Das Internet - genauer gesagt, das IP-Protokoll, auf dem das Internet aufbaut - wurde seinerzeit vom amerikanischen Militär entwickelt, um auch unter widrigsten Umständen Nachrichten von A nach B befördern zu können, beispielsweise nach einem nuklearen Erstschlag oder wenn Teile des Netzes dem Feind in die Hände fallen sollten. Die Verbreitung einer Nachricht (beispielsweise eine Seite mit jugendpornograpischem Material) in diesem Netz zu unterbinden, ist qua Design ohne vollständige Kontrolle des gesamten Netzes technisch so gut wie unmöglich. Eine technisch relativ simple Maßnahme wie eine DNS-Sperre, die Frau Ministerin von der Leyen etwas naiv als "etwas technisches" bezeichnet, kann den Zugriff zwar kurzzeitig erschweren und damit eher zufällige Besucher abhalten. Im Kontext der technischen Versiertheit, mit der Paedophile sich ihren "Stoff" beschaffen, wirkt diese Maßnahme aber wie ein von Kinderhänden quer gelegter Ast, der einen kräftigen Gebirgsbach aufhalten soll. Da könnte Frau von der Leyen auch versuchen, die Schweinegrippe weltweit auszurotten, indem sie in Deutschland Kopfschmerzen gesetzlich verbietet und jeden strafrechtlich verfolgen ließe, der sich versehentlich an den Kopf greift - allein ihr Gesetzestext müsste zu einer Flut von Verdachtsfällen führen.
Ausgerechnet im 20. Jahr der Überwindung von Mauer, Totalüberwachung und Selbstschusseinrichtungen nach chinesischem Muster ein neues digitales Sperrwerk quer durch Deutschland zu errichten - nebst Totalüberwachung und strafrechtlicher Selbstschusseinrichtung! - ist eine Geschmacklosigkeit, für die selbst der deutschen Sprache an Worten fehlt.
Die geplanten Maßnahmen tragen die Handschrift von politischem Aktionismus, technischem Dilletantentum und einm beunruhigenden Maß an laissez faire im Umgang mit den Grundrechten. Und die Doktrin "Wer gegen die Netzsperren ist, unterstützt die Kinderschänder" erinnert beißend an die Worte von George Bush: "Either you are with us, or you are with the terrorists".
Frau Ministerin bewegt sich in so guter politischer Gesellschaft - man möchte ihr aus vollem Herzen Brezeln schenken.
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland