Trinkwasser-Skandal in NRW: Umweltminister gerät unter Druck
Im Mai brachten Mitarbeiter von NRW-Umweltminister Uhlenberg (CDU) einen Kritiker ihres Chefs in Untersuchungshaft. Jetzt zeigt sich: Die Vorwürfe sind haltlos.
DÜSSELDORF taz Er hatte immer vor den Gefahren gewarnt. Jahrelang hatte Harald Friedrich darauf hingewiesen, dass das Trinkwasser aus der Ruhr mit krebserregenden perfluorierten Tensiden (PFT) verseucht sei - und trotzdem an Millionen Haushalte geliefert werde. Doch plötzlich wanderte der damalige Abteilungsleiter im nordrhein-westfälischen Umweltministerium im Mai für 22 Tage in Untersuchungshaft. Und sein Chef, Umweltminister Eckhard Uhlenberg (CDU), schien fein raus.
Mit dem Trinkwasser der Ruhr bekommen über fünf Millionen Menschen in Westfalen und im Ruhrgebiet einen Chemikaliencocktail ins Haus geliefert: das Grundnahrungsmittel enthält Röntgenkontrastmittel, Pharmaka, Abwässer aus Industrieanlagen - und bis zum Sommer auch unzulässig hohe Dosen von perfluorierten Tensiden (PFT), die vermutlich Krebs erregen. Zwar ist die PFT-Belastung seit Jahren bekannt, doch noch immer mangelt es an entsprechender Aufbereitungstechnik. Unklar ist die Ursache der Verseuchung: Nordrhein-Westfalens CDU-Umweltminister Uhlenberg behauptet, Quelle sei ein Acker bei Brilon, auf dem illegal mit PFT vermischter Dünger eingesetzt wurde. Allerdings stammen über 50 Prozent der Industriechemikalie aus Abwasser-Kläranlagen, wie der Ruhrverband eidesstattlich versichert: Der Fluss diene nicht nur zur Trinkwassergewinnung. WYP
Doch jetzt wendet sich das Blatt. Uhlenberg ist unter Druck. Die Indizien verdichten sich, dass er politischen Druck auf die Justiz ausgeübt hatte, um seinen Kritiker Friedrich mundtot zu machen. Von den Vorwürfen gegen den ehemaligen Abteilungsleiter ist jedenfalls nicht viel übrig geblieben. Der zuständige Wuppertaler Oberstaatsanwalt Ralf Meyer gibt sich inzwischen vorsichtig. "Bestenfalls Marginalien" könne er Friedrich nachweisen, so Meyer zur taz. Peinlich ist Meyer auch der im Haftbefehl angeführte Vorwurf, der 56-Jährige habe "gewerbsmäßig und als Mitglied einer Bande" gehandelt: "Nein, nein, da ist nichts dran." Selbst noch laufende Verfahren wegen Untreue und Betrugs könnten "in wenigen Wochen" eingestellt werden.
Inzwischen hat sich die Düsseldorfer Generalstaatsanwaltschaft in die Ermittlungen eingeschaltet. Und der Blick in die Ermittlungsakte dürfte die Düsseldorfer erschüttert haben: Die Dokumente, in die die taz umfassend Einsicht nehmen konnte, machen klar, wie hochrangige Mitarbeiter Uhlenbergs immer wieder Einfluss auf die Ermittlungen nahmen - allen Beteuerungen des Ministers zum Trotz.
So berichtete der für Disziplinarmaßnahmen zuständige Referatsleiter des Umweltministeriums dem Landeskriminalamt im Juli 2006, Friedrich habe "wissenschaftliche Forschungsaufträge mit einem Volumen von rund 2,1 Mio. Euro unter Missachtung der einschlägigen Vergaberichtlinien an die RWTH Aachen bzw. private Institute vergeben". Die Ministerialrätin Dorothea Delpino hatte schon im Juni ausgesagt, ihr ehemaliger Vorgesetzter habe sich für die Auftragsvergabe "ein hochwertiges Laptop" liefern lassen. Und Uhlenbergs Staatssekretär, Alexander Schink, traf sich zu einer "Dienstbesprechung" mit Oberstaatsanwalt Meyer und zwei Herren vom LKA gleich direkt im Ministerium.
Es könnten also genau diese Treffen und Vorwürfe gewesen sein, die für Friedrich im Mai die fatalen Konsequenzen brachten und den Umweltminister über den Trinkwasser-Skandal retteten. Korruption und Bestechlichkeit hatte die Staatsanwaltschaft Wuppertal dem promovierten Chemiker Friedrich und zwölf weiteren Beschuldigten, darunter Professoren der Universitäten Aachen und Bochum, vorgeworfen. 270 Beamte hatten Wohn-, Instituts- und Geschäftsräume in bundesweit 45 Objekten durchsucht. Friedrichs Telefon wurde abgehört. Belauscht wurden dabei nicht nur Journalisten, sondern auch der parlamentarische Geschäftsführer der grünen Landtagsfraktion, Johannes Remmel. Ohne Kontrolle habe Friedrich Forschungsmittel in Höhe von 60 Millionen Euro an immer gleiche Hochschuleinrichtungen und Institute vergeben, so der Verdacht der Ermittler damals. Einen Schaden von mindestens 4,3 Millionen Euro habe der Vertraute Höhns Nordrhein-Westfalen so zugefügt.
Umweltminister Uhlenberg pocht bis heute darauf, von politischer Einflussnahme seines Hauses könne keine Rede sein. "Ungeheuerlich" seien entsprechende "Behauptungen" seiner grünen Amtsvorgängerin Bärbel Höhn, die sie jüngst in einem Fernsehmagazin wiederholt hatte. Keiner seiner Mitarbeiter habe Strafanzeige wegen zweckwidriger Mittelverwendung oder gar Korruption gestellt, verteidigt sich Uhlenberg.
Der Minister müsste es besser wissen: Denn in der Ermittlungsakte findet sich auch ein Schreiben seines Staatssekretärs Schink. "Unter allen denkbaren strafrechtlichen Aspekten" erstattet Schink damit "Strafanzeige gegen Herrn Dr. Friedrich".
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind