Kinofilm "Hunger" von Steve McQueen: Scheiße an den Wänden
"Hunger" von Steve McQueen konzentriert sich auf das konkrete Streikszenario im nordirischen Maze-Gefängnis. Der Regisseur schaut dabei frappierend genau auf die Körper der Protagonisten.
"Hunger" spielt im nordirischen Maze-Gefängnis zu Beginn der 80er-Jahre. Die inhaftierten IRA-Mitglieder streiten mit drastischen Mitteln darum, als politische Gefangene anerkannt zu werden. Sie weigern sich, Gefängniskleidung zu tragen, sie schmieren ihre Exkremente an die Wände ihrer Zellen, und als die britische Regierung hart bleibt, beginnen sie einen Hungerstreik, an dessen Ende zehn Männer tot sind. Das erste Opfer ist Bobby Sands.
Steve McQueens Kunstwollen tritt in "Hunger" nicht hinter die Erzählung zurück. Im Gegenteil, der Regisseur tilgt fast allen Plot, fast alle Psychologie und auch die historisch-politischen Eckdaten. Die ideologischen Positionen treten so in den Hintergrund zugunsten eines scharfen, hyperrealistischen Blicks auf das, was die Wärter und die Häftlinge einander antun.
McQueen schaut frappierend genau auf die Körper und darauf, wie sie reagieren, wenn sie zuschlagen oder wenn sie geschlagen werden. Er schaut auf die Scheiße an den Wänden der Zellen, auf die Maden rund um die Hand eines Schlafenden, auf die blutigen Fingerknöchel des englischen Vollzugsbeamten, auf den Urin am Boden der Korridore, aber auch auf eine Schneeflocke, die vom Himmel fällt, während der Beamte sich eine Zigarettenpause gönnt. Wenn "Hunger" manchmal etwas Manieristisches hat, so wird dies durch die Konkretion des Kamerablicks und durch die Einsichten, die daraus folgen, aufgefangen.
In einer ungewöhnlich langen Plansequenz sprechen ein Priester und Bobby Sands miteinander; die erste Einstellung dieses Gesprächs bleibt außergewöhnlich lange ohne Schnitt; man begreift in diesen 17 Minuten, dass hier zwei unversöhnliche Prinzipien miteinander ringen und was das kostet.
In einer anderen Szene nehmen die Häftlinge am Besuchstag Schmuggelgut in Empfang. Die Kamera ist unter einem Tisch und beobachtet, wie eine junge Frau etwas aus ihrer Vagina fischt. Ihr Freund greift danach und führt es in seinen Anus ein. Die junge Frau schmunzelt verhalten über diesen Austausch, der ersetzt und erweitert, was an einem anderen Ort der Sex der beiden wäre.
"Hunger". Regie: Steve McQueen. Mit Michael Fassbender, Liam Cunningham u. a., Großbritannien/Irland 2008, 91 Min.
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