Bravos Umgang mit Schwulen und Lesben: Nicht progressiv
Ein neues Buch belegt: Das Teenie-Magazin Bravo behandelt das Thema Homosexualität bis heute zumeist vorurteilsbeladen und voyeuristisch.
KÖLN taz | Bravo prägte Generationen von Jugendlichen. Fast jeder hat eine Anekdote zu dem Magazin zu erzählen. Unvergesslich sind die Selbstauslöser-Nacktfotos von Jugendlichen und naive Fragen wie "Macht Spermaschlucken dick?". Beim Thema Homosexualität war Bravo allerdings nicht immer so freizügig – ganz im Gegenteil: Erwin In het Panhuis hat für sein Buch "50 Jahre Schwule und Lesben in der Bravo" 2.700 Hefte und rund 1.000 Beiträge zur gleichgeschlechtlichen Liebe gesichtet. Sein ernüchterndes Ergebnis: Bravo ist vieles, aber nicht progressiv.
Das Magazin erschien 1956 zum ersten Mal mit der Unterzeile im Titel "Die Zeitschrift für Film und Fernsehen". Erst Jahre später entwickelte sich Bravo zu einer Zeitschrift für Jugendliche. Mit dem "Knigge für Verliebte" erschien die erste Aufklärungsreihe. Dr. Christoph Vollmer beantwortete Leserbriefe – hinter dem Pseudonym verbarg sich die Liebesromanschriftstellerin Marie Louise Fischer. Ihre Antworten strotzen vor homophoben Äußerungen. Erst 1966 veröffentlichte sie eine Reportage, die Homosexualität nicht mehr dementiert, aber von Vorurteilen geprägt ist: "Bei 99 Prozent aller Homosexuellen kann bis zum 24. Lebensjahr eine völlige Heilung bewirkt werden."
Die Wende kam mit Dr. Martin Goldstein. Er übernahm die Sexualaufklärung unter dem Pseudonym Dr. Sommer. Der Psychotherapeut war für seine Zeit äußerst liberal, und zum allerersten Mal wurde auch homosexueller Sex angesprochen - die Beiträge zur gleichgeschlechtlichen Liebe stiegen in Qualität und Quantität. Seine Freizügigkeit sorgte 1972 sogar für zwei indizierte Aufklärungsreportagen. In den Achtzigern dann der Umbruch: Die Reportage "Ich bin schwul, na und?" ging sogar relativ sensibel mit dem Thema um.
Erwin In het Panhuis: "50 Jahre Schwule und Lesben in der ,Bravo' ". Archiv der Jugendkulturen, Berlin 2010, 195 S., 28 Euro
Ausstellung: bis zum 2. Oktober, Christuskirche Köln, Mi.-Sa., 15 bis 20 Uhr, Eintritt frei
In seinem letzten Kapitel beschäftigt sich In het Panhuis mit den Jahren 1984 bis 2006, der Zeit nach Goldstein, der die Aufklärungsarbeit in die Hände des bis heute aktiven Dr.-Sommer-Teams übergab. In der Rubrik "Liebe 94" wurden auch ein schwules und ein lesbisches Paar vorgestellt. Die Redaktion bezeichnete deren Beziehung dennoch als "ungewöhnlich". Ab 2002 erschien dann achtmal die "Regenbogenseite", eine eigene schwul-lesbische Seite mit Coming-out-Hilfen und Literaturempfehlungen.
Außerhalb der Sexualaufklärung bleibt Bravo aber ein Boulevardblättchen. Vor allem die Reportagen befriedigen durch ketzerische Überschriften und Zurschaustellung der Protagonisten den Voyeurismus der jugendlichen Leser. Ein Beitrag über Kinderprostitution aus dem Jahr 2000 etwa zeigt Fotos von Sextouristen mit Balken vor dem Gesicht und halbnackte Jungen, die ihre körperlichen Misshandlungen präsentieren.
Auch die Methoden der Redaktion sind nicht immer professionell: Bei einer Reportage über das schwule Paar Uwe und Sven wurden beide jünger gemacht, damit sie zur Zielgruppe passen. Selbst im Umgang mit HIV und Aids muss Bravo heute noch einiges lernen, denn in der Münchner Redaktion geht man mit diesem Thema ignorant um.
Den Mythos von Toleranz und Fortschrittlichkeit, der Bravo umweht, entlarvt Erwin In het Panhuis Buch als Legende, doch das Jugendmagazin ist immer nur Spiegel der Gesellschaft. "50 Jahre Schwule und Lesben in der Bravo" besticht vor allem durch eine fundierte, kritische und unvoreingenommene Analyse – und ist damit das Gegenbild seines Gegenstands.
Bei der Eröffnung der Wanderausstellung zum Buch in der Kölner Christuskirche am Donnerstag betonte der Leiter des Archivs der Jugendkulturen, Klaus Farin: "Die Bravo ist ein konservatives Medium". Allerdings sei sie, so Farin, eben auch Teil unserer Kulturgeschichte, ein Stück Deutschland. Ausstellung wie Buch nehmen das Phänomen Bravo folgerichtig ernst, ohne an Kritik zu sparen.
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