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Debatte Bologna-ReformSoldaten des Wissens

Kommentar von Frank Wörler

Die Bologna-Reform macht aus Unis Kadettenschulen. Humboldts Idee von Bildung wird abgewickelt. Disziplin ersetzt die Erziehung zur Kritik.

S tudierende, Lehrende und Politiker sind sich einig: Die neuen Bachelorstudiengänge sind überfrachtet und kaum zu bewältigen. Und damit hat sich die Einigkeit auch schon erschöpft. Während für Politiker alles nur eine Frage des richtigen Maßes scheint, erleben viele Studierende und Professoren die Bologna-Reform als massiven Eingriff in den Wissenschaftsbetrieb. Hinter den neuen Gesetzen und Regelungen verbirgt sich schlicht der bildungsgeschichtliche Rückfall in die vor-humboldtsche Kadettenschule.

Ob die Hochschulreform gescheitert ist oder nicht, ist zunächst eine Frage der Perspektive. Unter der Vorgabe, aus den Unis straff organisierte Ausbildungsstätten zu machen, ist Bologna sicherlich ein Erfolg. Von einem prinzipiellem Erfolg sprechen auch Bundesbildungsministerin Schavan und die Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz Wintermantel.

Unter dem Gesichtspunkt optimaler Bedingungen für die Wissenschaften ist Bologna jedoch ein brutaler Schlag gegen die - ohnehin fragile - Autonomie von Forschung und Lehre. In den Augen der Studierenden konkurriert der Erwerb wissenschaftlichen Urteilsvermögens mit einer permanenten Leistungsschau - die sie nicht länger mitmachen wollen.

Die Verantwortlichen ahnen Handlungsbedarf: Die Hochschulrektorenkonferenz schiebt die Schuld auf die Landespolitiker, die sich wiederum über die schlechte Reformumsetzung durch die Hochschulleitungen beklagen. Was wie ein Streit aussehen soll, ist allerdings nicht mehr, als der Versuch, die mediale Aufmerksamkeit auf Themen zu lenken, die man für diskutabel hält: Geld und Form. Auch Bundespräsident Köhler kritisiert die Unterfinanzierung. Doch diese ist seit den Neugründungen in den siebziger Jahren Programm. Die Universität der Neunziger erschien auch deshalb reformbedürftig, weil sie systematisch unterfinanziert war.

Die Hochschulreform in Deutschland ist das Produkt externer "Fachleute". Das akademische Personal selbst verhielt sich in großen Teilen unpolitisch oder abwartend. Lobbyarbeit und Public Private Partnerships des Bertelsmann Konzerns konnten den Diskurs erfolgreich binden und dominieren. Politischer Filz wucherte und flankierende Medienkampagnen taten ein Übriges. Wer die Reformen kritisierte, galt als ewig Gestriger.

Der staatlichen Universalisierung privater Firmenphilosophie ist es zu verdanken, dass die heutigen Unis nach dem Top-Down-Prinzip strukturiert sind. Von oben nach unten läuft die Befehlskette mit der simplen Order, austauschbare Module zu Höchstleistungen anzutreiben. Das oberste Oben ist allerdings ein Außen und dieses Externe ist der Hochschulrat. Dort sitzen in großer Zahl schließlich Wirtschaftsmanager, die ihre Präsidenten platzieren.

Die Krux der Bologna-Hochschule ist überall in der gleichen Doppelfigur anzutreffen: Die neuen Strukturen und die tägliche Politik der Entscheider sind von wissenschaftsfremden Interessen dominiert. Hochschulleitung nach Bologna ist eindimensional auf Bilanzen und Außendarstellung reduziert. Steuerung nach Innen erfolgt mittels eines absurden Bewertungssystems, das alles in buchhalterischen Größen erfasst und verrechnet. Der inhaltliche Wettbewerb verschiedener Theorien wird von einem Kennziffernwettbewerb der Professoren ersetzt. Im Bologna-Jahr 2010 ist die Wissenschaft ummantelt von einem unwissenschaftlichen Bewertungssystem. Wenn in der Lehre personelle Kapazitäten fehlen, dann liegt es auch an dieser Verdopplung des Unibetriebs in einer Parallelwelt aus Ziffern und Zertifizierungen: jenem entfesselten Spektakel der Evaluation und Akkreditierung.

