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die wahrheitBlub, Blub: Frankreich geht unter

Frankreichkenner und solche, die sich dafür halten, flechten hierzulande gern das Wort von der "Grande Nation" in ihre Artikel und Reden ein, um ...

... ihre Kennerschaft rhetorisch zu unterlegen. Das ist eitles Gehabe. Denn in Frankreich benützt das Wort niemand mehr außer ein paar verdrucksten Rechtsradikalen. In den Dictionnaires steht zwar noch "Grande-Grèce" für das antike Großgriechenland, aber der vom größenwahnsinnigen Napoleon 1797 geprägte Begriff "Grande Nation" fehlt ebenso wie die Nazi-Parole von "Groß- Deutschland", der die napoleonische Prägung Pate gestanden hat.

Wie steht es um den Niedergang Frankreichs im Allgemeinen und wie um den kulturellen Prestigeverlust im Besonderen, denn darauf spielt das Geblubber von der "Grande Nation" an? Was den Niedergang im Allgemeinen betrifft, so bildete sich in den vergangenen Jahren ein ganzer Erwerbszweig heraus, betrieben von professionellen Untergangspropheten, die man, abgeleitet vom Wort für Niedergang, "déclinologues" nennt. In ihrer intellektuellen Grundausstattung gleichen sie aufs Haar den neoliberalen Sektenhäuptlingen hierzulande - von Hans-Werner Sinn über Meinhard Miegel bis hinunter zu Hans-Olaf Henkel. Ein Abgrund von Mittelmäßigkeit und Peinlichkeit.

Und der kulturelle Prestigeverlust Frankreichs? Seit das amerikanische Magazin Time im Dezember 2007 mit der Titelgeschichte "Der Tod der französischen Kultur" herauskam, tobt eine Debatte. Unbestritten ist, dass der Export französischer Kulturträger von der Literatur über Musik bis zur bildenden Kunst seit sieben Jahren leicht rückläufig ist und in dieser Zeit von 2,1 Milliarden auf 2,0 Milliarden Euro sank - also um 300 Millionen Euro. Auch die Tatsache, dass französische Filme in nennenswerter Zahl fast nur noch in frankophone Länder wie Belgien, die Schweiz oder Kanada exportiert werden, ist nicht zu bestreiten. Das war aber immer schon so und hat sich in den Proportionen kaum verändert.

Der geballte Unsinn solcher auf scheinbar objektiver statistischer Grundlage beruhender Niedergangsdiagnosen wird sichtbar, wenn man genauer hinschaut. Weit vor allen anderen exportierten Theaterstücken stehen jene von Eugène Ionesco und Samuel Beckett, die im Jahr 2006 zusammen fünfmal öfter gespielt wurden im Ausland als Eric-Emmanuel Schmitt. Beckett und Ionesco haben (auch) Französisch geschrieben, aber kann man sie deshalb national eingemeinden?

Selbst wenn man den Unfug vertreten würde, zwischen dem Rang eines Werks und der Herkunft des Künstlers bestehe ein zwingender Zusammenhang, sind solche Statistiken substanzlos. Was haben Picassos Herkunft als Spanier und sein Leben in Frankreich mit seinem Werk zu tun? Und auch die Einreihung eines Künstlers unter die "hundert Bekanntesten" kann, muss aber nicht mit Qualität zu tun haben, sondern beruht oft auf der Wirkung medialer Selbstinszenierungen oder der Kunstmarktschlüpfrigkeit der Werke.

Vollends einfältig wird es, wenn die Zahl der Übersetzungen, zum Beispiel sozialwissenschaftlicher Bücher, als Maßstab gewählt wird. Die hängt mehr mit der finanziellen Lage der Verlage zusammen als mit Qualität.

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