die wahrheit: Aufmarsch der Kuschelnazis
Zartrosa Blüten im braunen Sumpf: Die NPD entdeckt ihre schwule Seite.
Abgesehen vom Profifußball gibt es nur wenige Teile der Gesellschaft, in denen schwul sein so unpopulär ist wie in der NPD. Umso brisanter sind daher die zartrosa Blüten, die nun im braunen Sumpf sprießen. Seit den Untersuchungen um veruntreute Spendengelder und den Querelen an der Spitze der Partei gärt es heftig bei den Nationaldemokraten. Dies fördert auch allerhand Unbequemes zutage, das am rechtsextremen Image der Partei nagt. So soll es hinter den Kulissen nicht immer so rau und radikal zugehen wie gedacht. In der Szene machten zuletzt sogar Gerüchte um eine "lauwarme" Abspaltung der NPD die Runde - von einer nun kurz bevorstehenden "rosa Revolte" soll sogar die Rede gewesen sein.
Die Angst vor einer homosexuellen Unterwanderung und Machtverschiebung in der Partei sei schon lange vorhanden gewesen, berichten Insider, nur mit großen Mühen konnten diese Tendenzen unterdrückt werden. Bis jetzt. Das öffentliche Outing des Funktionärs Hubert Mölsen schlug in den homophoben NPD-Kadern ein wie eine Granate. "Wir sind es leid, uns weiter zu verstecken!", brüllte Mölsen bei einer zunächst geheim gehaltenen Kundgebung vorvergangene Woche im hessischen Schlüchtern. "Bloß weil man schwul ist, heißt das nicht, dass man kein aufrechter Deutscher sein kann, der stolz auf sein Vaterland ist. Das Gegenteil ist richtig: Wir wissen, wie man für eine Überzeugung kämpft!"
Die spontanen Beifallsstürme zeigten, dass er mit dieser Meinung keineswegs allein dasteht. Und es ist ihm ernst: Er will die schwulen Nazis an die Macht führen und dazu eine Interessenvertretung für Schwule und Bisexuelle in der NPD nach dem Vorbild der LSU in der CDU/CSU errichten. Nur entsprechend radikaler als "Lesben und Schwule in der Union" (LSU) soll diese Organisation sein, wie Mölsen erklärt: "Die LSU ist ein Luschenhaufen, wir müssen um ein Vielfaches energischer sein, wenn wir in der NPD bestehen wollen!" Und damit könnte es in der Tat schwierig werden, stecken sie doch in einem unangenehmen Zweifrontenkrieg: Die Mehrheit der liberalen deutschen Schwulen attackiert sie von links und die radikalen Heteros in der NPD hetzen wie üblich von rechts.
Trotzdem haben Mölsen und seine "Schwulnationale Bewegung" in den letzten Wochen weitere Unterstützung durch Sympathisanten aus der Partei erhalten. Das zeigt, wie groß die Bedrohung auch für die NPD selbst ist: Schon bald könnte es sie zerreißen. Denn Homosexuelle in den eigenen homophoben Reihen, das beschädigt die Glaubwürdigkeit und demontiert das patriarchalische Weltbild. Vor allem, weil es sich nicht nur um Einzelne handeln soll. Mölsen behauptet gar: "In der NPD gibt es mittlerweile mehr Schwule als Frauen." Die Parteispitze gibt sich aber gelassen: "Für dieses Häufchen Hinterbänkler werden wir schon eine Lösung finden!", ließ ein Vorstandsmitglied verkünden. "Jetzt heißt es eben mal Arschbacken zusammenkneifen!", ätzte ein anderer in Richtung seiner "entarteten Kameraden". Dennoch wird langsam auch die große Propaganda-Maschine auf Touren gebracht. Die "Volksschädlichkeit" der als "Kuschelnazis" verunglimpften homosexuellen Nationaldemokraten soll unbedingt eingedämmt werden. Gerüchte wurden gestreut: Das seien keine echten NPDler, sondern von der Antifa eingeschleuste schwule V-Leute, deren Aufgabe es sei, die Partei "von innen zu zersetzen", lautet beispielsweise ein Web-Eintrag in einem NPD-Blog.
"Billige Trickserei", nennt das Hubert Mölsen, den gerade die Bezeichnung "Kuschelnazis" zur Weißglut bringt: "Nichts ist weiter von der Realität entfernt: Dieses Zerrbild vom weibischen, perversen und unmännlichen Homosexuellen ist der Ausdruck jener Pervertierung, mit der die NPD-Führung unsere homosexuelle Veranlagung zu instrumentalisieren versucht. Dabei sind gerade Schwule für Führungsaufgaben geeignet und heute so gut wie unverzichtbar im Kampf!"
Aller Kampfeslust zum Trotz könnte sich Mölsen mit seiner Vorreiterrolle in große Gefahr begeben. Das lehrt auch die Geschichte des ermordeten früheren SA-Chefs Ernst Röhm. Die Legende besagt, dass die SA seinerzeit auch deshalb viele junge schwule Männer anzog, weil ihr Chef seine Homosexualität auf sehr barocke Art und Weise auslebte und damit vielen Schwulen suggerierte, die Nazis könnten nicht so schlimm sein wie behauptet. 1934 unterstellte man Röhm dann einen Putschversuch. In der Nacht zum 1. Juli wurde er während der "Nacht der langen Messer" zusammen mit vielen anderen verhaftet und erschossen - danach war es schlagartig vorbei mit offener Homosexualität unter den Nationalsozialisten.
Hubert Mölsen kennt die Geschichte und will heute - 75 Jahre später - dennoch einen neuen Versuch wagen. Auf die Frage, was er davon halte, dass sich Adolf Hitler einmal in einer öffentlichen Erklärung hinter den als schwul bekannten Ernst Röhm gestellt hatte, reagiert Mölsen mit einem wissenden Lächeln und der Bekundung: "Der Führer ist für mich ein Vorbild - auch in sexueller Hinsicht!"
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin