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Online-Galerie auch für HobbykünstlerIkonen für die Epigonen

Beuys 2.0: Sammeln leicht gemacht mit der Editionsgalerie LUMAS, die allerdings zunehmend mit unmaskierter Nachahmerkunst auffällt.

Ausstellungsbühne und Verkaufsraum im Internet. Bild: screenshot www.whitewall.com

Schuld ist wieder mal Joseph Beuys. Was hat man nicht schon alles über sich ergehen lassen müssen, nur weil der Filzhut-Mann vom Niederrhein 1972 behauptet hatte, dass jeder Mensch ein Künstler sei. Von hingeworfenen Farbflecken bis zu seidenmalenden Muttis: Hinter manch einem ästhetischen Gehversuch lauerte der Beuyssche Gedanke vom Leben als Kreativprozess. Nun findet man den Satz vom Künstler-Menschen auch als Zitat auf einer Internetseite wieder, die jedermanns Kunst für jedwedes Portemonnaie vertreiben will: der Web-2.0-Galerie whitewall.com. Wer immer will, kann hier Fotografien und sonstiges Kreativmaterial digital vermarkten. Grundsätzlich funktioniert das wie bei der Foto-Community flickr. Man stellt seine Bilder online und lässt sie von den Nutzern voten. Doch im Gegensatz zu flickr hat whitewall eine eingebaute Kasse. Denn whitewall will nicht nur zeigen, whitewall will primär verkaufen. Gut 4.500 verschiedene Prints von fast 2.000 sogenannten Künstlern sind hier mittlerweile erhältlich. Nicht selten zeigen sie Altbekanntes: Ob "Treppenhaus aus Froschperspektive" oder "Wassertropfen auf Dekolleté" - es sind oft nachgeknipste Bildikonen, wie sie so oder ähnlich schon durch jeden deutschen Fotoclub gejamt wurden.

Betreiber der neuen Online-Galerie ist die Berliner Avenso AG; ein Unternehmen, das vor vier Jahren schon einmal versucht hat, den Fotomarkt auf eigentümliche Weise zu demokratisieren. Damals, da hieß die Revolution LUMAS. Und die hat unter Fotografen, Sammlern und Galeristen in der Tat für immenses Aufsehen gesorgt. Hinter den fünf Buchstaben nämlich verbirgt sich längst ein international bekanntes Label. Mit dessen Hilfe wird Fotokunst für kleines Geld vermarktet. In mittlerweile elf Filialen bietet man bei LUMAS Fotografien in hoher Auflage an. Von 200 bis 600 Euro scheint erhältlich, was auf dem freien Markt gerne mal das Zehnfache kostet.

Kann bei whitewall also fast jeder Mensch ein Künstler sein, so kann bei LUMAS der andere Teil der Menschheit Sammler werden. Genau wie bei Ikea kann man bei dem Fotodiscounter, an dem seit dem Jahr 2006 auch die Hubert Burda Media beteiligt ist, eine kostengünstige Möglichkeit bekommen, um das eigene Wohnzimmer zu pimpen.

Wie bei Ikea werden aber auch hier zunehmend Klagen laut. LUMAS, so heißt es unter zahlreichen Kennern des Fotomarktes, falle zunehmend durch Nachahmungen und Ähnlichkeiten auf. Ähnlichkeiten, wie sie etwa zwischen den Bildern des LUMAS-Fotografen David Burdeny und denen des international bekannten Fotokünstlers Michael Wesely bestehen. Letzterer ist in der Vergangenheit besonders durch Serien aufgefallen, für die er mit einer Lochkamera Langzeitbelichtungen von weiten Naturlandschaften gemacht hat. Es sind Bilder von poetischer Schönheit und von hohem Wiedererkennungswert. Clemens Fahnemann, Weselys Galerist, findet es nun etwas eigentümlich, dass LUMAS Arbeiten von einem Fotografen im Programm hat, der mit etlicher Verspätung zu ganz ähnlichen Ergebnissen zu kommen scheint wie Wesely. Eine "Schweinerei" nennt das Fahnemann, der, wie er sagt, wegen dieser wahllosen Verwandtschaften in der Vergangenheit bereits mehrfach von Sammlern angegriffen worden sei.

Solch markige Worte haben derzeit Konjunktur auf dem Fotomarkt. "Rotzfrech" nennt etwa Markus Lüttgen von der Berliner Johnen Galerie die hohe Epigonendichte in den LUMAS-Filialen. Die Johnen Galerie vertritt unter anderem Candida Höfer. Und wie es der Zufall will: auch von Höfers Bildern gibt es bei LUMAS offensichtliche Lookalikes: Es handelt sich dabei um die großformatigen Farbfotografien Rafael Neffs und Reinhard Görners. Wie die berühmtesten Bilder Höfers zeigen diese in einem ganz ähnlichen Stil Innenräume von öffentlichen Gebäuden - von Bibliotheken, Opernhäusern oder Konzertsälen. "Derartige Nachahmungen nehmen uns sicher nicht die Butter vom Brot", so Lüttgen. "Unverschämt aber sind sie allemal."

