Rechtsextremismus: Senioren bilden Blockaden
600 Menschen demonstrieren in Königs Wusterhausen gegen einen Neonazi-Aufmarsch - mit Unterstützung von Berliner Bürgermeistern, Antifas und Rentnern.
Es ist ein ungewöhnliches Bild: DKP- und Grünen-Fahnen reihen sich hinter den Lautsprecherwagen der Gewerkschaft Ver.di, aus dem klassische Klaviermusik ertönt. Rentner und Eltern mit ihren Kindern stehen zwischen schwarz gekleideten Antifas, daneben Lokal- und Landespolitiker. Der bunter Zug, der sich am Samstagmittag in Königs Wusterhausen südlich von Berlin in Bewegung setzt, hat ein großes Ziel: einen Akzent gegen einen Neonazi-Aufmarsch zu setzen. Rund 600 Menschen sind es schließlich, die so durch die Stadt ziehen. An dem etwas später, auf ähnlicher Route folgenden rechtsextremen Aufzug beteiligen sich laut Polizei 260 Teilnehmer.
Der Tag begann mit einem ökumenischen Gottesdienst, später breiten auf dem Fontaneplatz Parteien einen multikulturellen Weihnachtsmarkt aus. Am Himmel kreist ein Flugzeug mit "Die Stadt bleibt bunt"-Banner. Und aus dem Gegendemo-Zug tönen neben Hip-Hop-Beats auch chinesische Volksweisen. "Wir wollten bewusst mal was Anderes, ein friedliches Fest", sagt Organisator Frank Rauhut vom lokalen "Bündnis gegen Rechts" grinsend. "Kultur gegen die Unkultur der Nazis mit ihrer Steinzeitideologie."
Auch viele Berliner befinden sich unter den Gegendemonstranten. "Egal, wo die Nazis aufmarschieren, wir überlassen ihnen nirgends die öffentlichen Räume", bekräftigt Christina Emmrich (Linkspartei), Bürgermeisterin von Lichtenberg. Im Dezember 2008 zogen rund 700 Neonazis für ein "nationales Jugendzentrum" durch ihren Bezirk.
Bereits seit 2003 finden diese rechten Dezember-Aufmärsche in Berlin statt. Diesmal wurde der Aufzug nach Königs Wusterhausen verlegt, weil die dortige Neonazi-Szene im Oktober ihren alljährlichen Aufmarsch abgesagt hatte. Landrat Stephan Loge (SPD) freut sich daher über die Berliner Demokraten. "Wir wollen Königs Wusterhausen nicht zum Neonazi-El Dorado machen."
Immer wieder stoppt der Gegendemo-Zug, um die Neonazis zu blockieren. Die Antifas verstreuen sich nach und nach zwischen den Plattenbauten, um dann protestierend am Rand des rechtsextremen Aufzugs aufzutauchen. Am Ende trägt die Polizei vor allem Bürger, sogar einige Senioren, aus einer 60-köpfigen Sitzblockade. Die antworten mit Pfiffen und "Schämt euch"-Rufen auf die ruppigen Beamten.
Zwei Straßen weiter stehen, durch die Blockaden gehindert, sich die zumeist jungen Neonazis die Beine in den Bauch. Ein Redner fordert "Perspektiven für nationale Jugendliche"; die fast durchweg in schwarz gekleideten Neonazis skandieren "Ruhm und Ehre der deutschen Nation". Viel mehr fällt ihnen nicht ein.
Das Gros der Einwohner von Königs Wusterhausener hat sich indes in ihre Wohnungen verzogen; die Stadt ist von die 800 Polizisten abgeriegelt. Einige Bürger lehnen immerhin an den Fenstern. "Auch die müssen wir erreichen", sagt Lutz Franzke (SPD), Bürgermeister von Königs Wusterhausen. "Die latente Unterstützung bei vielen für die Rechtsextremen, das darf nicht sein." Seit Jahren gilt Königs Wusterhausen als Stadt mit reger Neonazi-Szene. In einem Vorort befindet sich die Zentrale der bei Rechtsextremen beliebten Modemarke "Thor Steinar". "Wir haben hier noch immer No-Go-Areas", sagt Frank Rauhut. Inzwischen gebe es aber viele Königs Wusterhausener, die dagegen aktiv würden.
Das zeigt auch der Samstag: Nur unter umfangreichen Protest können die Rechtsextremen demonstrieren - zudem ist ihre Dezember-Demo so schlecht besucht wie seit Jahren nicht. 17 Verstöße gegen das Versammlungsgesetz auf beiden Seiten meldet die Polizei.
Als kurz vor 18 Uhr die letzten Neonazis mit der Bahn aus der Stadt verschwinden, ist auch Jan Kasiske von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus zufrieden. "Erstmalig konnten die Neonazis hier nicht ungestört durch die Stadt ziehen - weil alle an einem Strang gezogen haben."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Nordkoreas Soldaten in Russland
Kim Jong Un liefert Kanonenfutter
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken