Henry Hübchen über "Whisky mit Wodka": "Es gibt überall Arschlöcher"

Er habe nie einen Plan gehabt, sagt Henry Hübchen, sein Leben habe sich so ergeben. Der Schauspieler über die DDR, Rosenzucht und seinen neuen Film.

Henry Hübchen: "Ich habe keine Angst vor wilden Tieren" Bild: ap/senator

taz: Herr Hübchen, sind Sie ein kollegialer Typ?

Henry Hübchen: Aber selbstverständlich!

In Andreas Dresens "Whisky mit Wodka" spielen Sie das glatte Gegenteil: den Filmstar Otto Kullberg, eine alternde Diva, die mit Kollegen nicht gerade zimperlich umgeht. Jegliche Ähnlichkeiten zum wahren Leben und Ihrer Person weisen Sie also weit von sich?

Ja, warum denn nicht? Ich weiß, dass ich in der Arbeit abhängig bin von meinen Kollegen. Nur dumme Schauspieler halten sich für Einzelkämpfer. Ich kann kein guter Flieger sein, wenn ich bloß eine zerrissene Fahne habe, um mich damit vom Dach zu stürzen. Ich bin aber auch nicht immer gleich, man reagiert ja auf seine Umwelt. Und dementsprechend kann man auch mal zickiger oder divenhafter sein. Wenn Sie von Blödheit umgeben sind und merken, dass Rationalität Ihnen nicht weiterhilft, kommen eben die Emotionen durch.

Haben Sie denn das Gefühl, dass Sie von viel Blödheit umgeben sind?

Sein Leben: Geboren am 20. Februar 1947 in Berlin-Charlottenburg, absolvierte er zunächst ein Physikstudium, wurde in den Achtziger Jahren DDR-Meister im Windsurfen und schrieb Lieder für die Band "City", verschrieb sich dann doch der Schauspielerei und studierte an der Schauspielschule Berlin. Er ist Vater von zwei Töchtern.

Seine Karriere: Nach klassischen Rollen am Magdeburger Theater wurde er von Benno Besson an der Ostberliner Volksbühne engagiert. Die weiterführende Zusammenarbeit mit Frank Castorf war sehr erfolgreich. Neben der Arbeit am Theater, war er auch in einiggen ausgewählten TV- und Kinoproduktionen zu sehen. Er wurde Schauspieler des Jahres, gewann den Berliner Theaterpreis und wurde als bester männlicher Schauspieler in einer Hauptrolle ausgezeichnet. 2005 erhielt er den Grimme-Preis

Der Film: In "Whisky mit Wodka" spielt Hübchen den exzentrischen Schauspieler Otto Kullberg, der gerne Sprüche klopft und im Mittelpunkt steht. Die Liaison zwischen Otto und Bettina, der Frau des Regisseurs, vermischt Film und Realität. Das Duell der Darsteller beginnt.

Nee, aber ab und zu kommt das schon vor. Ich würde es fast ein Naturgesetz nennen. Die Welt ist doch nicht durchgängig hochintelligent organisiert.

Wie arbeiten Sie dagegen an?

Da wird nichts entschieden, da reagiert der Körper wie beim Boxer, irgendwie instinktiv.

Im Film lassen Sie Ihren jungen Konkurrenten ganz schön auflaufen. Kennen Sie das von sich selbst auch?

Dieser Otto ist mir nicht so nah, wie Sie offenbar denken. Völlig fremd ist mir zum Beispiel, dass der so ein selbstverliebter Populärdarsteller ist, dem es ganz wichtig ist, immer im Mittelpunkt zu stehen, immer gesehen zu werden, immer im Gespräch zu sein. In der Arbeit versuche ich immer, eine Übereinkunft, eine Klarheit zu finden zwischen meinen Partnern und mir, um für alle Seiten eine möglichst angenehme Arbeitsatmosphäre zu schaffen. Das heißt aber nicht, dass ich jeden Tag selbstgebackenen Kuchen mitbringen würde - obwohl man damit dem einen oder anderen Regisseur ganz schön in den Arsch kriechen könnte. Und davor bin auch ich nicht gefeit.

