Namensstreit in Dresden: Die Null-Toleranz-Zone
Straßennamen sollten nicht an Opfer von Fremdenhass oder an NS-Verbrechen erinnern, finden CDU und FDP in Dresden. Sie fürchten ein „Netz der Schande“.
DRESDEN taz | Es gibt Hoffnung, dass Dresden endlich zu einer aufgeklärten und wirklich weltoffenen Stadt heranwächst. Seit Jahrhunderten eher von weichlichen Residenzlern bevölkert, von Künstlern ebenso gesucht wie geflohen, zuletzt den Mythos der unschuldigen Stadt inmitten der Nazi-Barbarei pflegend, gewinnen nun unpathetische tolerante Akademiker immer mehr an Einfluss.
Umso mehr muss es wie ein Anachronismus wirken, was die alte Garde eines in die Defensive geratenen Kleingeistbürgertums im Stadtrat veranstaltet. Es war nicht Skandal genug, dass das „bürgerliche Lager“ im Januar den Antrag auf Namengebung einer Marwa-El-Sherbini-Straße am Landgericht gar nicht erst in die Ausschüsse gelangen ließ.
Die schwangere, mit einem Wissenschaftler verheiratete Ägypterin war vor drei Jahren als Zeugin im Gerichtssaal vom Angeklagten niedergestochen worden. Ein CDU-Stadtrat mit dem unverfänglichen Namen Brauns, Richter an ebendiesem Landgericht, hatte mit Fraktionsaustritt gedroht, sollte der Antrag durchkommen.
Nun setzte sein CDU-Fraktionsvorsitzender Georg Böhme-Korn noch eins drauf. Anlass war eine Debatte über den Antrag der Grünen, ebenfalls mit einem Straßennamen an die baskische Stadt Guernica zu erinnern. Im Spanischen Bürgerkrieg war sie 1937 von der deutschen Legion Condor sozusagen als Kriegstestfall aus der Luft zerstört worden.
„Netz der Schande“
Picasso setzte ihr mit seinem Guernica-Gemälde ein Denkmal. CDU und FDP lehnten ab und brachten so die beiden NPD-Stadträte nicht zum ersten Mal in die komfortable Lage, als „Zünglein an der Waage“ den Grünen-Antrag endgültig zu Fall zu bringen. Was die Neonazis per Mitteilung selbstredend feierten. Doch die eigentlich skandalösen Äußerungen dieser Debatte kamen nicht von der NPD.
Fraktionschef Böhme-Korn unterstellte den Grünen eine Strategie, Dresden mit einem „Netz der Schande“ und entsprechenden Fanalen zu überziehen. Das habe bereits 2007 mit dem Jorge-Gomondai-Platz in Erinnerung an den 1991 ermordeten Mosambikaner begonnen.
Gomondai gilt als das erste rassistische Mordopfer in Ostdeutschland nach der Wende und wurde aus einer fahrenden Straßenbahn gestoßen. Solche symbolischen Gesten diffamierte der 62-jährige evangelische Christ als „Mea-Culpa-Geschrei“. Der CDU-Fraktionsvorsitzende hatte bereits im Mai Guernicas Oberbürgermeister Gorrono angeschrieben.
In teils grotesken Windungen begründete er, warum ein Straßenname kein „wirklich geeignetes Zeichen wäre, diesem uns fest verbindenden Willen nach Vergebung, Versöhnung und Frieden angemessenen Ausdruck zu verleihen“.
Konstruktives Zusammenleben
Mit seinen jüngsten Äußerungen aber hat Böhme-Korn offenbar das Fass zum Überlaufen gebracht. Die Dresdner Jusos forderten seinen Rücktritt und erinnerten an das bleibende Ärgernis für die Nazis, das die Namengebung Geschwister-Scholl-Straße vor dem NPD-Verlag Deutsche Stimme in Riesa darstellt.
Das Kulturbüro Sachsen, Koordinator von sächsischen Demokratieinitiativen, nannte seine Wortwahl „unverzeihlich“, forderte eine Distanzierung der CDU-Fraktion und eine inhaltliche Auseinandersetzung. Böhme-Korn konterkariere Bemühungen, „sich ernsthaft mit dem neonazistischen, rassistischen und islamfeindlichen Problem in Dresden auseinanderzusetzen“.
„Diese Äußerung verdient eine Klarstellung“, fühlte sich auch der sächsische Ausländerbeauftragte Martin Gillo (CDU) herausgefordert. Der Freistaat Sachsen bekenne sich eindeutig zu einem konstruktiven Zusammenleben aller hier lebenden Menschen.
Der Historiker Matthias Neutzner, Vorsitzender der IG 13. Februar 1945 warf den CDU- und FDP-Stadträten vor, „das Aktionsbündnis der demokratischen Stadtöffentlichkeit für ein verantwortliches Erinnern an Nationalsozialismus, Krieg und Zerstörung zu kündigen“.
Böhme-Korn reagierte politikerüblich, sprach von „Missverständnissen“ und aus dem Zusammenhang gerissenen Äußerungen. Ansonsten scheint er unbeeindruckt. An den Ehrungen zum dritten Todestag für Marwa El-Sherbini zu Wochenbeginn nahm er nicht teil.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Verkehrsvorbild in den USA
Ein Tempolimit ist möglich, zeigt New York City
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!