: Wo Waffen der ganze Stolz sind
Im Werk von Heckler & Koch sagen sie: „Wir sind gerade absolut hip“
aus Oberndorf ULRIKE SCHNELLBACH
Edgar Hagens Gürtel hat ihm schon manche Diskussion eingebracht. Zum Beispiel neulich beim Arzt. „Was tragen Sie denn da Fürchterliches?“, fragte der, als er die Gürtelschnalle mit den Gewehren sah. Hagen konterte, wie es seine Art ist: Er ging in die Offensive. Erzählte, dass er bei Heckler & Koch arbeitet. Und dass er stolz darauf ist.
Dass Heckler & Koch Waffen produziert, brauchte Hagen nicht zu sagen, das weiß in Oberndorf jeder. Und viele sind auf die eine oder andere Art mit der Waffenschmiede verbunden. Ach ja, da kenne er den Geschäftsführer gut, sagte der Arzt, schöne Grüße auch. „So hat das Gespräch eine Wendung genommen“, erzählt Edgar Hagen und triumphiert. „Plötzlich war keine Rede mehr von ‚fürchterlich‘.“
So ist das in Oberndorf, der Kleinstadt zwischen Schwarzwald und Schwäbischer Alb, wo Waffen zur Geschichte gehören wie in Bochum die Kohle. Verstehen kann das wohl nur, wer in Oberndorf aufgewachsen ist: Es gibt viele Fragen, die stellen sich hier gar nicht. Behauptet jedenfalls Edgar Hagen, der Betriebsratsvorsitzende. Behauptet auch Andrea Franke, die Pressesprecherin von Heckler & Koch. Die, die kritische Fragen stellen, kämen immer von außerhalb.
Gutes Design
Das Heimatmuseum ist in Oberndorf das Waffenmuseum. Links die Ur- und Frühgeschichte, rechts die Geschichte der Waffenproduktion. 1811 bis 1874: Königlich Württembergische Gewehrfabrik. Ab 1872: Die Mauser-Werke. Seit 1949: Heckler & Koch. „Hohe Treffwahrscheinlichkeit, gutes ergonomisches Design, höchste Funktionssicherheit“ – die Beschreibung an der Vitrine mit der Heckler-&-Koch-Waffenfamilie zeigt, wie stolz die Oberndörfer auf die Präzisionsarbeit „made by HK“ sind. Mit dem G-3-Gewehr von Heckler & Koch ist die ganze Bundeswehr ausgestattet, nach und nach wird es durch das modernere G 36 ersetzt. Und nicht nur die Bundeswehr. Mit HK-Gewehren schießen Menschen in der Türkei, in Chile, in Pakistan. Die Oberndorfer Firma ist eine der fünf größten Produzentinnen von Handfeuerwaffen weltweit und exportiert, wohin es die Politik zulässt.
Besuch in der Waffenschmiede auf dem „Lindenhof“, der auf dem Berg über dem Städtchen liegt. Auf dem Gelände ist in jüngster Zeit viel gebaut worden, Anbauten, Container, in denen Waffen lagern, neue Fertigungshallen. Ein Großauftrag der britischen Armee, dazu die G-36-Produktion, man kann nicht klagen. Anfang der 90er-Jahre hatte Heckler & Koch, das damals an die britische Airospace-Tochter Royal Ordnance verkauft wurde, mehr als 1.000 Mitarbeiter entlassen, derzeit arbeiten etwa 650 auf dem Lindenhof. Jetzt, wo eine Erhöhung des Wehretats bevorsteht, wo die „Innere Sicherheit“ groß geschrieben wird, könnte es bald noch mehr Arbeit geben. Schlechte Zeiten, gute Zeiten. Dabei sei es nicht so, beeilt sich die Pressesprecherin klarzustellen, „dass wir uns über Kriege freuen“. Denn jeder Konflikt nehme der Firma eine Exportmöglichkeit.