Sind ostdeutsche Schauspieler kollegialer als westdeutsche?

Darüber kann ich keine Auskunft geben, weil ich diese Pauschalisierung nicht leiden kann. Es gibt überall Arschlöcher.

Genau vor dieser Pauschalisierung scheuen manche Ostdeutsche aber nicht zurück.

Es gibt Leute, die im Osten sozialisiert wurden und Egoisten und Karrieristen sind genauso wie solche, die im Westen sozialisiert wurden und trotzdem keine sind. Grundsätzlich tragen wir alle alles in uns. Die Welt ist eben nicht so einfach, wie uns die Zeitungen das weismachen wollen.

Danke.

Sie können ja auch nichts dafür, weil Sie nicht viel Platz haben, um die Welt zu erklären - wenn man sie überhaupt erklären kann.

Sind Karrieristen ein Feindbild für Sie, Herr Hübchen?

Nein. Den Begriff habe ich jetzt gerade zwar gebraucht, aber eigentlich kommt er in meinem Wortschatz nicht vor. Ich habe keine wirklichen Feindbilder. Wir sind doch nicht im Krieg.

In Porträts über Sie steht immer, dass Sie ziemlich faul sind. Trotzdem haben Sie Karriere gemacht. Wie passt das zusammen?

Erfolg hat man nicht unbedingt dadurch, dass man ungeheuer ehrgeizig ist.

Sondern wodurch?

Das ist bei jedem anders. Für die einen ist Ehrgeiz und Zielstrebigkeit sehr wichtig, für die anderen wiederum nicht. Ich zum Beispiel bin in meinem Leben nicht gerne früh aufgestanden, hatte nie einen Masterplan. Es hat mich so hingeschwemmt, mal hierhin, mal dorthin - Leben hat sich ergeben. Mal bin ich der einen Fährte gefolgt, mal der anderen - meistens weil andere mich gezogen haben oder die Umstände. Ich habe es nie bereut. Schlimmer finde ich, sich in den Kopf zu setzen, der größte Dichter aller Zeiten zu werden. Wird man ja sowieso nicht.

Ist diese Gelassenheit das Geheimnis Ihres Erfolgs?

Ich habe neulich irgendwo von Wissenschaftlern gelesen, die rauskriegen wollten, was man machen muss, um besonders alt zu werden. Also haben sie alte Leute befragt und kamen zu dem Ergebnis, dass gesunde Ernährung und solche Dinge überbewertet sind. Entscheidend ist, dass das alles Leute waren, die sich problemlos auf neue Situationen einlassen und auch Sachen beenden konnten. Die, die mehrmals ausgebombt wurden, leben am längsten. Mit dem Erfolg könnte es so ähnlich sein.

So gesehen müssten Sie 100 werden, gehörten Sie doch zu den wenigen DDR-Schauspielern, die nach der Wende an ihre Erfolge anknüpfen konnten?

Dafür kann ich aber nichts. Mich hat niemand ausgebombt. Ich musste mich in keinster Weise umstellen, sondern habe im Grunde das weitergemacht, was ich schon immer gemacht hatte - jetzt aber in größerer Freiheit und mit vielfältigeren Möglichkeiten.

Nach der Wende gehörten Sie dem Ensemble von Frank Castorfs Volksbühne an. Wie erklären Sie sich, dass dieses Ostberliner Theater in den 90ern für die gesamtdeutsche Theaterszene so prägend wurde?

Darauf habe ich eine ganz simple Antwort: Das ist wie mit den Filmen von Andreas Dresen. Da kommen Leute zusammen, die interessant denken, ein großes Talent haben. Mit so einer Mannschaft und so einem Kopf wie Frank Castorf damals hätte man das auch am Wiener Burgtheater schaffen können oder in einem Keller irgendwo. Man braucht einfach nur talentierte Künstler.

So einfach ist das?

Natürlich brauchen Sie auch jemanden, der das vermarktet, aber zunächst mal brauchen Sie jemanden, der etwas zu sagen hat. Und das ist im Fall von Castorf so gewesen.

