Journalistin ausgewiesen: Russischer Winter für "Libération"
Die französische Journalistin Anne Nivat wurde festgenommen und muss Russland verlassen. Kritische Berichterstattung zum Wahlkampf ist im Putin-Staat nicht erwünscht.
Der Russlandaufenthalt der französischen Journalistin und Publizistin, Anne Nivat, endete am vergangenen Wochenende abrupt. Am Freitag nahmen Mitarbeiter des Föderalen Migrationsdienstes die 42jährige in ihrem Hotel in Vladimir, 200 Kilometer östlich von Moskau, fest und brachten sie auf eine Polizeistation. Dort wurde Nivat vier Stunden verhört.
Die unfreiwillige Audienz endete damit, dass Nivats Visum ungültig gestempelt und durch ein Transitvisum ersetzt wurde sowie der Aufforderung, das Land innerhalb von drei Tagen zu verlassen. Zur Begründung hiess es, Nivat sei mit einem Visum für Geschäftsleute eingereist, habe sich jedoch für Interviews mit mehreren Oppositionspolitikern getroffen.
Dies sei ein eindeutiger Verstoß gegen die Visabestimmungen. Sollten ihre Dokumente korrekt sein, könne sie am nächsten Tag wieder nach Russland zurückkehren. Sollte sie jedoch erneut die entsprechenden Gesetze verletzen, werde ihr die Einreise für die kommenden drei Jahre verweigert. Am Sonntag verlie Nivat das Land. Am Dienstag wurde dann einer der für die Entscheidung verantwortlichen Beamten entlassen.
Nivat berichtet seit mehreren Jahren über und aus Russland - unter anderem für die französische Tageszeitung Libération. Bekannt wurde sie in den 1990er Jahren vor allem durch ihre Berichte über den Krieg in Tschetschenien. Ihr Buch "Chienne de guerre" - eine Reporterin an der Frontlinie des Krieges in Tschetschenien" aus dem Jahre 2000 wurde international ausgezeichnet.
Am 31. Januar hatte sie sich nach Russland begeben, um für ein Buch über die aktuelle politische Situation zu recherchieren. "Es passte den Behörden ganz und gar nicht, dass ich mit Leuten der Opposition gesprochen habe", teilte Nivat am Montag in einer e-mail aus Paris mit. Während des Verhörs sei klar geworden, dass sie bereits seit Tagen beschattet worden sei. Dieser Umstand mache ihr zu schaffen. "Der Vorfall ist ein Beweis einer härteren Linie der Behörden am Vorabend der Präsidentenwahlen, deren Ausgang nicht vorhersagbar ist", so Nivat.
Wen darf man noch interviewen?
Die Nichtregierungsorganisation "Reporter ohne Grenzen" teilt diese Einschätzung. "Ist es in Russland jetzt ein Verbrechen, Vertreter der legalen Opposition zu interviewen? Die Staatsmacht wird vor den Wahlen immer nervöser. Denn dabei könnte nicht alles nach Plan verlaufen. Wie weit werden sie gehen?", heisst es.
Das ist derzeit schwer abzuschätzen, doch fest steht: die Nerven bei den politisch Verantwortlichen liegen blank. Seit den gefälschten Duma-Wahlen am 4. Dezember 2011, bei denen die Regierungspartei "Vereinigtes Russland" offiziellen Angaben zufolge knapp 50 Prozent der Stimmen erreichte, sind bereits mehrfach Tausende Menschen gegen Wahlbetrug und eine erneute Amtszeit von Wladmir Putin im Kreml auf die Straße gegangen. Ein Ende der Proteste ist derzeit nicht in Sicht. Erste, wenn auch nur kleine, Zugeständnisse der Staatsmacht deuten auf wachsende Verunsicherung hin.
Die Ausweisung Nivats ist übrigens nicht der erste Fall dieser Art. Im Februar vergangenen Jahres wurde dem Moskauer Korrespondeten des Guardian, Luke Harding, die Einreise nach Russland verweigert. Harding hatte unter anderem kritische Berichte über den Gesundheitszustand Putins veröffentlicht.
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