Wir sitzen im „Waffenraum“ zusammen, an den Wänden Pistolen und Gewehre aller Art. Andrea Franke, weißblond gesträhnter Kurzhaarschnitt, orangefarbenes Shirt, schlagfertiges Mundwerk. Edgar Hagen, der Mann mit der Gürtelschnalle. Und Manfred Gielke, ein freundlicher Mittvierziger, der in der Entwicklung arbeitet – ohne Gewehrgürtel, aber mit einer Armbanduhr mit HK-Emblem. Seit 1971 arbeiten die beiden Männer im Unternehmen, sind hier in die Lehre gegangen, haben sich hochgearbeitet, sind stolz, wie Gielke sagt, „auf die guten Produkte, die in aller Welt Anklang finden“. Stolz sei auch sein Sohn. Schon im Kindergarten habe der Kleine Pistolen ausgeschnitten.
Seit dem 11. September mischt sich ein anderes Gefühl in den Stolz: Angst. Als er am Morgen danach ein Flugzeug am Himmel sah, berichtet Gielke, da sei ihm mulmig geworden. „Ich denke schon, dass wir ein Ziel für Terroristen sind.“ Umso wichtiger finden sie die Arbeit. „Terrorbekämpfungskommandos in aller Welt“, sagt die Pressesprecherin, „sind mit unseren Waffen ausgerüstet. Das gibt einem ein gutes Gefühl, hier zu arbeiten.“ Und wenn demnächst Bundeswehrsoldaten vom Kommando Spezialkräfte losgeschickt werden, dann tragen sie auch Gewehre aus Oberndorf. „Unser Auftrag ist es“, sagt Betriebsrat Hagen, „dass unsere Jungs die beste Ausrüstung haben, damit sie heil zurückkommen.“ Andrea Frankes Job ist leichter geworden. Früher musste sie sich solche Fragen anhören: „Du bist doch Mutter, wie kannst du in einem Rüstungsunternehmen arbeiten?“ Heute, erzählt sie, kämen dagegen Anfragen von Fernsehsendern, „ob man mal drehen kann, wie die Produkte entstehen, von denen die Soldaten so begeistert sind“. Andrea Franke: „Wir sind gerade absolut hip.“
Davon reden die Leute hier: von Sicherheit, von Selbstverteidigung. Es geht nicht um das Geschäft mit dem Krieg. Es geht darum, dass der Geiselnehmer in einem Kindergarten ohne Risiko außer Gefecht gesetzt werden kann. Ein anderes Beispiel: Neulich habe sie einen ehemaligen Schulkameraden getroffen, erzählt Andrea Franke. Der sei als Bundeswehrsoldat im Kosovo eingesetzt worden. „Wir sind so froh, dass wir eure Waffen haben“, habe der gesagt. „Ich war froh, dass er heil wieder da war. Der Mann hat drei Kinder.“ Ob er schon einmal jemanden erschossen habe? Wieder so eine Frage. „Ich bin gar nicht auf die Idee gekommen, ihn das zu fragen“, sagt Andrea Franke. Trotzdem: Wäre es nicht unproblematischer, etwas anderes zu produzieren? „Zum Beispiel Kinderwägen?“, gibt die Pressesprecherin das Stichwort. Hagen und Gielke lehnen sich zurück, lächeln, die Frage kennen sie schon, schütteln die Köpfe. Warum auch? Eine Welt ohne Waffen sei doch eine Illusion. „Wenn wir sie nicht produzieren“, erklärt Hagen, „tun es andere.“ Keine Gewissensbisse? Andrea Franke sagt: „Wir Oberndorfer haben ein anders Selbstverständnis.“
Teuflischer Kreislauf
Nicht alle. Wenige 100 Meter Luftlinie von Heckler & Koch entfernt sitzt Peter Rauscher an seinem Schreibtisch, von dem aus er direkt auf die Waffenfabrik blickt. Der Pfarrer auf dem Lindenhof hat in seinen zweiundzwanzig Jahren hier nie aufgehört, gegen Rüstungsproduktion zu predigen. Und gegen Exporte, zum Beispiel in die Türkei, wo das Militär mit HK-Gewehren auf Kurden schießt. „Christen in der Türkei werden mit Waffen erschossen, die Christen in Oberndorf hergestellt haben“, sagt der 59-Jährige und blickt nachdenklich aus dem Fenster. „Ich weiß selbst nicht, wie ich es so lange hier ausgehalten habe.“ Manchmal verdränge selbst er das Thema. Aber wenn dann mal wieder in der Zeitung eine neue Entwicklung von HK gefeiert und von „Geräten“ gesprochen wird, setzt sich der Pfarrer an die Schreibmaschine und weist in einem Leserbrief darauf hin, „dass es sich dabei um Tötungswerkzeuge handelt“.