Kritisches Denken wird nicht gefördert, wenn Studierende während ihres gesamten Studiums Zensuren für ihre Abschlussnote sammeln. Bislang war es möglich, für einige wenige Prüfungstermine verschiedenartiges Wissen zu erwerben, neu zu kombinieren oder auch wieder zu verwerfen. Ziel der Prüfung war, sich selbst - aber auch den Stoff - prüfend, ein wissenschaftlich fundiertes Statement abzulegen. Heute wird jedes gelehrte Quäntchen sofort abgefragt und das in hoher Frequenz. Was sofort verbucht werden kann, wird nicht mehr hinterfragt. Für eine kritische - und damit wissenschaftliche - Verarbeitung des Gelernten bestehen weder Gelegenheit noch Notwendigkeit.

Auch wenn Politiker und Rektoren seit einigen Tagen versprechen, Linderung zu verschaffen, bleibt es dabei: Mangel ist ein intendiertes Element der Bologna-Reform. Durch die gezielte Verknappung des Angebots soll ein wettbewerbsgeregelter Markt des Wissens angeregt, durch permanente Leistungsmessung aufrechterhalten werden. Auch die Modulstruktur erschwert einen freien wissenschaftlichen Diskurs. Module sind als Black-Box konzipiert; definiert werden lediglich Input und Output. Doch wer die Struktur der Modulverknüpfungen festlegt, nimmt massiv Einfluss auf das, was in Modulen stattfinden kann. So begünstigt die Modulstruktur verschulte Programme und verunmöglicht komplexere Themen.

Bei der Konfrontation, die sich in der Uni-Debatte abzeichnet, geht es indes nicht nur um Überregulation und Unterfinanzierung. Sie ist ein Widerstreit zwischen einer straffen wirtschaftlichen Organisation und einer selbstbewussten, den wissenschaftlichen Diskursen verpflichteten Hochschule. Die Umsetzungsfehler, die bei der Reform gemacht wurden, bieten den Universitäten heute die letzte Chance, den externen Interessen eine eigene Kultur entgegenzusetzen.

Freie Forschung und Lehre im Sinne des Grundgesetzes setzt die Abschaffung der externen Hochschulräte, der vereinheitlichenden Modulstruktur und der sachfremden Kennziffern- und Bewertungssysteme voraus. Sie bedarf der Wiedereinführung demokratischer Gremien und fachspezifischer Regulative, ausgehend von den jeweiligen lokalen Fachdiskursen. Die Regeln solcher Diskurse sind jenen der Bologna-Bürokratie geradezu entgegengesetzt. Denn in der Wissenschaft gilt: Spannend wird's, wenn's nicht läuft, wie geplant. Um nichts anderes dreht sich die ganze Chose.

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2 Kommentare

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  • H
    Harald

    War es früher wirklich besser?

    Wie viele Studierende haben damals ewig studiert, wie viele sogar ohne Abschluss?

    Jetzt können die, die nicht wirklich studieren können oder wollen, sich früher auf eine Alternativkarriere festlegen. Das ist doch mal ein Vorteil :)

    Und die anderen müssen hart arbeiten im Studium, aber das müssen Azubis und Bauarbeiter auch.

  • A
    annie

    Also, ich weiss ja nicht wie es jetzt in den Unis aussieht, aber mein Magisterstudium (Geisteswissenschaft)von 98 bis 2005 sah so aus: übervolle Seminare, in die man nur mit Voranmeldung reinkam. Hatte man den Anmelde-Termin verpasst - Pech gehabt. Kann man ja ohne weiteres auf nächstes Semester verschieben. Okay. Massenuni FU: Prof hat 1h Sprechstunde/Woche, bisweilen musste man 2 Monate auf einen Termin warten, da die Sprechstunde zudem 3x wg. Konferenzen, Forschungsreisen o.ä. ausfiel. Prüfungen... ungern! Hausarbeiten, ja, gib sie ab, wann du willst, aber erwarte keine Hilfe von mir. Gemeinschaftssinn in der Uni, NULL! Vielleicht habe ich schon in einer Umbruchszeit studiert, in der weder Professoren noch Studierende Lust auf einen intensiven thematischen Austausch hatten. In diesem Sinn musste eine Reform her, denn die Realität hat schon lange nicht mehr in die veralteten Strukturen gepasst! Außerdem: in den wenigen heftigen Prüfungen haben die Studenten bestimmt nicht mehr gelernt, als in vielen kleinen. Im Gegenteil: ein Wissen, was langsam aufeinander aufbaut, dient früher oder später der Verknüpfung. Ein einziger Hammer (wie die Abschlussprüfungen des alten Studiensystems) wirft die Studenten auf lange einsame Schreibtischzeiten zurück. Und nach der Prüfung ist es genauso abgehakt wie nach jeder anderen Prüfung auch.

    Sowieso, das eine wie das andere System, lehren zu überleben. Man fragt sich also wie die Gesellschaft aussieht, in der wir heute überleben müssen.