Gewesen?

Ja, wir reden hier von den 90ern - aber eigentlich will ich jetzt auch nicht die ganze Zeit über Castorf reden. Man kann als Künstler nicht sein Leben lang hochproduktiv arbeiten. Das ist ganz normal. Irgendwann wiederholt sich jeder - außer Picasso vielleicht. Und auch Castorf befindet sich eben nicht gerade in der Beschleunigungsphase.

Und Sie, Herr Hübchen?

Erst recht nicht.

Wie stark fühlen Sie sich der Volksbühne heute noch verbunden?

Ich bin nicht der Volksbühne, ich bin dem Castorf verbunden. Wir sind befreundet. Ihm verdanke ich bestimmte Erkenntnisse in meinem Beruf.

Welche?

Das erzähle ich jetzt nicht. Das wäre zu lang und speziell.

Was haben Sie menschlich gelernt in Ihrer Volksbühnenzeit?

Keine Angst vor wilden Tieren zu haben.

Der Tagesspiegel hat mal geschrieben, Castorf und Sie hätten beide "eine professionelle Lust entwickelt, Ostaltlasten zu sein".

Das hat sich irgendein Dummkopf ausgedacht. Ich habe keine Lust, eine Altlast zu sein. Ich würde mich nie so bezeichnen, aber ich gehöre eben auch nicht zu denen, die ihr Leben bis 1989 nach der Wende unter den Teppich gekehrt haben. Dafür habe ich nämlich genauso wenig einen Grund wie die meisten anderen. Ich verstehe nicht, warum viele Ostdeutsche so wenig Selbstbewusstsein haben. Die kennen das Leben in zwei gegensätzlichen Gesellschaftsordnungen, das haben die alle den Westdeutschen voraus. Darauf würde ich mir zwar auch nicht zu viel einbilden, aber ein schlechtes Gewissen oder einen Minderwertigkeitskomplex braucht man deswegen nun wirklich nicht zu haben.

Wie gern schauen Sie 20 Jahre nach dem Mauerfall auf diese Zeit zurück?

Gar nicht. Den meisten Presseanfragen habe ich mich verweigert. Erstens ist mein Gedächtnis nicht so ausgeprägt, zweitens langweilt es mich im Moment.

Verstanden. Was interessiert Sie denn im Moment?

Na, wie man zum Beispiel Rosen richtig schneidet.

Sind Rosen nicht ein Hobby für alte Leute?

Mag sein, ich wollte aber einfach nur ein paar Blumen haben, um die vor die Tür zu stellen. Und das macht mich noch lange nicht zum Rosenzüchter.

Sie haben vorhin gesagt, dass Sie Ihren Zenit überschritten haben. Macht Sie das eigentlich traurig?

Boris Becker hat auch seinen Zenit überschritten. Und der kann immer noch riesige Hochzeiten schmeißen.

Stimmen Sie mir zu, dass Sie zu spät so richtig erfolgreich geworden sind?

Was ist zu spät? Was ist zu früh? Warum?

Weil Sie gesagt haben, dass ab 40 die guten Männerrollen knapp werden.

Die Liebhaberrollen zumindest - das stimmt. Aber was ist das eigentlich, Erfolg? Kathi Thalbach hat sich mal bei mir darüber beschwert, dass Sie ständig auf die zehn Tage reduziert wird, in denen sie "Die Blechtrommel" gedreht hat. Dabei spielt sie seit Jahrzehnten große Theaterrollen und inszeniert auch selbst. Und ich werde ständig auf meine Rolle in "Alles auf Zucker" reduziert…

für die Sie 2005 mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet wurden…

…auch nur 20 Tage meines 62-jährigen Lebens. Wenn Sie aber über Popularität reden, ist es klar, dass man es da als Theaterschauspieler schwerer hat, weil in den Saal eben nur 600 Leute reinpassen. Im Kino müssen Sie zur Vorstellung noch nicht mal anwesend sein - und trotzdem redet jeder über Sie. Das wird häufig mit Erfolg verwechselt.

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