestimmtes zu oft fehlgehen sollte man jedoch erkannt haben.

    Allein der individulle Lehrer kann es aber uch nicht sein, der willkuerlich lehrt. Warum aber nicht mal komunaler Denken und die letztlich betroffenen Schueler, Eltern, Bezirke UND Lehrer mehr gemeinsam entscheiden lassen? Die Politik sollte sich abgesehen vom groben Rahmen endlich um eine flaechendeckende finanzielle Grundversorgung bemuehen, sich aber mit konkreter (Be)wertung zuruekhalten!

  • A
    Alex

    "Streberwettstreit" als Bezeichnung für eine Evaluation, die Schulleistungen vergleichen soll?!?! Sehr geehrte Frau Passenheim: in einem Bericht oder in einer Reportage soll man möglichst keine wertenden Ausdrücke verwenden! Da geht es sachlich zu. Ihre Polemik können Sie sich für Kommentare aufheben.

     

    Die Wortwahl von Frau Passenheim bestätigt mir mal wieder, dass die Entscheidung in Hamburg richtig war. Leute wie sie wollen gar nicht, dass die "schlechten" Schüler besser werden. Nein, die "elitären" Kinder der "Gucci-Eltern" aus Altona unter das "Bildungsprkariat" mischen, damit sie dort untergehen.