Wie Damien Hirst Rekordgewinne erzielt: Geld schwimmt in Formaldehyd
Damien Hirst versteigert sein Oeuvre im Londoner Auktionshaus Sothebys. Sein "Goldenes Kalb" und andere Arbeiten erzielen Millionengewinne.
Anfang dieser Woche muss es spätestens jedem Banker klar geworden sein. Er arbeitet in der falschen Branche. Denn während die Wall Street und mit ihr der gesamte Finanzmarkt nach Luft rang, schossen die Preise am Kunstmarkt in die Höhe: Vor den Büros des gefallenen Lehman-Brothers-Investmentimperiums im Londoner Viertel Canary Wharf standen weinende Anzugträger, während in der New Bond Street Damian Hirsts "Goldenes Kalb" für 10,3 Millionen Pfund und sein neuer Hai in Formaldehyd für 9,5 Millionen Pfund unter dem Hammer landete.
Und das, obwohl halb London am Auktionsabend bereits im Flieger zur mindestens genauso geldtapezierten Konkurrenzveranstaltung in Moskau saß, der Eröffnung der neuen, gigantischen Kunstinstitution von Roman Abramowitschs Freundin Dascha Shukowa. Doch glücklicherweise kann man ja per Telefon von überall her mitbieten, und zumindest im Alltag der arabischen und russischen Käuferschaft klingen aktuelle Angstbegriffe wie "British Credit Crunch" oder Rezession wie lustige Fremdworte. Das weiß auch Damian Hirst. Und hat angeblich nur deswegen aufgehört, seine Tiere zerteilt in Formaldehyd zu versenken, um die Gefühle seiner arabischen Käuferschaft nicht zu verletzen.
Wenige Tage vor der hysterisch erwarteten Gigantenauktion klang das gebetsmühlenhaft wiederholte und bereits am ersten Auktionstag geschlagene Einnahmeziel von 65 Millionen Pfund irgendwann nur noch wie der Countdown für das Guinnessbuch der Rekorde. Zwar hat Hirsts Abkürzung entlang der Nahrungskette des Kunstmarktes, als rein performativer Schritt betrachtet, durchaus seine amüsanten Seiten. So habe sein Londoner Stardealer Jay Jopling am Telefon beinahe der Schlag getroffen, und als Hirst noch hinzufügte, wie viele Arbeiten er vorhabe eigens zu verkaufen, brach Jopling das Gespräch ab. Denn trotz jahrelanger Zusammenarbeit zwischen der White Cube Gallery und Hirst wirft dieses neue Erfolgsduo von Künstler und Auktionshaus in der Galerieszene die panische Frage auf, ob in Zukunft nicht weitere Künstler Hirsts Beispiel folgen und damit die Position des Galeristen als überteuerte Mittelsperson überflüssig machen. Während der Versteigerung kam es zu der absurden Situation, dass auch Jay Jopling mitbot, um seinem eigenen Künstler mehrere Arbeiten abzukaufen.
Doch abgesehen von Hirsts direktem, unkonventionellem Gang zu einem Auktionshaus würde seine kommerzielle Tabula rasa, ähnlich wie sein Diamantenschädel, ohne diese riesigen Summen gar nicht funktionieren, oder, wie Hirst es betont, "schocken". Überhaupt sei er im Herzen Punk, erzählte der 43-Jährige in einem BBC-Interview. Punk made me do it, sozusagen, was also bedeuten würde, dass die erzielten Rekordsumme im Grunde ein Akt der Kapitalismuskritik war.
Am Abend der Versteigerung spielte Hirst entspannt Billard in Camden. Denn rein finanziell war diese Versteigerung der vorerst größte Goldregen, den er in seiner finanzstarken Karriere erlebt hat. Der wahre Gewinner ist aber Sothebys. Das Auktionshaus, das mit der Idee einer Versteigerung angeblich auf Hirst zukam, wird sich mit diesem Coup nicht nur seine Position als neue Adresse für progressive Auktionen, sondern wahrscheinlich auch seine schlechten Aktienwerte genussvoll vergoldet haben. JULIA GROSSE
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