„Ein Gewehr ist nicht böse“, sagt Edgar Hagen. „Das Problem liegt bei den Anwendern. Dafür sind die Hersteller nicht verantwortlich.“ „Eine Waffe“, sagt Peter Rauscher stirnrunzelnd, „trägt eine Tendenz zur Aggression in sich.“ Für den Pfarrer hat der Kreislauf von Waffenexporten und Kriegen „etwas Teuflisches“. Wo die Leute bei HK betonen, dass „unsere Jungs heil zurückkommen“ sollten, da fragt der Pfarrer: „Was haben unsere Jungs im Kosovo oder in Afghanistan überhaupt verloren?“ Es gebe Mitarbeiter, erzählt Hagen, die seien sehr christlich eingestellt und hätten trotzdem kein Problem mit ihrer Arbeit. Peter Rauscher hört anderes. Gemeindemitglieder, die bei Heckler & Koch arbeiten, kämen durchaus mit Skrupeln zu ihm. Doch er verstehe auch deren Problem, dass es in der Region kaum eine Alternative gibt. Die geringe Fluktuation, auf die der Betriebsratsvorsitzende stolz verweist, hat sicher auch damit zu tun.
Obwohl die Oberndorfer Waffenhersteller über ihr Image zurzeit nicht klagen, war es schwer, einen Termin bei Heckler & Koch zu kriegen. Andrea Franke reagierte zunächst zögerlich, bevor sie zusagte. Und fotografieren lassen wollen sie und ihre Kollegen sich auch nicht. Sie sagte: „Wir sind gebrannte Kinder.“
Vor allem in den 80er-Jahren stand die Waffenschmiede in der Kritik. Es war die Zeit, als der Friedensaktivist Jürgen Grässlin Ostermärsche in Oberndorf organisierte. Als Journalisten HK-Mitarbeiter „mit sozialkritischen Fragen belästigten“, wie sich Betriebsrat Hagen erinnert. Grässlin hat sogar ein Buch über Heckler & Koch geschrieben. Der Titel lautet: „Den Tod bringen Waffen aus Deutschland“.
Die Auseinandersetzungen der Vergangenheit haben Spuren hinterlassen. „So ein Kampf, der nagt“, sagt Hagen. Noch heute sieht man ihm den Ärger an, wenn er von jenem Film aus den 80ern über Oberndorf erzählt, der die Blasmusikkapelle der Stadt mit einer Nazi-Militärkapelle gegengeschnitten hatte. „Wir lassen uns nicht als Mörder beschimpfen!“
Andrea Franke bestreitet nicht, dass es Probleme mit der Verbreitung von Waffen gibt: „HK-Gewehre in den Händen von Kindersoldaten gefallen uns gar nicht.“ Deshalb sei die Firma einer UN-Initiative gegen den illegalen Verkauf ausgemusterter Waffen beigetreten. „Alte Waffen sollten verschrottet werden.“ Was für die Hersteller neuer Waffen nebenbei auch wirtschaftlich von Vorteil wäre, aber das sagt die Pressesprecherin nicht. Sie lenkt den Blick noch einmal auf die „andere Seite“, von der sie lieber spricht. „Nur geschätzt“, sagt sie, „mit neun von zehn Gewehren, die wir produzieren, wird nie geschossen.“ Diese Waffen in den Händen von Sicherheitskräften verhinderten vielmehr, dass Gewalt angewendet werde.
Jürgen Grässlin, der Freiburger Rüstungsgegner, arbeitet auch mit solchen Zahlen. Neun von zehn Toten in Krisengebieten, sagt Grässlin, kämen durch Handfeuerwaffen ums Leben, noch mehr als durch die geächteten Landminen. „Das sind die Killerwaffen Nummer eins.“ Und deshalb plant der nimmermüde Aktivist eine neue bundesweite Kampagne. Gegen das G 36. Die ruhigen Zeiten auf dem Lindenhof könnten bald zu Ende sein.
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