Und so geht zunehmend ein Raunen um unter Fotohistorikern und Galeristen. Denn ob der Stil Walter Niedermayrs oder der Nick Brandts: oft scheint LUMAS hierzu ein weit kostengünstigeres und ästhetisch pflegeleichteres Pendant im Angebot zu haben. Was jedoch für Kenner offensichtlich scheint, ist für das Urheberrecht eine komplizierte Angelegenheit. Dieses nämlich kennt nicht den Schutz reiner Ideen, Schutzgegenstand ist immer nur das Einzelwerk. So kann für gewöhnlich nur Plagiat genannt werden, was eine identische oder nahezu identische Kopie eines konkreten Lichtbildwerkes oder von dessen wesentlichen Elementen ist. In der Galerie Fahnemann verlangte man daher zunächst nur eine mündliche Erklärung für die merkwürdigen Überschneidungen. Doch bereits beim ersten Telefonkontakt habe man bei LUMAS den Hörer aufgelegt.

Die Editionsgalerie führt jedoch nicht nur sogenannte Young Art mit hohem Ähnlichkeitsfaktor. Im Galerieprogramm finden sich auch sogenannte Masters. Ein etwas irreführender Begriff. Dahinter verbergen sich nämlich nicht heiß umworbene Masterprints, sondern Arbeiten recht namhafter Fotografen in hoher Auflage. Zum Preis von 130 Euro etwa kann man hier den Abzug eines Fotogramms von Floris M. Neusüss erwerben. Das klingt nach einem Schnäppchen. Ein Neusüss-Bild in vergleichbarer Größe kostet auf dem Kunstmarkt sonst weit mehr als 3.000 Euro. Wie bei wirklichen Fotogrammen üblich, handelt es sich dann jedoch um Unikate; nicht um Reproduktionen in 75er-Auflage.

Haben also die Kritiker recht, die in LUMAS schon immer nur einen Posterladen für meist uninteressante Simulationskunst gesehen haben? Benjamin Jäger von der Berliner Galerie Camerwork würde das so nicht formulieren. Für ihn ist LUMAS durchaus eine Anlaufstelle für ein fotointeressiertes Publikum. Dennoch unterscheidet er streng zwischen einem LUMAS-Foto und "wahrem Kunstinvestment". Die oben erwähnten Repros von Floris Neusüss jedenfalls hatten für Camerawork Konsequenzen. Vor dem Hintergrund, dass der einstmals mit dieser Galerie zusammenarbeitende Fotograf einen Vertrag mit LUMAS abgeschlossen hatte, hat Camerawork die Kooperation mit Neusüss gekündigt.

Ein nicht ungewöhnlicher Fall. Dabei kann ein Vertragsabschluss mit LUMAS nicht nur dem Image namhafter Altmeister schaden. Weit heftiger kann es junge Talente treffen. Der Berliner Fotograf Torsten Warmuth etwa ist sich sicher, dass eine Kooperation mit der Editionsgalerie in der Regel weder Kontostand noch Ruhm vermehre. Warmuth, dessen Silbergelatineabzüge seit geraumer Zeit über die Galerie Anna Augstein vertrieben werden, hat einst mit LUMAS in Verhandlungen gestanden. Als Urheber seiner Fotografien hätte er bei der expandierenden Editionsgalerie lediglich fünfzehn Prozent des ohnehin niedrigen Verkaufspreises erhalten. Marktüblich sind in der Regel vierzig bis fünfzig Prozent. Als Künstler, so Torsten Warmuth, tue man sich bei LUMAS also keinen Gefallen. Man sei lediglich Lieferant einer austauschbaren Handelsware.

Neun Millionen Euro hat LUMAS laut Gründer Marc Ullrich im letzten Jahr mit dieser Ware umgesetzt. Neun Millionen Euro, die sich aus dem alten Versprechen speisen, dass jedermann Künstler oder Sammler sein kann. Aber Beuys 2.0, das ist eine grobe Verkürzung. 1972 nämlich schon hat der Filzhut-Mann aus Krefeld in weiser Voraussicht sein Künstler-Statement um einen Nachsatz ergänzt: "Damit sage ich nichts über die Qualität. Ich sage nur etwas über die prinzipielle Möglichkeit, die in jedem Menschen vorliegt."

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1 Kommentar

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  • DZ
    Daniel Zellmer

    Wer sich dessen annimmt, sollte einmal Luhmanns Systemtheorie und seine Definition von Kunst studieren. Verkürzt wird dort festgestellt, dass Kunst Kunst ist, wenn Kunst als Kunst gesehen und wahrgenommen wird. Dies ist das System. Das manche Künstler und Intellektuelle ein Problem damit haben, dieses "Geheimwissen" mit einer systemfremden Gruppe zu teilen ist nur allzu natürlich. Abgrenzungsprozesse sind in Systemen überlebenswichtig. Insofern ist die Ursache dieser Diskussion nicht die Epigonenproblematik, sondern der Schutz einer Teilmenge, die sich über Differenzierung definiert.