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Raymond Federman: "Mein Körper in neun Teilen"Die Katastrophe in irres Gekicher auflösen

Die Schoah ist das Gravitationszentrum im Werk von Raymond Federman: ein Schwarzes Loch, über das er schreiben muss, aber nicht schreiben kann - also muss er es umkreisen.

Den Schriftsteller Raymond Federman kann man nicht ohne poetologische Verständnishilfen lesen. In seinen älteren Büchern, etwa dem Erstling "Double or Nothing" (1971) oder seiner grandiosen postmodernen Schelmenroman-Adaption "Take it or Leave it" (1976) hat er sich noch die Mühe gemacht, seine Post-Schoah-Ästhetik mit hineinzuschreiben - in seinen jetzt auf Deutsch erschienenen autobiografischen Variationen "Mein Körper in neun Teilen" (im Original von 2005) beschränkt er sich nur mehr auf die Signalworte "Surfiction" und "Lachteratur". Die muss man aber kennen.

"Surfiction" nennt Federman sein einerseits improvisatorisches, andererseits hochartifizielles, an die Écriture automatique der Surrealisten, bisweilen auch an die konkrete Poesie erinnerndes Schreiben. Die Aufhebung der Realität im Unsinn, weil die Wirklichkeit zu schrecklich ist, als dass der Autor sie einfach so benennen könnte. Nur im absurden artifiziellen Spiel, in der ästhetischen Verfremdung kann er sich ihr zumindest nähern.

Dabei zerstört er spielerisch und mit viel Witz so ziemlich alles, was der traditionellen Erzählkunst teuer ist: die Kontinuität der Handlung, die bei ihm immer wieder von Digressionen unterbrochen wird und sich erst nach vielen Mäandern rundet; die Instanz des Erzählers, der sich in verschiedene miteinander konkurrierende Rhapsoden aufspaltet; und schließlich das Erzählen selber, das er seitenlang zugunsten essayistischer Einschübe drangibt. In den früheren Büchern tanzten auch noch die Typografie und die Interpunktion gehörig aus der Reihe, aber mittlerweile übt er sich etwas in Stilentspannung.

Das sind keine bloß formalen Mätzchen, seine Poetik besitzt einen verzweifelt-existenziellen Bodensatz. Raymond Federman ist Jude und hat die Schoah nur durch die Geistesgegenwart seiner Mutter überlebt, die ihn in einem Schrank versteckte, als sie abgeholt wurde. Außer ihm wurde die ganze Familie nach Auschwitz verschleppt und dort ermordet. Federman konnte auf einem Bauernhof in Frankreich untertauchen und wanderte 1947 in die USA aus. Die Schoah ist die große Leerstelle seines Werks, aber auch das Gravitationszentrum. Ein Schwarzes Loch, über das Federman schreiben muss, aber nicht schreiben kann, und das nur mittelbar Gestalt annimmt, nämlich durch den Erzählstoff, den es an sich reißt und um sich herum anordnet.

In "Mein Körper in neun Teilen" versucht er nun spielerisch und assoziativ das Somatische zum Sprechen zu bringen, befragt seine Haare, seine Nase, sein Geschlechtsteil, seine Narben und so weiter. Immer wieder zeigt sich dabei, beinahe en passant, wie sich die Katastrophengeschichte des 20. Jahrhunderts in ihm physiologisch manifestiert: "Schon möglich, dass meine Nase so groß ist und krumm ist und so weit herausragt, um den Rest meines Körpers zu schützen. Meine Nase leidet für den ganzen Rest meines Körpers. Meine Nase ist es, die einen auf die Nase kriegt … Aber meine Nase ist stark. Die hält das aus. Meine Nase ist mutig und frech. Ich halte sie für ein topologisches Denkmal zur Erinnerung an jene, die wegen der Form ihrer Nasen ausgelöscht wurden."

Damit sind wir bei dem anderen schon erwähnten Axiom seiner Ästhetik: "Lachteratur" meint seine experimentelle Attitüde für und zugleich wider das Vergessen. Das Lachen, heißt es einmal in "Take it or Leave it", "hilft einem dabei weiterzumachen zwingt einen ein wenig zu vergessen das ist die einzige Möglichkeit weiterzumachen erfinde dich unter irrem Gekicher neu lach dein Leben in die Worte hinaus". Im höheren poetischen Gelächter wird die eigene Geschichte ausgelöscht und damit unauslöschlich. Federman hat früher einmal versucht, dieses Paradox zu erklären: "Sollte der Sprecher jemals vollkommen deckungsgleich mit dem Gesprochenen sein der Wortmacher … mit den Wörtern, das Schreiben mit dem Geschriebenen", dann wäre "das Ergebnis der Tod"; "also bleibt als einzige mögliche Strategie, als beste Möglichkeit, alles spontan augenblicklich umgehend auszulöschen, um so einer finalen Auslöschung vorzubeugen."

Nur wenn das Kunstwerk auf artifizielle Weise sein biologisches Substrat aufhebt, sich mithin zum reinen Geist- und Kunstprodukt sublimiert, nur dann erhebt es sich über das skandalöse Schicksal des Menschen. Indem der Autor das Grauen seiner Existenz artistisch transformiert, eben in "irrem Gekicher", zeugt es also über den eigenen Tod hinaus vom Grauen der Existenz. Die Lachteratur hat also eine doppelte Funktion, sie ist Droge des Vergessens und Denkmal zugleich.

Und wie lässt man nun das Kunstwerk dergestalt aus der Zeit fallen? Mit der "Bocksprungtechnik", wie er sie hier an einer Stelle nennt; also indem er die lineare Struktur aufbricht, vor und zurück springt, abschweift und das Ende wieder in den Anfang münden lässt, ein Ende auf diese Weise negiert. Das geschieht hier, indem er das Buch mit einer "Liste der Dinge, die ich tagtäglich mit meinem Körper mache" beschließt, und zwar gleich zweimal, "auf englisch und französisch ganz nach seiner Laune", und damit eine immerwährende Iteration dieser Vorgänge behauptet. Raymond Federman versucht sogar noch seinem eigenen Furzen Unsterblichkeit zu verleihen.

Das alles muss man wissen, sonst könnte man dieses witzige, manchmal alberne, um sich selbst kreisende Prosa-Parlando leicht für zu wenig substanziell halten. Dennoch, sein narratives Temperament wirkt hier ein wenig gedämpft, für die szenische Konkretion bringt er nur noch selten Geduld auf, manchmal meint man dem Buch sogar eine gewisse Erzählmüdigkeit anzumerken. In seinen früheren Büchern war das Gekicher einfach noch irrer.

Raymond Federman: "Mein Körper in neun Teilen". Aus dem Amerikanischen von Peter Torberg. Matthes & Seitz, Berlin 2008, 125 Seiten, 14,90 Euro

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