Leipziger gegen Rechtsextreme: Neonazis hinter Metallwand
In Leipzig versuchen Neonazis, ein multikulturelles Viertel zu übernehmen. Menschen werden bedroht, immer mehr militante Rechtsextreme lassen sich blicken. Doch die Anwohner wehren sich.
Einladend sieht anders aus. Zum neuen Büro des sächsischen NPD-Landeschefs Winfried Petzold sollen offenbar nur ausgewählte Menschen Zugang haben. Eine übermannshohe Blechwand schirmt das Grundstück im Leipziger Stadtteil Lindenau ab. Neben der Tür gibt es eine große Hundeklappe, die sich nur von innen öffnen lässt.
Seit Petzold sein sogenanntes Bürgerbüro Mitte November eröffnet hat, häufen sich die Anzeigen von Anwohnern bei der Polizei. Es geht um Beleidigung und Bedrohung. Schon wenige Tage nach der Eröffnung bekam Frank Glaser* Besuch. Er arbeitet wenige Häuser weiter für einen Kunstverein. Drei Männer drängten ihn in seinem Laden in eine Ecke. Zwei von ihnen waren vermummt. Sie drohten, die Scheiben des Ladens einzuschlagen, wenn der Blechzaun des NPD-Büros noch einmal besprüht wird. "Vorsicht, Nazis!", hatte dort ein paar Tage lang gestanden.
Dabei ist der Stadtteil Lindenau im Leipziger Westen eigentlich das Sinnbild für den Aufstieg der gesamten Stadt in den vergangenen Jahren: Häuser wurden saniert, Galerien öffneten, hier leben viele Einwanderer und Studenten.
Der Filmemacher Karl-Friedrich König wohnt seit mehr als zwei Jahren in der gleichen Straße in einer Wohngemeinschaft. Aufkleber aus der rechten Szene hatte es bereits früher am Haus gegeben. Nun hat er Angst: "Ich überlege, ob ich zum Beispiel Freunde zu mir einlade. Ich will ja niemanden in Gefahr bringen", so König. Anlass zur Sorge hat er. Als das NPD-Zentrum wenige Tage alt war, wurde ein Besucher von Königs Wohngemeinschaft angegriffen und beschimpft. Er flüchtete unverletzt zurück ins Haus.
In dem Stadtteil nimmt der "Kampf um die Straße", den die NPD propagiert, konkrete Formen an. In der Nacht zum vierten Advent wurde eine Polizeistreife mit Flaschen und Feuerwerkskörpern attackiert. Die Angreifer verschwanden danach auf das NPD-Grundstück. Die eintreffende Bereitschaftspolizei wurde durch den Zaun mit Reizgas besprüht und stürmte das Gelände. Nun wird gegen mehrere Männer ermittelt. Gegen zwei von ihnen wegen gefährlicher Körperverletzung ermittelt. Bis dahin mochte die Polizei das Viertel nicht als Brennpunkt der rechten Szene bezeichnen. Gebrannt hat es dagegen im Nachbarviertel Grünau. Ende November wurden die Räume eines soziokulturellen Zentrums durch einen Brandanschlag verwüstet.
Die Rechten sind allerdings nicht plötzlich in Lindenau aufgetaucht. Bei der Landtagswahl im Jahr 2004 bekam die NPD hier 6,3 Prozent der Stimmen. Im kommenden Juni wird der Leipziger Stadtrat gewählt, im August dann der Landtag. Bisher tat sich die NPD in den großen Städten schwerer als auf dem Land. Das will sie nun ändern.
Schräg gegenüber von Petzolds Festung sitzt SALVE, die Beratungsstelle für Migranten. Ihr Leiter Andreas Sticher hilft Zuwanderern dabei, mit den deutschen Ämtern klarzukommen. "Meine Klienten sind schon beunruhigt. Zum Glück ist ja bisher noch nichts passiert", sagt Sticher. Einige hätten Bedenken, gegen das NPD Büro zu unterschreiben. Die unmittelbare Präsenz der Rechten sei der Versuch der Einschüchterung. "Aber wir wollen uns nicht verdrängen lassen. Im Stadtteil gibt es ja ein Potenzial gegen rechts", hofft Sticher. Innerhalb eines Monats gab es vier Demonstrationen gegen das Büro. Anfang Dezember sangen davor etwa 40 Menschen linke Protestlieder. Nach der Aktion rückte die Polizei an und kontrollierte die Teilnehmer, offenbar gerufen von den Neonazis. Etwa 60 vermummte Personen des linken Spektrums hätten Steine geworfen und Böller gezündet, behauptete die Polizei später. Teilnehmer hingegen berichteten, vom NPD-Gelände sei mit Feuerwerkskörpern geschossen worden. Petzold sieht sich von Linksextremisten umzingelt: "Ohne Selbstschutzmaßnahmen wäre mein Büro längst verwüstet worden", schreibt er auf Anfrage in einer E-Mail.
Dabei scheint es eher so zu sein, dass das NPD-Büro rechtsextremistische Klientel konzentriert. Ein Video dokumentiert eine der Demonstrationen gegen das Büro. Plötzlich kommen von dem Gelände mehr als 80 Rechtsextreme mit Transparenten und skandieren Parolen. Unter ihnen sind bekannte Mitglieder der sogenannten Kameradschaftsszene zu erkennen.
Der Protest gegen das Büro ist vielfältig. Neben der lokalen Bürgerinitiative und der Linken engagieren sich Anwohner und ein antifaschistisches Netzwerk. "Zuerst war es uns wichtig, die einzelnen Leute hier zusammenzubringen", erzählt Franzi Meier* vom Netzwerk. Endlich werde auch über rechte Einstellungen in der Bevölkerung gesprochen. Dass es nun diese Diskussion gebe, sei das Positive am NPD-Büro. Die nächste Demonstration veranstaltet die Bürgerinitiative Mitte Januar.
*Name geändert
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