Ansturm auf Kreuzberger Kreativzentrum: Die Wunschmaschine am Moritzplatz
Erst im Jahr 2010 soll das Bechsteinhaus in Kreuzberg als Kreativzentrum eröffnen. Doch die Interessenten stehen jetzt schon Schlange: Sie planen Partys, Vernissagen und Happenings - als Zwischennutzer auf der Baustelle. Im Januar solls losgehen.
Kalt fegt der Wind über den Moritzplatz. Ein Grüppchen Männer mit Wollmützen und Kaffeebechern in der Hand drängt sich fröstelnd am Eingang des Bechsteinhauses zusammen. Der verlassene Betonklotz aus den 70er-Jahren wirkt mit seinen braun getönten Scheiben ebenso trist wie der Moritzplatz selbst, an dem sich zu so früher Stunde kaum ein Mensch verliert. Die Wintertristesse verfliegt, als Andreas Krüger auf dem Fahrrad über die Laderampe brettert und die Tür aufschließt.
"16.000 Quadratmeter, super Deckenhöhen, Räume in allen Größen und Lagen. Schaut euch um!" Krüger führt das Interessentengrüppchen schwungvoll und routiniert durch die leer stehende einstige Pianofabrik. Er tut das öfter, seitdem seine Firma, der Materialgroßhändler Modulor, Besitzer des 16.000 Quadratmeter großen Hauses ist. Zumindest zur Hälfte. Die andere Hälfte gehört dem Berliner Kaufmann und Besitzer des Aufbau-Verlags, Matthias Koch, der mit Modulor zusammen eine Entwicklungsgesellschaft gegründet hat.
Hört man Krüger reden, so ist die Entwicklung bereits beträchtlich fortgeschritten: Die Zahlung des Kaufpreises von 7 Millionen Euro ist bereits geleistet, die Finanzierung des rund 8 Millionen Euro teuren ökologischen Umbaus gesichert. Bis 2010 soll hier ein Kreativhaus entstehen, in dem Modulor und Aufbau residieren und verwandte Kreativdienstleister um sich gruppieren - vom Papierhandel bis zum Möbelbauer.
Probleme, das wuchtige Gebäude mit Leben zu füllen, haben die neuen Besitzer nicht: "Wir haben bereits dreimal so viele Interessenten, wie wir unterbringen können", sagt Krüger. Eine 24-Stunden-Kita will ins Obergeschoss, ein Kurierdienst in den Keller, Modemacher, Buchhändler, Galerien und Architekten drängen in die mittleren Etagen, die bis auf die tragenden Säulen entkernt werden.
Alt und abgeranzt
Noch ist es schwer, sich die muffigen, abgehängten Räume mit Teppichboden und Neonröhren als Kreativzentrum vorzustellen. Doch deshalb sind die Männer, die Krüger an diesem Vormittag durchs Haus führt, gar nicht gekommen. Sie mögen das Alte und Abgeranzte, befühlen begeistert billige Rigipswände und vergilbte Warntafeln: "Vorsicht, Ladezone", "Verhalten im Notfall", "Warenannahme".
Die Männer bilden die Partyvorhut des Bezirks. Und sie sind gekommen, um die Baustelle zu bespielen: Von Ende Januar bis April kommenden Jahres soll es am Moritzplatz laut und bunt werden, damit sich die Berliner schon einmal an den neuen Hotspot Bechsteinhaus gewöhnen können. Zum Beispiel mit einem Kreativmarkt oder einer Party des Szenekollektivs "Möbel Olfe". "Die kreative Zwischennutzung der Baustelle soll der erste Herzschlag dieses toten Gebäudes sein" - so wünscht es sich Krüger. Auch mit zwei Kreuzberger Bands, "sehr bekannte Namen", ist er im Gespräch. Sie wollen im Keller proben und gelegentlich Konzerte geben. Zudem sind Vernissagen geplant, im Sommer Open-Air Kino auf dem Dach und ein Moritzplatz-Festival.
Die konkreten Umbaumaßnahmen können erst im April beginnen. Vorher muss der Verkauf des ehemals landeseigenen Gebäudes noch vom Liegenschaftsfonds und dem Vermögensausschuss abgesegnet werden. Beide Termine dafür sind Anfang 2009. Doch mit der Ruhe am Moritzplatz ist es schon jetzt vorbei: Die Reste der Modulor-Weihnachtsfeier im Erdgeschoss zeugen von der erfolgreichen Wiedererweckung des seit Anfang 2007 leer stehenden Gebäudes. "Die Leute draußen dachten, es sei eine Vernissage, und wollten hinein", freut sich Krüger. So stellt er sich das Haus vor: als pulsierendes Energiezentrum an der Nahtstelle zwischen Kreuzberg und Mitte.
Dass der graue Fabrikkasten bereits jetzt einiges an Charme zu bieten hat, zeigt beispielsweise der Abstieg in den Keller: Der private Swimmingpool des Firmenchefs samt Fischchen-Mosaik und Bar ist eine Preziose der 70er-Jahre. Da Abriss oder Wiederherstellung des lecken Beckens zu teuer wären, dürfte Kreuzbergs Barlandschaft bald um eine skurrile Attraktion reicher sein.
Das eigentliche Sahnestück des Gebäudes aber ist die rund 2.000 Quadratmeter große Dachterrasse. Hier leuchten auch die Augen des Galeristen, der mit Abstand zur Zwischennutzungstruppe der Führung folgt. Eigentlich wollte er sich nach Atelierplätzen für zwei seiner Künstler umsehen. Beim Rundblick über die mit Kies und hölzernen Sitzbänken bedeckte Riesenterrasse scheint seine Fantasie angeregt worden zu sein. Er könne sich hier einiges vorstellen, ruft er, er werde Krüger noch an diesem Vormittag eine E-Mail schreiben.
Super Ausblick
Krüger selbst lächelt, er weiß um die Attraktion des Dachs. Ein Teil davon ist allerdings schon für die Kita reserviert, die ins Haus einziehen wird. "Kinder nach oben, das ist unsere Devise", sagt Krüger. Das Interessentengrüppchen guckt etwas enttäuscht. Ein anderer Teil soll begrünt werden und als gemeinsamer Erholungs- und Veranstaltungsort allen Mietern zur Verfügung stehen.
Ökologisches Gärtnern, Energiegewinnung, gemeinsames Filmegucken - Krüger ist jetzt nicht mehr zu stoppen. Wer ihn reden hört, versteht, wie über die Jahre aus dem Hirngespinst von ein paar Kreuzberger Geschäftsleuten ein handfestes Großprojekt mit privater Finanzierung werden konnte. Seit mehr als drei Jahren verbreiten Modulor-Geschäftsführer und -Mitarbeiter das Konzept per Mundpropaganda, gezielte Werbung machten sie dafür nie. Verwandte Geister, die sie mit ins Boot holen wollen, finden sie lieber selbst.
So wie den in Schweden lebenden Installationskünstler Carsten Höller. Dessen in das Londoner Museum Tate Modern hineingebaute Riesenrutsche begeisterte Andreas Krüger so sehr, dass er für das Bechsteinhaus auch eine wollte. Höller habe Bereitschaft signalisiert, verrät Krüger. Für eine konkrete Zusage des Künstlers würde er sogar mit seiner Familie nach Stockholm fliegen. "Opfer müssen sein", sagt Krüger grinsend und steigt wieder auf sein Fahrrad. Aber nicht, ohne zuvor noch einmal die E-Mail-Adressen und Handynummern der Interessentengruppe eingesammelt zu haben. Damit aus der Idee von der Kulturbaustelle auch wirklich etwas wird.
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